Ein Leben für die Lüge
apabiz, 2.6.2008 UPDATE
Die Nazifreakshow verliert eine ihrer Attraktionen - Der „Ritterkreuzträger“
Otto Riehs ist tot
Die bundesweite Neonazigemeinde trauert um Otto Riehs. Am 29. Mai verstarb
der „Ritterkreuzträger“ im Alter von 87 Jahren in einem
Krankenhaus in Frankfurt am Main. Riehs war eine Ikone der Szene, einer
der letzten Vertreter jener „Erlebnisgeneration“, deren Aufgabe
es ist, Nationalsozialismus authentisch zu vermitteln und den neuen Nazis
die Bestätigung zu geben, die legitimen Erbfolger der Nationalsozialisten
zu sein. Doch sein Heldenepos ist in Teilen wohl selbstgestrickt.
Otto Riehs war
ein Hundertprozentiger, ein Unverbesserlicher. Er meldete sich 1940 freiwillig
zur Wehrmacht, wurde der „Ostfront“ zugeteilt und blieb dem
untergehenden Dritten Reich bis zur letzten Sekunde treu. Das zumindest
schreibt Riehs in seinem Lebenslauf. Danach engagierte er sich in einer
Vielzahl neonazistischer Parteien und Organisationen, so in der 1952 verbotenen
Sozialistischen Reichspartei, später in der NPD, in der 1995 verbotenen
Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei, in den Gruppen des Michael Kühnen
und in verschiedenen Kameradschaften des Rhein-Main-Gebietes. Der Kampfbund
Deutscher Sozialisten (KDS) führte ihn zuletzt als Ehrenmitglied,
insbesondere im NS-Fetischisten und KDS-„Führer“ Axel
Reitz fand er einen Anhänger, der ihn verehrte wie einen Messias.
Wenn Otto Riehs auch hier und da Flugblätter verteilte, Wahlunterschriften
sammelte oder sich als Kandidat zu einer Wahl aufstellen ließ: Ein
Parteisoldat wurde er nicht mehr. Denn „seine“ Partei, die
NSDAP, war 1945 verboten worden. So prägten weder organisatorische
Funktionen noch Arbeitseifer sein politisches Engagement. Sein Credo war
“Die jungen Leute, die heute fürs Hakenkreuz kämpfen,
brauchen uns Frontsoldaten als Idole“. Er sah es als seine Berufung,
durch Kneipen-Hinterzimmer zu tingeln und die Jungen auf den Nationalsozialismus
einzuschwören. Hier fand er das Publikum, das selbst seine unbeholfenen
Versuche der Dichtkunst artig beklatschte, Kostprobe: „Der Stahlhelm
- Wie viele ungezählte Stunden, dreht’ ich mit ihm denn meine
Runden...“.
Wenngleich Riehs als bescheidener Mensch galt, so mochte er die Selbstinszenierung.
Das Bild ging durch die Medien, als er am Grab des Altnazis Hans-Ulrich
Rudel mit „deutschem Gruß" salutierte. Er ließ
mit stolzgeschwellter Brust, schwarzem Ledermantel und seinem Ritterkreuz
am Hals die Aufmärsche an sich vorbeiziehen als würde er eine
Parade abnehmen. Und er stilisierte sich postwendend als Opfer „staatlicher
Willkür“, wenn die Polizei (so geschehen im Jahre 2004) bei
einer Hausdurchsuchung sein Ritterkreuz beschlagnahmte, da er es trotz
deutlich sichtbarem, eingraviertem Hakenkreuz bei einem öffentlichen
Aufmarsch getragen hatte. Ersatz war schnell besorgt.
Hundertmal ausgeschmückt ist die Geschichte, in der der junge Otto
Riehs 1943 todesmutig mit der Panzerabwehrkanone (nach anderen Erzählungen
mit einem defekten Flakgeschütz) zehn (nach anderen Erzählungen
elf oder zwölf) russische Panzer in zwölf Minuten erledigte.
Die Legende besagt, er habe hierfür das Ritterkreuz erhalten.
Doch der Mythos des „aufrichtigen Kämpfers und Kameraden“
hat jedoch eine Bruchstelle: So verschwand Otto Riehs Anfang der 1990er
Jahre aus dem Ritterkreuzverzeichnis der extrem rechten Ordensgemeinschaft
der Ritterkreuzträger (OdR), auch in manch anderer Auflistung von
Ritterkreuzträgern fehlt sein Name. Die Geschichte blieb verworren.
War Otto Riehs ein Hochstapler? Oder fiel er aus anderen Gründen
bei den alten Kameraden in Ungnade? Der OdR gab vor, über Informationen
zu verfügen, wonach in der Vergangenheit ein „Otto Rieß“
Anschriften von Mitgliedern der „Gemeinschaft der Ritterkreuzträger“
in die DDR weitergeleitet habe. Die Vorwürfe wurden publik, doch
sie schadeten Riehs’ Reputation in der Neonaziszene nicht.
Im
Gegenteil: Der „verdiente Kriegsheld“ war graue Eminenz der
Szene des Rhein-Main-Gebietes und erlangte in den letzten Jahren seines
Lebens immer stärkere Bedeutung als Redner auf Aufmärschen in
nah und fern. Seine Person wurde umso begehrter je mehr sich die Reihen
der Erlebnisgeneration lichteten. Es war gruselig anzusehen, wie der alte
Mann, dessen fortschreitender körperlicher und geistiger Verfall
seit vielen Jahren erkennbar war, als Hauptattraktion in der wochenendlichen
Nazifreakshow vorgeführt wurde. Kaum noch des Lesens und Sprechens
mächtig, klangen seine kraftlosen Reden wie ein Endlosband, aus dem
ständig wiederkehrend die Worte „Ehre“, „Kameradschaft“
und „historischer Auftrag“ hervordrangen. Man brauchte ihn,
denn Alternativen gab es kaum mehr. Und mehr wollte die Szene von ihm
ja auch nicht hören. Ein Ende „in Würde“ wünschen
die Kameraden ihm erst, als sich abzeichnete, dass er infolge eines Schlaganfalls,
den er im März erlitten hatte, den Rest seines Lebens „geistig
abwesend“ sein würde. Während einzelne hofften, dass „er
es noch mal schafft“, wünschten ihm die anderen schon einmal
„viel Glück in Wahall“ (gemeint ist Walhalla), gedachten
ihm in Schweigeminuten auf Kameradschaftabenden und forderten die Einstellung
lebenserhaltender Maßnahmen. „Hauptsache ist doch, das er
stirbt. Und zwar menschenwürdig, ohne Beatmungsgeräte und technischen
Schnickschnack“, so brachte ein Kommentar in einer Neonazi-Internetplattform
die Mehrheitsmeinung auf den Punkt. Es schien, als könne Otto Riehs
der Szene nur noch als Hauptdarsteller eines Heldenbegräbnisses von
Nutzen sein. Das jedoch scheint auszufallen. Seine Familie wendet sich
dagegen.
Otto Riehs war einer, der Zeit seines Lebens auf der Verliererseite stand.
Der Realität entrückt, verbittert, von der Erinnerung an alte,
bessere Zeiten zehrend, verdingte er sich bis ins späte Alter als
Taxifahrer und verbrachte seinen Lebensabend in eher kärglichen Verhältnissen
in der Tristesse des Frankfurter Ostends - von NachbarInnen und der Polizei
längst nicht mehr für voll genommen, von der Antifa als „brauner
Märchenonkel“ verlacht. „Sein“ Ritterkreuz gab
ihm Stolz und Identität. Und der Beifall der Jungen verschaffte ihm
Anerkennung. Er lebte für die Lüge. Dass wohl selbst sein eigener
Mythos auf Lügen aufbaut, störte ihn ebenso wenig wie den Rest
der Szene.
Anmerkungen:
Weitere Materialien:
Weiterführende Literatur:
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berlin e.v.
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