Foto: pixabay.de

Auf der Zielgeraden?

Bei den Europa- und Kommunalwahlen in Brandenburg hat der Landesverband der AfD seinen Einfluss ausbauen können. Eine Wahlanalyse zu einem der drei Ost-Bundesländer, in denen im September Landtagswahlen stattfinden.

Von Christoph Schulze

Ganz locker lief die AfD bei den Europawahlen am 9. Juni in Brandenburg mit 27,5 Prozent Stimmanteil als erstplatzierte Partei ins Ziel. In ähnlicher Höhe waren Ergebnisse in den anderen ostdeutschen Flächenländern ausgefallen. Im Bund landete die AfD mit 15,9 Prozent erstmals auf dem zweiten Platz. Diese Erfolge gelangen der Partei trotz eines desaströsen Wahlkampfes mitsamt der Skandale um den Europa-Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Dass die AfD ihre Rekordumfragewerte aus den Vormonaten von bis zu 22 Prozent bundesweit am Ende nicht in reale Stimmen umsetzen konnte, kann vor diesem Hintergrund keineswegs als Ausdruck von Schwäche gelten. 6,3 Millionen Menschen stimmten bundesweit für die AfD, das sind satte 2 Millionen mehr als 2019.

Die 27,5 Prozent der Brandenburger Stimmen entsprachen in absoluten Zahlen bei einer recht hohen Wahlbeteiligung 380.000 Menschen. So viele haben in Brandenburg noch nie für die AfD gestimmt. Im Bund und noch einmal ausgeprägter in Brandenburg wurde im Wahlergebnis die Unzufriedenheit mit der Ampelregierung deutlich. Deren Parteien verloren, ganz besonders stark die Grünen. Trotz ihres Rechtskurses profitierte die Union nicht von ihrem Status als bundesweit größte Oppositionskraft, sondern stagnierte. Während die Linkspartei auch in Brandenburg unter die Fünfprozentmarke fiel, debütierte das Wagenknecht-Bündnis (BSW) – das real bisher kaum über Strukturen verfügt – mit einem starken Ergebnis von 13,8 Prozent in Brandenburg. Nachwahlumfragen zufolge wirkte das BSW dabei keineswegs als AfD-Dämpfer, sondern holte seine Stimmen vor allem bei SPD und Linken. Die progressiv orientierten Parteien SPD, Linkspartei und Grüne kamen zusammengerechnet auf gerade mal 23,5 Prozent der Stimmen.

Im Wahlkampf setzte die AfD auf die Betonung ihrer Präsenz in Form von massenhafter Plakatierung. Ergänzend kamen Wahlkampfstände und einige Kundgebungen hinzu. Der Andrang hierbei blieb insgesamt überschaubar. Während des Wahlkampfes berichteten Wahlkämpfer*innen anderer Parteien vielfach von Sachbeschädigungen und Aggressionen durch AfD-Sympathisant*innen. Die Beratungsstelle Opferperspektive bestätigt diese Eindrücke. Die Brandenburger Polizei vermerkt steigende Zahlen politischer Kriminalität seit Jahresbeginn.

Neue politische Realität

Es ist zu befürchten, dass sich im Brandenburger Europawahlergebnis nicht nur ein Ampelfrust ausdrückt, sondern die neue politische Realität. Laut Nachwahlumfragen ist »Enttäuschung über andere Parteien« ein immer seltener genanntes Motiv für die Wahl der AfD. Dass die Partei gegen den »Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen« einstehe, wird ihr von ihren Wähler*innen zugutegehalten, AfD-Programm und ihr Klientel stimmen in diesem Kernanliegen also überein. Um die 25 Prozent für die AfD in Brandenburg – vielleicht ist das jetzt erst einmal so.

Der AfD-Landesverband ist radikaler denn je. Die Parteiführung wird das jetzige Wahlergebnis als Ansporn nehmen, diesen Kurs fortzuführen. Ihr Ruf verbessert sich im Gegensatz dazu. Eine Umfrage im Herbst 2023 ergab, dass noch 58 Prozent der Brandenburger Bevölkerung meinen, »die AfD distanziert sich nicht genug von rechtsextremen Positionen«. Das ist eine Mehrheit, aber ein sattes Minus von 19 Punkten gegenüber dem Wert von 2019. So sieht Normalisierung aus.

Parallel zu den Europawahlen wurden in Brandenburg auch die kommunalen Gremien neu gewählt. In den Ergebnissen finden sich weitere Anhaltspunkte für die Stabilisierung der AfD als Wahlpartei. Eigentlich gelten kommunale Wahlen, mit ihrem starken und konkreten Ortsbezug und der Nähe zu den Kandidierenden als ganz anders strukturiert als eine Wahl zu einer abstrakteren Instanz wie dem Europaparlament. Real kam das Ergebnis der AfD mit 25,7 Prozent bei den Kreistagswahlen dem Resultat der Europawahlen jedoch sehr nahe. Im Jahr 2019 hatte dieser Wert noch bei 15,9 Prozent gelegen. Bis auf den Kreis Potsdam-Mittelmark (CDU) und die Stadt Potsdam (SPD) wurde die AfD in allen 14 Landkreisen und vier kreisfreien Städten die stärkste politische Kraft. Rekordergebnisse wurden im Süden in Spree-Neiße (38,2 Prozent) und in Oberspreewald-Lausitz (31,8 Prozent) sowie in der Uckermark (31,1 Prozent) erreicht.

Legt man die Größe des Verbandes zugrunde, ist die Brandenburger AfD weit davon entfernt, die Volkspartei zu sein, zu der sie sich selbst erklärt. Den aktuellsten Angaben zufolge verfügt sie über lediglich rund 2400 Mitglieder – selbst die Grünen haben im Bundesland mehr Mitglieder. Kommunalpolitische Präsenz ist der AfD jedoch offenbar wichtig, denn sie mobilisierte ihre Mitgliedschaft und ihr Umfeld stark, um viele Wahlantritte zu realisieren. Leuchtturmartig wurde in manchen Kreisen demonstrativ die eigene Stärke herausgestellt. In Märkisch-Oderland beispielsweise standen 61 Personen auf der AfD-Liste für den Kreistag, mehr als überhaupt Sitze zu vergeben waren. Insgesamt hat die AfD 1795 Kandidaturen aufgeboten, die sich auf 1139 Personen verteilten (einige kandidierten für mehrere Mandate gleichzeitig). Im Median waren die AfD-Kandidierenden 57 Jahre alt. Wegen des guten Abschneidens am Wahltag errang sie 1134 Mandate, von denen sie 1037 antreten wird. In 97 Fällen kann die AfD die errungenen Mandate mangels Personal nicht besetzen – eine ziemlich hohe Ausfallquote. Zudem nahmen einige AfD-Kandidat*innen ihre gewonnenen Mandate schlichtweg nicht an.

Es ist zu befürchten, dass sich im Brandenburger Europawahlergebnis nicht nur ein Ampelfrust ausdrückt, sondern die neue politische Realität.

Die Werte der vorigen Kommunalwahlen wurden übertroffen. 2019 hatte die AfD für 923 Mandate kandidiert, 566 gewonnen, von denen sie 523 besetzen konnte. Das heißt: Die Zahl der AfD-Mandate in Brandenburg hat sich mit den jetzigen Wahlen annähernd verdoppelt: von 523 auf 1036. Auf der höchsten kommunalen Ebene der Kreistage (inkl. kreisfreie Städte) war das Wachstum ebenfalls bemerkenswert. 248 der insgesamt 942 Brandenburger Kreistagsmandate hat die AfD gewonnen, während es 2019 noch lediglich 153 waren. Die Brandenburger Kreistage werden durch die gestärkte AfD noch männlicher. Nur 28 Prozent der Mitglieder in den Brandenburger Kreistagen sind Frauen. Bei der AfD ist das Missverhältnis noch krasser: 84 Prozent Männer, 16 Prozent Frauen.

Unter den Mandatsträger*innen der AfD sind viele, die politisch unerfahren und für die parlamentarische Arbeit nicht qualifiziert, vielleicht auch nicht fähig sind. Bisherige Stichproben zur kommunalpolitischen Praxis der Partei in Brandenburg stellen dieser ein überwältigend schlechtes Zeugnis aus. 2023 wurde eine »Kommunalpolitische Bildungsvereinigung Brandenburg« (KOBB) ins Leben gerufen, mit dem Zweck, »Unterstützung zur Vorbereitung auf ein kommunalpolitisches Mandat« zu leisten. Anfang August bietet die Organisation einen Seminartag an, bei dem den Mandatsträger*innen »Basiswissen« vermittelt werden soll. Ein Tropfen auf den heißen Stein: Ihre Defizite dürfte die Partei damit allerhöchstens abmildern können.

Wenig Wunder nimmt es derweil, dass unter den AfD-Mandatsträger*innen nicht wenige zu finden sind, die eine knallharte neonazistische Vita vorweisen. Nur ein Beispiel: In der Stadtverordnetenversammlung von Zossen sitzt jetzt Stefan Broschell, der als Betreiber des Bücherdienstes eine wichtige Funktion in der 2023 verbotenen Neonazi-Sekte Artgemeinschaft inne hatte. Verstrickungen von vielen weiteren Brandenburger AfD-Kommunalpolitiker*innen in den Neonazismus ließen sich aufzählen. Festzuhalten ist: Die Brandenburger AfD integriert Neonazis.

Desaströse AfD-Bilanz in den Kommunen

Gleichwohl scheinen die Wahlergebnisse in verblüffend vielen Fällen kaum an die tatsächliche kommunalpolitische Performance der AfD in den Vorjahren gekoppelt zu sein. In Cottbus gab es mit 29,2 Prozent ein gutes Ergebnis für die AfD, sogar rund sieben Prozent höher als bei den vorangegangen Wahlen. Dabei hatte sich die AfD-Fraktion in der von ihr als »Leuchtturm« gefeierten Lausitzmetropole seit 2019 ganz ohne Not und in aller Öffentlichkeit selbst demontiert. Auf Streitereien folgten Austritte. Von der elfköpfigen Fraktion waren bis 2020 nur noch fünf Mandate übrig. Nicht die parlamentarische Praxis, aber die Straßenpolitik hat die Cottbuser AfD um ihren Kreisvorsitzenden Jean-Pascal Hohm perfektioniert. Bei Coronaprotesten folgten bis zu 4000 Menschen den Demoaufrufen aus der AfD-Blase. Die Partei integriert dabei ganz offen militante Rechte. Bei den Coronaprotesten in Cottbus wurde mehrmals ein Schwarzer Block mit Vermummten prominent in Szene gesetzt. Auch im Barnim und in Dahme-Spreewald hatten die AfD-Fraktionen seit 2019 vor allem mit Spaltungen und Skandalen auf sich aufmerksam gemacht, trotzdem wurde die Partei mit 24,5 Prozent beziehungsweise 25,6 Prozent Wahlsiegerin. Das bedeutet: Zumindest auf Kreisebene waren die AfD-Ergebnisse auch kommunal keine Personenwahlen oder der Zuspruch für als zufriedenstellend bewertete Parlamentspolitik.

Mit rund einem Viertel der Sitze wird die AfD in den Kreisparlamenten nirgends das politische Handeln alleinig bestimmen können. Aber Sachpolitik ohne oder gar gegen sie wird noch schwieriger werden. Die CDU wird zeigen müssen, ob sie willens und in der Lage ist, ihre Basis von Kooperationen mit der AfD abzuhalten. Unter den im ländlichen Raum immens wichtigen Wahlgemeinschaften und –zusammenschlüssen, den Bauern- und Feuerwehrgruppen wird es auch Kräfte geben, die einer Kooperation mit der AfD zugeneigt sind. In einigen Orten wie in Lübben (»Unser Lübben«) oder in Cottbus (»Mittelstandsinitiative«) sind zudem klar AfD-nahe Gruppierungen in die Parlamente eingezogen. Andere rechtsextreme Parteien kommen indes nicht als Partnerinnen der AfD infrage – sie existieren als politisch relevante Kraft kaum mehr. Die militanten Neonazis von »Der III. Weg« errangen einen Kreistagssitz (Prignitz), Die Heimat zwei (Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree). Die geplante Zusammenarbeit zwischen Heimat und einigen AfD-Mitgliedern in Südbrandenburg, die nach der Wahl bekannt gegeben wurde, sagt einiges aus über das AfD-Milieu. Sie war letztlich aber eher ein PR-Gag der Neonazis von Die Heimat als Ausduck einer kommunalen Mehrheitsbeschaffungsoption für die AfD.

Wahlsieg im Herbst ist greifbar

Was verheißen die aktuellen Entwicklungen für die Landtagswahlen im September? Natürlich ist die Dynamik bis zum Wahltag nicht vorherzusehen. Aber auf Grundlage des derzeitigen Wissenstands muss festgehalten werden: Ein Wahlsieg ist für die AfD greifbar. Seit über einem Jahr führt die AfD sämtliche auf die Landtagswahlen bezogene Umfragen an. Selbstbewusst hat die Partei ihr Wahlmanifest »Regierungsprogramm« genannt. »Remigration« wird darin ganz offen als politische Kernforderung vertreten.

Fraktionschef Christoph Berndt tritt als Spitzenkandidat auf der Landesliste an. Bis vor kurzem tobte im Landesverband ein Machtkampf zwischen dem Lager der mit dem »Flügel«-Netzwerk verbundenen Landesvorsitzenden Birgit Bessin und einem nicht minder radikalen zweiten Lager um Berndt, das ein professionelleres Erscheinungsbild des Verbands sicherstellen möchte. Bei den Parteitagen im April, also gerade noch rechtzeitig für die heiße Wahlkampfphase, wurde der Konflikt beendet. Bessin verlor ihren Posten und als neuer Landesvorsitzender wurde der mit Berndt eng verbundene Bundestagsabgeordnete René Springer bestimmt.

Schranken in Hinsicht auf die Reputation ihres Personals scheint es in der Partei größtenteils keine mehr zu geben. In Potsdam hat die Partei mit Tim Krause einen verurteilten Steuerhinterzieher aufgestellt. Über den Barnimer Kandidaten Roman Kuffert wurde unlängst bekannt, dass er eine Vergangenheit als Stasi-Spitzel hat.

Wenn die AfD im September erwartungsgemäß die 23,5 Prozent Stimmanteil der Landtagswahlen 2019 übertrifft, wird sie voraussichtlich die Anzahl ihrer Direktmandate steigern können. Daraus könnte sich eine Erhöhung der Ausgleichsmandate und in der Folge eine Verfassungskrise ergeben. Der Bertelsmann-Stiftung zufolge wäre ein Szenario denkbar, in dem die Zahl der Parlamentssitze von eigentlich 88 auf 140 steigen würde. Gesetzlich ist in Brandenburg die Zahl der Sitze aber auf höchstens 110 begrenzt. Noch ist nicht abzusehen, wie sich dieser Widerspruch auflösen lässt. Politisch profitieren könnte einmal mehr die AfD. Schon 2019 hatte sie etliche Wahlkreise gewonnen und in weiteren den Sieg nur knapp verfehlt. Wie jetzt schon kommunalpolitisch wird nach der Wahl auch landespolitisch die Bedeutung der AfD weiter anwachsen. Die Positionen der Partei zu vielen gesellschaftlichen Fragen sind eigentlich reichlich unpopulär, etwa in Bezug auf Frauenrechte und Geschlechterfragen. Schwangerschaftsabbrüche will die Brandenburger AfD erheblich erschweren – ein Vorhaben, welches im Bundesland nicht als mehrheitsfähig gelten kann.

Ansätze für ein Entgegensteuern gilt es im Angesicht der ernsten Lage zu finden. Problematisch dabei ist nicht nur die AfD selbst, sondern auch, dass wichtige Akteur*innen die AfD als »gewählte und nicht verbotene Partei« legitimieren, sie weiterhin als Protesterscheinung verharmlosen oder als gangbares Rezept gegen AfD-Offensiven eine Art Entpolitisierung des öffentlichen Raumes ansehen. Dabei gibt es durchaus demokratische Gegenmilieus und somit auch Potenziale für Offensiven gegen die AfD. Die Demonstrationen am Jahresanfang nach Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen waren auch in Brandenburg zahlreich und stark.