Politische Fernsicht auf die AfD

Rezension: Michael Kraske, Dirk Laabs: Angriff auf Deutschland. Die schleichende Machtergreifung der AfD, 350 Seiten, C.H. Beck 2024, 18 €.

Von David Begrich

Über die Alternative für Deutschland (AfD) und ihre innerparteilichen Auseinandersetzungen gibt es täglich Meldungen: Personalquerelen, Skandale, Fehltritte. Darüber droht aus dem Blick zu geraten, dass das Problem mit dieser Partei nicht anhand persönlicher Verfehlungen und Unappetitlichkeiten auszumachen ist, sondern anhand ihres politischen Charakters. Dass die AfD eine extrem rechte Partei ist, gilt inzwischen in weiten Teilen der Öffentlichkeit als Konsens politischer Erkenntnis. Nützt nur nichts. Die Partei wird trotzdem, nein gerade deshalb gewählt. Wozu braucht es also noch ein Buch das ihre Demokratiefeindschaft nachweisen kann?

Umfangreiches Wissen und Erfahrungen in der journalistischen Arbeit zur extremen Rechten bringen Michael Kraske und Dirk Laabs mit. Ihr Blick auf die AfD lässt sich nicht blenden von der nationalkonservativen Kulissen Schieberei, mit welcher die Partei über Jahre ihren extrem rechten Kern zu kaschieren versuchte.

Zu Beginn machen die Verfasser klar, dass es keines »Geheimplans« bedurfte, um die rassistischen Konzepte der Partei politisch zu operationalisieren. Vielmehr lag und liegt alles, was die Partei und ihr politisches Umfeld anstrebt seit Jahren offen zu Tage – stringent ignoriert von denen, die sie über Jahre verharmlosten und jetzt ihre Ideen, modifiziert, abschreiben. Die Verfasser rollen die politische Strategie der Partei und ihre Einbindung in die extreme Rechte systematisch auf. Kontakte zu Reichsbürgern? Kein Zufall! Dass die AfD die Parlamente als Bühne und Ressourcenquelle in Dienst nimmt? Keine Überraschung! Die Autoren legen dar, was in der tagespolitischen Berichterstattung zu oft untergeht; nämlich dass es der Partei nicht um die einzelne Anfrage im Parlament, den einen Gesetzentwurf oder die eine breit verlinkte Rede im Bundestag geht. Anliegen der Partei, das zeigen die zahlreichen Beispiele deutlich, ist ein langfristiger rechtsautoritärer Umbau von Staat und Gesellschaft. Hierfür nutzt sie alle Möglichkeiten, die sich ihr bieten: jetzt im Parlament und auf der Straße, später vielleicht einmal in einer Regierung oder vorerst in einem Amt als Landrat oder Bürger-meister*in. So benennen Kraske und Laabs zurecht die Kommunalpolitik als »Kampfzone«: Vor Ort eignen sich die kommunalen Mandatsträger*innen der AfD jenes Wissen an, mit dem sie hernach auf anderen politischen Ebenen ihre destruktive Wirkung entfalten können.

Der Erfolg der AfD gründet keineswegs nur auf ihrer vorgeblich genialen politischen Strategie, so die Autoren. Vielmehr profitiert sie zu oft von der Arglosigkeit, dem mangelnden Wissen ihrer politischen Gegner*innen und der Tatsache, dass diese die Partei über lange Zeit unterschätzten oder noch immer unterschätzen. Besondere Aufmerksamkeit widmen sie dem Umstand, dass und wie die AfD um Polizist*innen, Soldat*innen und Richter*innen wirbt, mit dem Ziel diese Schlüsselgruppen des Sicherheits- und Justizapparates für ihre Politik zu gewinnen, um im Falle einer Machtbeteiligung sich deren Loyalität gewiss sein zu können.

Abschließend wägen die Verfasser das Für und Wider eines AfD-Verbotes ab. Mit Blick auf die langfristige Strategie der AfD und den Verlauf der Radikalisierung der Partei optieren sie folgerichtig für ein Verbot. Nicht zuletzt machen Laabs und Kraske Vorschläge, wie demokratische Akteur*innen in der Auseinandersetzung mit der AfD wieder Land gewinnen. Dass es dabei entscheidend darauf ankommt, sich vom Agenda Setting der AfD abzuwenden und den extrem rechten Diskurs nicht weiter zu füttern, wird an Beispielen aus Politik, Medien und Gesellschaft exemplarisch und anschaulich dargestellt.

Laabs und Kraske haben ein gut lesbares Sachbuch für das breite Publikum geschrieben, das umfassend in die Genese und Gegenwart der AfD und ihrer Politik einführt. Jenseits der Atemlosigkeit gegenwärtiger Aufreger in sozialen Netzwerken, die morgen schon wieder vergessen sind, haben die Autoren Fakten und Einsichten zusammengetragen, die ihre Gültigkeit unabhängig davon behalten, ob Björn Höcke heute dieses sagt oder jenes dementiert. Es lohnt sich, zu diesem Buch zu greifen weil es mehr leistet, als sich an der Partei abzuarbeiten: Der Band lichtet den Nebel der AfD-Propaganda und vermittelt politische Fernsicht auf die Partei.