»Rohe Bürgerlichkeit« – Analyse für die täglichen News
Rezension: Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse. Suhrkamp Verlag 2021, 192 Seiten, 16 Euro.
Von Ulli Jentsch
Mit ihrem jüngsten Buch legt die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl eine hilfreiche Analyse rechter Volksparteien vor. Sie trifft damit den Nerv auch der aktuellen Entwicklungen in Deutschland.
Strobls Buch zum Konservatismus ist bereits einen Monat nach Ersterscheinung ein Bestseller. Bis hin zum Handelsblatt wurde ihr Buch überwiegend positiv aufgenommen und empfohlen. Dabei ist der Stoff keiner, aus dem Bestseller gemacht werden. Die Österreicherin widmet sich den Entwicklungen in rechten, konservativen Volksparteien hin zu einer erneuerten, radikalisierten Variante ihrer selbst. Ihre Analyse dieser Hinwendung zu vermehrt anti-demokratischen, populistischen Methoden hatte Strobl in der Vergangenheit immer wieder in den Medien dargestellt, Sie ist dadurch zu einer der meist gefragten Wissenschaftler*innen zum Thema im deutschsprachigen Raum geworden.
Erosion des Konservatismus
In ihrem Buch kulminieren ihre Beobachtungen der vergangenen Jahre auf 150 Seiten (plus Anmerkungen und Quellenapparat). Strobl schöpft aus ihrem profunden Wissen über die Entwicklung der Republikanischen Partei in den USA unter Donald Trump sowie die als »Erneuerung« verkaufte Rekonstruktion der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) unter Sebastian Kurz. Sie versteht die Entwicklungen als »Erosionsprozess innerhalb des konservativen Milieus« unter dem Druck der erstarkenden »Neuen Rechten«. Daraufhin radikalisierte sich laut Strobl ein Teil und »popularisierte sukzessive Positionen, die zuvor nur in der extremen Rechten zu hören waren.«
Die Autorin liefert zunächst einen komprimierten Überblick über die extreme Rechte, um Faschismus und Konservatismus in ihren Unterschieden, aber auch in ihren Gemeinsamkeiten zu erklären. Für ihre Untersuchung wesentlich sei der Übergangsbereich: »Das Mischspektrum zwischen Faschismus und Konservatismus (…) bedarf einer näheren Betrachtung, da beide hier aktiv zusammenkommen.« Und zwar tun sie dies nach Strobls Auffassung in der »Neuen Rechten«, die sie ausgehend von der französischen Nouvelle Droite und deren »Gramscianismus von rechts (der Gramsci unrecht tut)« versteht.
Werde unter dem Druck der gesellschaftlichen Veränderungen nun im konservativen Milieu zudem eine zunehmend »rohe Bürgerlichkeit« gepflegt (wie sie Wilhelm Heitmeyer exemplarisch für die »deutschen Zustände« beschreibt), bewege sich dieses auf den »offenen Rechtsextremismus« zu. Diese Transformation versteht Strobl als »radikalisierten Konservatismus«. Dieser kündige beispielsweise – »demonstrativ und performativ« – den ohnehin schon prekären Nachkriegskonsens mit der Sozialdemokratie auf, wie es Sebastian Kurz in Österreich getan habe.
Regelbruch und Parallelwelten
Strobl analysiert ihren Gegenstand anschließend in sechs Schritten, vom bewussten Regelbruch und der Polarisierung gegenüber »den Anderen«, dem neuen Führungsstil (»Ich, Ich, Ich«) und dem Angriff auf die Institutionen bis hin zur medialen Dauer-Inszenierung und Fake News. Der Autorin gelingt es in ihrem essayistischen Text unter Hinzuziehung vieler Beispiele, den Lesenden mehr Antworten als Fragen zu liefern.
Unwillkürlich drängt sich beim Lesen immer wieder die Frage auf: »Und was ist mit der deutschen Politik?« Eine Ausweitung der Analyse auf die bundesdeutschen Verhältnisse wäre wünschenswert. Dafür bietet sich die Performance der Unionsparteien und ihrer rechten Ränder während des Wahlkampfes und nach dem (verweigerten) Verlust der politischen Macht geradezu an. In diesem Sinne lässt sich Strobls Buch auch als »Textbook« zu den Entwicklungen bei CDU und CSU lesen, wie sie selbst kommentierte.
Umgekehrt wird in diesen Tagen – Anfang Oktober – Sebastian Kurz mit seinem zweifelhaften Erneuerer-Mythos als Leitfigur für eine Erholung des Konservatismus in Deutschland durch einzelne CDU-Politiker*innen genannt, während dieser im Fokus von Betrugsermittlungen steht und die Zentrale seiner ÖVP durchsucht wurde. Das macht deutlich, wie wichtig Strobls Analyse aktuell für alle ist, die sich mit dem populistischen Elend der Konservativen auseinandersetzen müssen.