Der arabisch-israelische Konflikt in der rechten Publizistik – Teil 2

Der Überfall palästinensischer Terroristen auf Israel am 7. Oktober 2023 und der anschließende Krieg in Gaza haben weltweit Reaktionen hervorgerufen. Die vorliegende Magazine-Ausgabe untersucht, wie die deutsche extreme Rechte die Massaker und  die darauffolgenden Entwicklungen darstellt. In Kooperation mit dem Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) haben wir Periodika, Reden und Interviews ausgewertet. Wie wurde darüber berichtet? Wie bewerten die Autor*innen extrem rechter Medien das Ereignis und die Rolle der beteiligten Akteure? Wie wird die Auseinandersetzung in der extremen Rechten Deutschlands kommentiert? Und was hat aus deren Sicht der Konflikt überhaupt mit Deutschland und der extremen Rechten zu tun?

Für diese Ausgabe haben wir Artikel von Compact, Junge Freiheit, Zuerst!, Sezession und Deutsche Stimme, sowie verschiedene Reden und Interviews von AfD-Mitgliedern ausgewertet. Am 16. Juli 2024 wurde die Compact-Magazin GmbH durch das Innenministerium verboten.

Update: Am 14. August 2024 hat das Bundesverwaltungsgericht das Verbot der Compact teilweise ausgesetzt.

 

Von Mika Pérez Duarte, Dana Fuchs, Julius Gruber, Vera Henßler

Teil 1 des Artikels »Der arabisch-israelische Konflikt in der rechten Publizistik« ist hier nachzulesen. Der Artikel erscheint im Rahmen der apabiz-Publikationsreihe magazine. Diese nimmt rechte Periodika unter die Lupe, beleuchtet zentrale Diskurse und schafft damit eine Grundlage für die argumentative Auseinandersetzung.

»Ersatznationalismus« und Vergangenheitspolitik

Die Debatte um muslimisch geprägten Antisemitismus, die von nahezu allen hier untersuchten Publikationen geradezu dankenswert aufgegriffen wird, verbindet sich vielfach mit einem weiteren Narrativ. Ähnlich wie bereits in der Rezeption des Ukraine-Krieges[1] wird erneut über einen deutschen »Ersatznationalismus« geschrieben: Da den Deutschen das Nationalbewusstsein nach 1945 verwehrt worden sei, artikuliere sich dieses Bedürfnis in der Unterstützung anderer Nationen, so etwa der Ukraine oder eben Israels, bei gleichzeitiger Ignoranz eigener Interessen. »Nationalmasochismus«, »Schuldkultpatriotismus«, »Israelbesoffenheit«, oder eben »Ersatznationalismus« sind hierfür einige gängige Begriffe in der rechten Publizistik.

Der arabisch-israelische Konflikt habe in Deutschland eine »zivilreligiöse Dimension« angenommen, beklagt Martin Sellner auf dem Blog der Sezession: »Denn die dogmatische Auslegung der Aufgabe, die Welt so einzurichten, ›dass Auschwitz sich nicht wiederhole‹, ist der Identitätskern der Bundesrepublik.« (22.10.2023) Die Wahrung israelischer Staatsinteressen sei zum deutschen Staatsziel geworden. Die Schwäche Deutschlands sieht Sellner darin, dass es keinen »Identitätskern« außer dem »Schuldkult« mehr habe. Mitunter wird dem deutschen Staatshandeln eine gewisse Paradoxität unterstellt, da der Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland deutlich mache, wie wenig die deutsche Staatsräson mit Blick auf Israel mit der derzeitigen Einwanderungspolitik zu vereinbaren sei. »Diese Art von Einwanderer, die aus ihrer Israel-Feindlichkeit und ihren Hamas-Sympathien keinen Hehl macht, ist schon seit geraumer Zeit ein Schizo-Problem für das schuldkultgespeiste herrschende Narrativ, das verlangt, sowohl den Juden als auch den Migranten anzubeten«, schreibt Lichtmesz auf dem Blog der Sezession. (12.10.23)

In der Zuerst! monieren Lieger, Schöps und Kranzler, dass Deutschland nicht die Interessen des eigenen Staates priorisiere, sondern »an das Schicksal eines anderen Staates koppel[t]«. Dies gehe so weit, dass Geflüchtete sich zum Existenzrecht Israels bekennen müssen, »um ein Asyl-Ticket für das deutsche Migranten-Mekka zu lösen«. (12/2023)

Auch Maximilian Krah, zu diesem Zeitpunkt noch AfD-Bundesvorstandsmitglied und Spitzenkandidat für die EU-Wahl[2] verknüpft in einer Rede über »Vergangenheitspolitik und politische Gegenwart« auf einer Tagung des Instituts für Staatspolitik (IfS)[3] im November 2023 in Schnellroda das Narrativ eines deutschen Schuldkults mit dem Anti-Migrationsdiskurs. Das Bedürfnis nach historischer Entlastung artikuliert sich bereits zu Beginn von Krahs Rede: »Über die Vergangenheit zu sprechen ist schlimm genug, in Kombination mit Israel ist es nahezu unmöglich.« Krah führt unter Rückgriff auf das antijudaistische Stereotyp jüdischer Rachsucht weiter aus: »10 Auge für 1 Auge, nämlich eine Politik im Gaza-Streifen, die absehbar Flüchtlingsströme in Gang setzt, […] wenn man da bereits fragt, ist das denn korrekt«, werde man »massiv angegriffen«. Das liege Krah zufolge an einem vermeintlichen »Ersatznationalismus«, einer »Identifizierung mit Israel« als »Ersatz für die fehlende Identifizierung mit dem eigenen Vaterland«. Krah führt den vermeintlichen Ersatznationalismus auf »eine ganz eigenartige Vergangenheitsaufarbeitung«, auf deutsche »Nationalneurosen« zurück. Ihm zufolge eröffneten sich angesichts des 7. Oktobers und seiner Folgen neue »Diskussionsfenster für die eigene Geschichtsaufarbeitung«. Wenn nun über Opfer in Gaza gesprochen werde, so soll das zum Anlass gemacht werden, über »Dinge [zu sprechen], die bisher Tabu gewesen« seien, nämlich »über deutsche Opfer«. Es ist Krah selbst, der eine projektive Identifizierung des ›Fremden‹ mit dem ›Eigenen‹ vornimmt. Darin betrachtet er die Palästinenser*innen immer als Opfer Israels, um dieses Narrativ dann auf den deutschen Kontext anzuwenden. So werden die Deutschen während des Nationalsozialismus mit den Palästinenser*innen gleichgesetzt und als Opfer der Alliierten inszeniert: »Dresden war unzulässig und Gaza ist auch unzulässig.« Die Opfer der nationalsozialistischen Deutschen hingegen werden damit wie nebenbei zu den Täter*innen von heute. Daher bestehe seitens Deutschlands gegenüber Israel auch »keine besondere Verantwortung«. Solche Äußerungen Krahs sind durchaus auch als Kritik an den eigenen Parteimitgliedern zu verstehen, die am 12. Oktober, noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Gräueltaten stehend, in ihre Reden ausführten, dass mit den von der Hamas geführten Massakern auch »wir, der gesamte Westen« (Gauland) gemeint seien und gegenüber Israel »schon aus unserer gemeinsamen Geschichte heraus besondere Verantwortung« bestehe (Moosdorf). Wenn Maximilian Krah also von Diskussionsfenstern spricht, die es zu nutzen gelte, so ist damit auch die AfD selbst gemeint, innerhalb derer die Grenzen des Sagbaren im Sinne geschichtsrevisionistischer deutscher Opfernarrative verschoben werden sollen.

Auch in der Jungen Freiheit bedienen sich einzelne Autoren gängiger rechter Opfernarrative im Zusammenhang mit der Debatte um Antisemitismus und verknüpfen diese mit dem Narrativ der Cancel Culture. Referiert wird etwa auf Kontroversen, die im akademischen Milieu oder in der Kulturszene geführt werden, darunter die Absage der Kölner Universität an die US-Philosophin Nancy Fraser. Fraser hatte einen offenen Brief mit dem Titel »Philosophy for Palestine« unterzeichnet, der dem BDS-Kontext zuzuordnen ist und antisemitische Stereotype bedient.[4] In der JF verweist Florian Werner auf Immanuel Kant und die Aufklärung, demnach müsse es möglich sein, sich öffentlich zu äußern, »und sei’s auch in der Form von Schmu«. (17/2024) Dass die freie Rede in Deutschland seit langem bedroht sei, ist nicht nur in der Jungen Freiheit immer wieder zu lesen, sondern auch ein konstitutives Narrativ im extrem rechten Denken insgesamt. Entsprechend sei Fraser nicht ganz unschuldig, denn schließlich habe sie »als Intellektuelle an der Definition eines hegemonialen Diskurses mitgetan […], aus der Andersdenkende immer schon herausgefallen sind«, womit Werner wohl auf das nationalkonservative Milieu der JF selbst anspielt. Einen ähnlichen Gedankengang verfolgt JF-Stammautor Thorsten Hinz in seinem Artikel über den jüdischen Pianisten Igor Levit, der sich gegenüber der Wochenzeitung ZEIT enttäuscht über die ausbleibende Solidarität mit Jüdinnen*Juden in Deutschland gezeigt hatte. Für Hinz ist dies die Konsequenz aus dem »bundesdeutschen Schuldkult« und »faktischen Trauerverbot für die eigenen Opfer« nach dem 2. Weltkrieg: »Woher soll Empathie mit anderen – hier: mit Israel, mit jüdischen Betroffenen – denn kommen, wenn die Deutschen nicht einmal mit sich selbst empathisch sein können und ihnen die Fähigkeit dazu systematisch abtrainiert wurde? Aus diesem Grund bilden sie auch keine handlungsfähige Willensgemeinschaft mehr und können sich der Zerstörung des demokratischen Rechtsstaates und ihrer Lebenswelt überhaupt nicht entgegenstellen. […] Die Erkaltung gegenüber der ›dehumanisation‹ – der Entmenschlichung – der jüdischen Hamas-Opfer, die Levit beklagt, haben seine grünen Gesinnungsfreunde gegenüber deutschen Opfern seit jeher an den Tag gelegt.« (49/2023)

Insgesamt spiegeln die Beiträge in den unterschiedlichen Periodika eine durchaus ambivalente Haltung wider: Zum einen ist man besorgt vor einer weiteren militärischen Eskalation bis hin zu einem Dritten Weltkrieg. Zum anderen besteht die Hoffnung, dass der 7. Oktober und seine Folgen und die damit zusammenhängenden Debatten und Proteste neue Räume eröffnen, um tradierte rechte Forderungen, etwa nach einer restriktiven Migrationspolitik, mit mehr Nachdruck in die politische Debatte einzubringen. Die israelische Kriegsführung in Gaza wird als Ausgangspunkt einer Kritik der deutschen Staatsräson begriffen, in deren Anschluss der ›Schuldkult‹ direkt mit entsorgt werden kann.

Historische Betrachtungen und ›Großer Austausch‹[5]

Einzelne Artikel streifen die Geschichte des arabisch-israelischen Konfliktes. Mitunter wird hier ein eindimensionales und unterkomplexes Bild gezeichnet, in dem Israel als jahrzehntelanger und alleiniger Aggressor dargestellt wird. In der Deutschen Stimme schreibt Moritz Altmann unter der Überschrift »Israel: Terror als Geburtshelfer der Staatsgründung«: »Was würde wohl geschehen, wenn alle Völker Anspruch auf das Land erheben würden, das ihre Vorfahren vor 2000 Jahren verlassen haben? Die Welt versänke in Krieg und Terror. Nur ein Volk kam mit dieser vermessenen Idee durch: die Juden mit der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948.« Entlarvend, wenngleich wenig überraschend für ein neonazistisches Blatt ist die Tatsache, dass Altmann die Zusammenhänge zwischen dem Vernichtungsantisemitismus in Europa, der Schoa und jüdischer Einwanderung nach Palästina ebenso wenig erwähnt wie die Tatsache, dass Jüdinnen*Juden schon immer in dem Gebiet gelebt haben. Während er ausführlich auf die Vertreibung der Palästinenser*innen im Zuge des Unabhängigkeitskrieges von 1948 eingeht, wird die Verfolgung von Jüdinnen*Juden in Europa nahezu auf einen Satz reduziert: »Während des Zweiten Weltkrieges erlebte Palästina eine jüdische Masseneinwanderung.« Obgleich die Deutsche Stimme in ihrer Schwerpunktausgabe zum arabisch-israelischen Konflikt mehr als ein Dutzend Beiträge versammelt, kommt das Wort »Antisemitismus« nur einmal vor: als Bildunterschrift zu einer Buchbesprechung von Theodor Herzls Buch »Der Judenstaat«. Neben einzelnen vergleichsweise nüchternen Artikeln bleiben viele Beiträge der neonazistischen Tradition eines mehr oder weniger offenen Antisemitismus treu. Mit Blick auf die Berichterstattung zum 7. Oktober lässt Nick Griffin, einstiger Vorsitzender der neonazistischen British National Party verlauten, die Mainstream-Medien seien »überwiegend im Besitz und unter der Kontrolle der gleichen Leute«. In den sozialen Netzwerken gäbe es hingegen eine rege Diskussion über »die unverhältnismäßige Beteiligung von ›denen, die nicht genannt werden sollen‹ an Entwicklungen vom Kulturmarxismus bis zum Feminismus, von Online-Pornos bis zur Trans-Agenda und von Pfizer bis zum globalen Blutsauger-Bankensystem«. Griffin bemüht hier ganz offen tradierte antisemitische Ideologeme.

Antisemitische Propaganda gehört seit jeher zum Repertoire der extremen Rechten: Aufkleber, Flugblätter und Plakate der 1970er bis 2010er Jahre aus dem Archivbestand des apabiz e.V.

 

Auf dem Blog der Sezession macht Martin Lichtmesz hingegen einigermaßen deutlich, dass die jüdischen Einwanderungswellen in einem Zusammenhang stehen mit antisemitischen Pogromen, dem Vernichtungsantisemitismus der Nationalsozialisten und der Schoa. Beim Thema Israel ersetzt die Diskussion demographischer Entwicklungen die sonst oft ausufernden geopolitischen Ausführungen der Neuen Rechten. Die Überlegungen zum demographischen »Kampf« führt Lichtmesz mit Bezug auf Gunnar Heinsohns Buch »Söhne und Weltmacht« aus, dessen These vom »youth bulge« bereits von Thilo Sarrazin aufgegriffen worden war. Demnach seien Gesellschaften mit einer sehr hohen Anzahl an jungen Menschen, insbesondere jungen Männern, prädestiniert für Gewalt und Konflikte. »Israels Existenz steht und fällt nach wie vor mit der demographischen Frage.« (117/2023) Sowohl die kinderreichen Palästinen-ser*innen als auch der israelische Staat mit seiner Bevorzugung der kinderreichen Siedler*innen erwögen diese als demographische Waffe, so Lichtmesz. Es ist wenig überraschend, dass sich die extreme Rechte mit Demographie, Bevölkerungswandel und Identität befasst, fürchtet sie doch den ›Großen Austausch‹. Dieser habe in Israel schon stattgefunden: »Die Situation ist seitenverkehrt: Israel ist ein Staat, der von Einwanderern und Flüchtlingen im Zuge eines ›großen Austausches‹ auf Kosten der ansässigen Bevölkerung errichtet wurde, die sich jedoch nicht geschlagen gibt und danach strebt, auf ihrem angestammten Gebiet wieder die Mehrheit zu stellen, womit der sie beherrschende Staat zunehmend in ein ›südafrikanisches‹ Dilemma gerät.« (117/2023)

Neben ähnlichen historischen Ausführungen thematisiert die Compact den ›religiösen Fundamentalismus‹. Hierbei fokussiert das Blatt auf die jüdische Orthodoxie, während dem islamischen Fundamentalismus, der in dem Konflikt ja nicht nur eine untergeordnete Rolle spielt (Hamas, Islamischer Dschihad, Hisbollah, das iranische Mullah-Regime etc.) weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die Gründe für den Krieg und Israels aktuelles Vorgehen werden dabei in antisemitischer Weise im Kontext eines Weltherrschaftsanspruches gesehen, der dem orthodoxen Judentum immanent sei. Demnach würden sich »Endzeitliche Juden« innerhalb ihrer »Endzeitsekte« eine letzte Schlacht herbeisehnen, um ihre Vormachtstellung zu manifestieren. (12/2023) Der Krieg in Gaza wird so zu einer historisch-religiös begründeten Schlacht eines jüdischen Fanatismus. Im Gegensatz dazu stehen einige Artikel, die sich mit den Öl- und Gasvorkommen in der Region beschäftigen und diese als Grundlage für die Eskalation sehen. Ob es um geopolitische Interessen geht oder der Charakter der jüdischen Orthodoxie als ausschlaggebend ausgemacht wird, am Ende teilen die Autoren die Vermutung, dass es Israel um einen finalen großen Sieg gehe und diplomatische Lösungen daher nicht mehr möglich sein werden.

Rechte Positionierungen

In der Gesamtbetrachtung ist deutlich geworden, dass die Bewertung und das Schreiben über den 7. Oktober und den Krieg in Gaza in der rechten Publizistik vielfach auf den zentralen politischen Themen der extremen Rechten aufbaut. Insbesondere die Migrations- und Vergangenheitspolitik sowie die Frage, inwieweit der Umgang mit dem Konflikt Auswirkungen auf die extreme Rechte selbst hat (Stichwort ›Meinungsfreiheit‹, ›Antisemitismuskeule‹) spiegeln sich in den Beiträgen der rechten Publizistik wider. Vielen Autor*innen dienen die aktuellen Ereignisse als Anlass, ihren antisemitischen Ressentiments neuen Raum zu geben oder Antisemitismus zu externalisieren. Dabei wird die Debatte um muslimischen Antisemitismus einerseits instrumentalisiert, um die deutsche Migrationspolitik anzuprangern. Anderseits befürchtet man, dass sich der Vorwurf des Antisemitismus etwa anlässlich vergangenheitspolitischer Äußerungen auch gegen das eigene Milieu wenden kann oder sieht sich darin bestätigt, dass diesem schon immer jegliche Grundlage gefehlt habe. Schließlich macht man sich Hoffnung, dass das militärische Vorgehen Israels in Gaza den Vorwurf des Antisemitismus zukünftig zu entkräften vermag. Hierzu resümiert Torsten Hinz in der JF: »Für die Deutschen war es wegen des Holocausts stets Gewissenspflicht gewesen, sich unverrückbar an die Seite Israels zu stellen und einen Quasi-Philosemitismus zu pflegen. Wie lange aber wird die Pflicht noch empfunden, wenn täglich Horrorbilder aus Gaza über den Bildschirm flimmern? […] Der [Antisemitismusdiskurs] ist brüchig geworden und steht international vor der Verabschiedung. Dieser Diskurs ist in der Vergangenheit immer wieder gegen Rechte und Konservative gewendet worden. Es wäre ein Treppenwitz, wenn die sich nun als seine letzten Verteidiger betätigten.« (15/2024)

Mit Blick auf die Schoa und den Zweiten Weltkrieg wird seit jeher ein bundesdeutscher ›Schuldkult‹ beklagt, dessen man sich entledigen möchte und der in unmittelbarem Zusammenhang steht mit dem bundesdeutschen Verhältnis zu Israel. Die harsche und bisweilen offen antisemitische Positionierung gegenüber Israel in der neonazistischen und verschwörungsideologisch geprägten Publizistik liegt nicht zuletzt hierin begründet. Hingegen sorgt der weit verbreitete antimuslimische Rassismus auch dafür, dass Solidarität mit den Palästinenser*innen ausbleibt. Ganz besonders deutlich wird das in einem Streitgespräch in der Deutschen Stimme. Während sich der Neonaziaktivist Sven Skoda dafür ausspricht, »für Palästina Flagge zu zeigen« und sich »klar gegen Israel und seine Mord- und Vertreibungspolitik« zu positionieren kommt Chefredakteur Peter Schreiber zu dem Ergebnis: »Ich will diese Leute hier nicht haben, also hänge ich auch nicht ihre Flagge aus dem Fenster.« (12/2023)

In der Sezession betonen Martin Sellner und Götz Kubitschek, dass sich die rechte Szene am Thema nicht spalten, sondern vielmehr Allianzen schaffen solle. Es gehe darum, sich auf »das Eigene« zu fokussieren. Historische Entwicklungen werden von Martin Lichtmesz mit der Methode der freien Assoziation neu zusammengesetzt: »Wir Rechten sind nun in der unerquicklichen Lage, wie die Zionisten der Gründergeneration über möglichst friedliche und freiwillige ›Transfers‹ (wir nennen es: ›Remigration‹) nachdenken zu müssen, ohne ein Äquivalent der Zionistischen Weltorganisation hinter uns zu haben.« Aus den Ausführungen lässt sich ein gewisser Neid des Autors auf die zionistische Bewegung herauslesen, auf welche er eine enorme Macht projiziert. Zugleich vergleicht Lichtmesz die Lage der Deutschen mit der historischen Situation der arabischen Palästinenser*innen, »denn auch unserem Volk könnte eines Tages eine ›Nakba‹, eine ethnische Säuberung, bevorstehen, mindestens aber der Status als Minderheit im eigenen Land.« (117/2023) Hier beweist Lichtmesz eine erstaunliche Übertragungsleistung, indem er die Situation der Rechten in Deutschland sowohl mit der Lage der frühen Zionisten als auch der Palästinenser*innen vergleicht, wobei letztere, und damit dann auch die Deutschen, wiederum zu Opfern der Erstgenannten werden. In wenigen Worten dramatisiert Lichtmesz so die Lage der extremen Rechten bzw. der »Deutschen« und verklausuliert die verschwörungsideologische Idee der Gefahr eines vermeintlichen Bevölkerungsaustausches in Deutschland und Österreich. Vor dem Hintergrund der großen politischen Bedeutung, die der Begriff »Nakba« (arabisch, zu dts.: »Katastrophe«) für die Beschreibung der Folgen der israelischen Staatsgründung für Palästinenser*innen hat, kann dessen Verwendung für den deutschen Kontext auch als Trivialisierung der Situation der Palästinenser*innen verstanden werden.

Das Beispiel verdeutlicht einmal mehr, dass es in den extrem rechten Beiträgen zum arabisch-israelischen Konflikt zuerst darum geht, Situation und Debatte auf den deutschen Kontext und das eigene Milieu zu übertragen. Im Kern werden vor allem Identitätsfragen und tradierte extrem rechte Opfernarrative verhandelt. Die Autor*innen haben so letztlich vor allem eines im Sinn: sich selbst.

 

  1.  Vgl. apabiz e.V: magazine # 11: Der Ukraine-Krieg in der rechten Publizistik, Berlin 2023.
  2.  Um Krah wurden im Mai 2024 diverse öffentliche Kontroversen geführt. Im Ergebnis schloss die rechte ID-Fraktion im Europäischen Parlament alle AfD-Vertreter*innen aus der Fraktion aus und Krah trat aus dem Bundesvorstand der AfD zurück. Zugleich verhängte die Partei für ihn ein Auftrittsverbot im laufenden Europa-Wahlkampf. Bereits einen Tag nach der Wahl im Juni 2024 beschlossen die neu gewählten Delegierten der Partei, dass Krah nicht Teil der Europa-Delegation sein wird. Die Auseinandersetzung um Krah im rechten Lager, die auch die Zusammenarbeit mit anderen Rechtsaußenparteien in Europa maßgeblich beeinflusst hat, ist dabei exemplarisch für das Ringen zwischen den Machtstrateg*innen in der Partei und Akteuren wie dem einstigen IfS, die eine parteipolitische, strategische Abgrenzung innerhalb des eigenen Milieus immer wieder deutlich als Anbiederung kritisieren. Kubitschek deutete die Auseinandersetzung um Krah auf dem Blog der Sezession als Sieg der transatlantischen Rechten in Europa: »Es geht nicht um den Politikstil Krahs oder um geschichtspolitische Fragen. Es geht darum, daß sich in Europa ein mächtiger konservativer Ableger der US-amerikanischen Rechten gebildet hat, der das rechtskonservative Europa prägen will und wird – auf Kosten Deutschlands und unter Beteiligung deutscher konservativer Irrelevanz.« (26.05.2024)
  3.  Das IfS wurde im April 2024 aufgelöst. Die vom IfS herausgegebene Zeitschrift Sezession wird vom früheren Institutsleiter Erik Lehnert und seinem Unternehmen Metapolitik Verlags UG weitergeführt. Götz Kubitschek hatte bereits im Februar 2024 die Unternehmensgesellschaft Menschenpark Veranstaltungs UG gegründet, unter der weiterhin Akademien, Seminare, Tagungen und Messeveranstaltungen angeboten werden sollen. In der Sezession begründete Kubitschek den Schritt mit einem möglicherweise drohenden Verbot des Vereins.
  4.  Vgl. Bundesverband RIAS e.V.: Antisemitismus bei BDS. Akteure – Aktionsformen – Wirkungen, 2023, [27.06.2024].
  5.  Der Begriff »Großer Austausch« dient der extremen Rechten als verschwörungsideologischer, antisemitischer Kampfbegriff: Demnach soll die weiße Bevölkerung in Europa durch Migrant*innen ersetzt werden. Dieser Prozess wird vermeintlich durch eine kleine Elite gesteuert.