Nachlass Hans Peter Stiebing | apabiz e.V.

Architektur als Medium rechtsradikaler Kulturpolitik

Der französische rechtsextreme Theoretiker Alain de Benoist rief 1982 zu einer Kulturrevolution von Rechts auf. In Aneignung der marxistischen Theorien Antonio Gramscis verstand er den Bereich der Kultur als Metapolitik. Diesem Verständnis nach setze die Durchsetzung einer Änderung der politischen Verhältnisse die vorherige Veränderung der kulturellen voraus. Für die in rechtslastigen Ideologien so wichtige Identitätspolitik nimmt die Architektur eine zentrale Stellung ein.

Ein Gastbeitrag von Philipp Oswalt

Dies lässt sich zum Beispiel in Maximilian Krahs Buch »Politik von Rechts« nachvollziehen. Im Kapitel »Identität als lokale Gemeinschaft« argumentiert er, dass rechte Kommunalpolitik zuvörderst Kulturpolitik seien müsse, und deren wichtigster Teil der Städtebau: »Damit nicht alle Orte gleich und gleich häßlich aussehen, mit der Bauhauskiste als Standardneubau, muß Politik von rechts Architekturdebatten führen. Es geht um die Wiedergewinnung der jeweiligen Einzigartigkeit durch städtebauliche Rekonstruktion, wo durch die Bombardierungen des Zweiten Weltkrieges und die anschließende Zerstörung durch den Wiederaufbau das einstmals Prägende verschwunden ist.«[1] Als positive Beispiele nennt er den Wiederaufbau von Symbolbauten wie dem Berliner Schloss oder von Quartieren wie der Neuen Frankfurter Altstadt. Um zu einer »Übereinstimmung der konkreten menschlichen Gemeinschaft mit ihrer Umgebung« zu kommen, solle der über diese Rekonstruktionen hinaus erforderliche Neubau im Heimatschutzstil erfolgen, der – was Krah verschweigt – auch im Nationalsozialismus für den Wohnbau herangezogen wurde. Denn »das eigene Dorf, die kleine Stadt oder der Stadtteil mit typischen, einprägsamen Gebäuden in einer einzigartigen und intakten Natur sind der äußere Eindruck, der im Inneren die Vorstellung von Heimat und Verwurzelung schafft. […] In diesem identitären Rahmen agiert eine Gemeinschaft von gleich Geprägten, die einander kennen, solidarisch sind und sich gegenseitig korrigieren. Niemand wird zurückgelassen.« Mit Gemeinschaft meint er eine homogene Volksgemeinschaft: »Volk ist Realität. Über Jahrhunderte hat sich durch kollektive Evolution eine Gemeinschaft entwickelt, deren Mitglieder untereinander ähnlich sind, die typische Eigenschaften ausgeprägt und zu wunderbaren, weil einzigartigen Kulturleistungen geführt hat.«

Was Krah hier zu Papier bringt, ist Common Sense der sogenannten Neuen Rechten und kann seit Jahrzehnten in Publikationen wie der Jungen Freiheit gelesen werden.[2] Doch nicht nur dort. Dieser Kulturkampf soll für breitere Kreise anschlussfähig sein und die gesellschaftliche Mitte erreichen. Dafür werden öffentliche Stimmungen und Tendenzen aufgegriffen, pauschalisiert und vereinfacht, polemisiert und polarisiert. Zugleich werden kaum Angriffsflächen durch eindeutige Positionierungen geboten, etwa im Sinne einer völkischen Argumentation. Die Benutzung von Begriffen und Sentenzen aus der NS-Ideologie führen zu einer Verschiebung des Diskursraums und damit zur Enttabuisierung und Wiedereinführung solcher Begriffe.

verschiedene Beispiele identitätspolitischer Rekonstruktionen

Exemplarisch für diesen rechten Kulturkampf sind einige der von Krah benannten Rekonstruktionsprojekte der letzten Jahre. Wenn dies hier problematisiert wird, geht es nicht darum, Rekonstruktion per se zu skandalisieren – solche hat es in der Architekturgeschichte seit jeher gegeben. Doch Rekonstruktionen von Symbolbauten sind besonders geeignet für eine nationalistische, autoritäre sowie völkische Identitätspolitik, wie es sich schon im Deutschen Kaiserreich bei Projekten wie dem Wiederaufbau der Marienburg, der Wartburg oder der Hohkönigsburg zeigt. Sie sollen die vermeintliche historische Identität und den Wesenskern einer Nation bzw. behaupteten Volksgemeinschaft zum Ausdruck bringen, in einem essentialistischen Ewigkeitssinn und in der Vorstellung von gesellschaftlicher Homogenität.

Heutzutage lassen sich identitätspolitische Rekonstruktionen etwa in Ungarn, dem Polen unter der PiS-Regierung, Russland oder Indien finden.[3] In Deutschland sind es die Potsdamer Garnisonkirche und das Berliner Schloss, die das preußische Erbe für die neudeutsche Identität im wiedervereinten Deutschland aktivieren wollen. Beide Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Wesentlichen von Akteur*innen der gesellschaftlichen Mitte getragen werden, rechtslastige Kreise auf ihre Entstehung und Ausformung relevanten Einfluss hatten und diese als Aufbruchsignal verstehen.[4] Anlässlich der Einweihung der Dresdner Frauenkirche schrieb der Herausgeber der Jungen Freiheit Dieter Stein im Jahr 2005 mit Blick auf das Berliner Schloss: »Die Widerstände der deutschen Neurose sind zu brechen! Ein ganz neuer Enthusiasmus kann das Land erfassen, sich der Wiederherstellung wenigstens der Kerne der geschundenen deutschen Altstädte und Residenzen zuzuwenden und damit der Gesundung der deutschen Identität. Deutschland braucht eine architektonische Renaissance, die die Seele seiner Städte und damit die Seele aller Deutschen gesunden lässt.«[5] Zwei Jahre später hieß es von ihm zum Berliner Schloss: »Vielleicht ist endlich einmal Schluß mit dem ›Gebrochenen‹, ›Verfremdeten‹, ›irgendwie Anderen und Neuen‹. Das Schloß ist das Herz des preußisch geprägten Deutschland. Es wird wieder zu schlagen beginnen.«[6] Zum Richtfest des Baus äußerte er im Jahr 2015: »Architektur ist Gestalt gewordener Wille zum Staat. In ihr läßt sich das Selbstbewußtsein einer Nation ablesen. […] Wir Deutschen gewinnen unsere Mitte wieder.«[7]

Geschichtliche Brüche sichtbar machen

Nun ließe sich gegen diese Darstellung einwenden, dass niemand vor Applaus von falscher Seite gefeit ist und haftbar gemacht werden kann. Stichhaltig ist ein solcher Einwand nicht. Es wäre ohne Schwierigkeit möglich, sich vor einer rechtsradikalen Instrumentalisierung zu schützen. Dann nämlich, wenn die Rekonstruktion nicht ›originalgetreu‹ erfolgen würde und so wirkt, als hätte es keine Brüche und Zerstörungen gegeben. Ein optisch perfekter Nachbau der einseitigen Gestalt von Nationalsymbolen verdrängt nicht nur die Veränderungen über die Zeit, die viel Wesentliches über Geschichte vermitteln, sondern idealisiert den Ausgangspunkt, mit dem man sich durch den exakten Nachbau uneingeschränkt identifiziert. Dass es anders geht, zeigen prominente Beispiele wie die Rekonstruktion der Alten Pinakothek in München (1946-1957), der Paulskirche in Frankfurt (1947/48), oder der Neuen Meisterhäuser in Dessau (2011-2014). Bei all diesen Bauten war es den Architekt*innen ein Anliegen, nicht allein den verloren gegangenen Bau wiederzugewinnen, sondern deren ganze Geschichte anschaulich zu machen. Statt einem vermeintlichen Ideal wurde Geschichtlichkeit, auch im Sinne von Brüchen aufgezeigt, und in dieser Hinsicht aufklärerisch gewirkt.

2006 begann der Abriss des Palastes der Republik, um hier den Neubau des Berliner Schlosses zu realisieren | Bild: Nachlass Hans Peter Stiebing | apabiz e.V.

 

Beim Humboldt Forum wurde sich bewusst gegen diesen Weg entschieden, der mit dem ursprünglichen Votum der internationalen Expert*innenkommission und dem Beschluss des Bundestags noch offen gestanden hatte. Die Mehrheit der Jury hat einen entsprechenden Entwurf der Architekten Kühn/Malvezzi beim Wettbewerb verworfen. Den teilnehmenden Architekt*innen wurde durch den vorherigen Komplettabriss des Palasts der Republik zudem die Möglichkeit genommen, spätere Phasen deutscher Geschichte an diesem Ort in ihrer architektonischen Gestaltung aufgreifen zu können. Stattdessen wurden in der Planung Schritt für Schritt weitere, ursprünglich nicht vorgesehene Bauelemente aus der Zeit vor 1918 original rekonstruiert und damit die Symbolbedeutung des Gebäudes radikalisiert. Wichtigster Baustein war die heftig umstrittene Kuppel mit Christuskreuz und Bibelspruch aus der Zeit der Restauration Mitte des 19. Jahrhunderts. Umgekehrt wurde jeder Versuch, die Symbolbedeutung auszubalancieren und in ihrer Eindeutigkeit aufzubrechen, verhindert. Der Vorschlag der Gründungsintendanz, das Kunstwerk ZWEIFEL des Künstlers Lars Ø. Ramberg auf dem Bauwerk zu installieren wurde ebenso verworfen wie die Idee, den Bibelvers nachts mittels einer LED-Installation mit anderen Zitaten zu überblenden.

Werben um Spender*innen in (extrem) rechten Kreisen

Maßgeblich für diese Entwicklung war das Wirken des Fördervereins Berliner Schloss. Dessen Versprechen, die Fassaden durch private Spenden zu finanzieren, verlieh dem Projekt eine basisdemokratische Legitimation, dem sich die Politik als Bauherrin verpflichtet sah. Bereits 1993 warb der Förderverein in der Jungen Freiheit mit einer großen Anzeige um Spenden.[8] Dem Gründungsvorstand des Fördervereins gehörte als stellvertretender Vorsitzender Dieter Lieberwirth an. Ende der 1980er Jahre tat sich Lieberwirth zunächst als NPD-Anhänger hervor, bevor er sich als langjähriger Funktionär zunächst bei den Republikanern, u.a. im Bundesvorstand, und schließlich bei der AfD engagierte. Lieberwirth schied zwar 1994 aus dem Vorstand des Fördervereins aus, blieb aber aktives Mitglied und Spender. Weitere AfD-Politiker*innen und Unterstützer*innen finden sich unter den Funktionär*innen und Großspender*innen des Vereins. Wilhelm von Boddien als Vorsitzender bzw. Geschäftsführer des Vereins warb in einigen extrem rechten und rechtsradikalen Kreisen für die Rekonstruktion des Schlosses, so in der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft Hamburg[9] und bei der Jungen Landmannschaft Ostpreußen.[10] So ist es nur folgerichtig, dass dieses Milieu für die historischen Rekonstruktionen spendete und über optionale Bausteine auch auf die Ausgestaltung Einfluss nehmen konnte. Keineswegs sind alle Fälle bekannt, da mehr als 30 Prozent der Spenden anonym sind, wobei selbst dem Verein bei einem Großteil die Provenienz unbekannt ist. Die umstrittene Kuppel ist einem anonymen Spender zu verdanken, der mittels eines mittleren Millionenbetrags die Realisierung dieses Bauteils sicherstellte und damit durchsetzte. Ein weiterer rechtsradikaler Großspender ist der inzwischen verstorbene Berliner Privatbankier Ehrhardt Bödecker, der sich gelegentlich auch antisemitisch äußerte.[11]

Am Berliner Schloss zeigt sich exemplarisch, wie es der extremen Rechten aktuell gelingt, mittels Rekonstruktionsprojekten in die gesellschaftliche Mitte vorzudringen und diese zu infiltrieren. Dabei führt die holzschnittartige Polarisierung des Diskurses zwischen Pro oder Contra Rekonstruktion zu einer Lagerbildung, aufgrund derer die nötige Abgrenzung von extrem rechten Kräften unterbleibt. Selbstredend sind der größere Teil der zehntausenden Spender*innen und der Förderverein keineswegs extrem rechts. Doch zeigt der Förderverein wenig Interesse, sich von extrem rechten Kreisen abzugrenzen.[12] In Reaktion auf die Kritik bekannte sich der Geschäftsführer des Vereins Wilhelm von Boddien ohne Ausnahme zu allen Spender*innen, das heißt auch zu den rechtsradikalen und rechtsextremen und wurde für diese Standhaftigkeit von der Jungen Freiheit gelobt.[13] Der Vereinsvorsitzende Richard Schröder leugnete den Antisemitismus des Großspenders Bödecker mit Falschbehauptungen, die ihm inzwischen gerichtlich untersagt wurden. Unter dem Deckmantel von Kultur, Schönheit und Stadtreparatur wird hier ein Zusammengehen von konservativen und extrem rechten Kräften sichtbar.

  1.  Maximilian Krah: Politik von rechts. Ein Manifest, Schnellroda 2023, S. 52ff. (dieses und die nachfolgenden Zitate)
  2.  Exemplarisch sind hierfür die weiter unten zitierten Beiträge von Dieter Stein oder von Claus Wolfschlag: Heimat bauen. Für eine menschliche Architektur, in: Andreas Molau (Hrsg.): Opposition für Deutschland. Widerspruch und Erneuerung, Berg am Starnberger See 1995, S. 113–152.
  3.  Dazu zählen die Neugestaltung des Regierungsviertels der Burg Buda sowie mittelalterliche Burgen und Kirchen aus der Zeit des Großungarischen Reichs, das Königsschloss Posen und das Sächsische Palais in Warschau, Neu-Cherson in der ukrainischen Stadt Sewastopol und zuvor die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau, der Somnath-Tempel in Veraval und der Hindu-Tempel in Ayodhya.
  4.  Vgl. zum Berliner Schloss: Philipp Oswalt: Kulturrevolution mit Preußen, Zeit Online, 4.3.2024.
  5.  Dieter Stein: Der Aufbau hat begonnen! Junge Freiheit, 4.11.2005.
  6.  Dieter Stein: Das Herz beginnt wieder zu schlagen, Junge Freiheit, 27.4.2007.
  7.  Dieter Stein: Wunder geschehen, Junge Freiheit 11.6.2015.
  8.  Weitere Informationen und Quellen finden sich im dem Buch: Philipp Oswalt: Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik, Berlin 2023.
  9.  Wilhelm v. Boddien: Zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses, in: Deutschland-Journal, Fragen zur Zeit 2001, S. 29 – 31. | Zur politischen Einordnung der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft Hamburg vgl.: Andreas Speit: Verfassungsschutz wacht auf, Taz, 02.07.2023.
  10.  Vgl. Terminankündigung in der Jungen Freiheit vom 29.1.1999 und 5.2.1999. | Zur politischen Einordnung der Jungen Landmannschaft Ostpreußen vgl. auch: Belltower News: Die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO), 22.04.2008.
  11.  Jörg Häntzschel: Genug der Ehre. Humboldt-Forum. Süddeutsche Zeitung. 03.11.2021.
  12.  Richard Schröder: Wir sollen die Gesinnung unserer Spender überprüfen. Aufforderung zum Rechtsbruch durch die Stiftung. Berliner Extrablatt. Nr. 97. Mai 2022, S. 5-7.
  13.  JF-TV Thema: Kampf ums Berliner Schloss, youtube, 17.06.2022.