»Berliner Zustände« 2020 erschienen
Zivilgesellschaftliches Engagement in der Pandemie – Das Jahr aus der Sicht Berliner Projekte und Initiativen: Im März 2020 hielt die globale Pandemie Einzug in das Leben der Berliner*innen und nahm nicht nur ihren Alltag in Beschlag, sondern prägte auch ihr politisches Engagement. Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, beispielsweise die Kontaktbeschränkungen und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, stellten viele Engagierte und Initiativen vor unbekannte Herausforderungen. Die rechtsoffenen Proteste gegen die Maßnahmen begannen in Berlin unter dem Namen »Hygiene-Demos« und finden unter verschiedenen Labels unterschiedlicher Akteur*innen bis heute statt. Was bedeutete das Corona-Jahr 2020 für die engagierten Projekte und Einzelpersonen? Was leitete sich daraus ab, mit welchen Problemen waren sie konfrontiert, welche Analysen ziehen sie daraus, wie hat die Pandemie ihre politische Arbeit verändert, was sind die prägenden Diskussionen und was hat sich eventuell sogar bewährt?
In der vorliegenden 14. Printausgabe der »Berliner Zustände – Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus« stellen Berliner Projekte und Initiativen auf über 100 Seiten ihre Perspektiven auf die wesentlichen Entwicklungen und Tendenzen in diesen Themenkomplexen unter dem Einfluss der Pandemie im Jahr 2020 dar: Doris Liebscher (Leiterin LADG-Ombudsstelle) verweist im Vorwort auf die bedeutende Vorarbeit zivilgesellschaftlicher Projekte für das vor einem Jahr in Kraft getretene Landesantidiskriminierungsgesetz. Thị Minh Huyền Nguyễn und Victoria Kure-Wu, Initiator*innen der Plattform #ichbinkeinvirus.org, sprechen über den seit Beginn der Pandemie verstärkt sichtbar gewordenen anti-asiatischen Rassismus, betonen jedoch dessen lange Tradition. Jörg Reichel (dju) berichtet von Einschränkungen der Pressefreiheit und Angriffen auf Journalist*innen im Zuge der Corona-Proteste. Julia Kopp (RIAS Berlin) analysiert antisemitische Verschwörungsmythen und Post-Schoa-Antisemitismus im Rahmen der rechtsoffenen Versammlungen. Auch im privaten Umfeld hielt Verschwörungsideologie Einzug – das belegen die steigenden Beratungsanfragen an die MBR, so Anna Müller im Interview. Trotz Pandemie und zweier Lockdowns fällt die Bilanz der Opferberatungsstelle ReachOut erneut beunruhigend aus: Die Zahl der registrierten Angriffe blieb hoch – wie die sich durch das Heft ziehende Chronik des Jahres zeigt. Bafta Sarbo, Simone Dede Ayivi und Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) geben Einblicke in ihre aktuellen internen Diskussionen vor dem Hintergrund der »Black Lives Matter«-Proteste. Die Initiative Seebrücke erzählt von den Versuchen, mit einer Online-Demo und dezentralen Mitmach-Aktionen neue Ausdrucksformen in der Pandemie zu finden und auch die Berliner VVN/BdA musste auf große Feierlichkeiten zum 8. Mai verzichten und das Gedenken in ihre Social-Media-Kanäle verlagern. Der diesjährige Schattenbericht verliert auch andere wichtige Themen nicht aus dem Blick: Weitere Beiträge und Interviews fragen nach den Aufklärungsmöglichkeiten eines parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur extrem rechten Angriffsserie in Neukölln (Ulli Jentsch, apabiz/NSU-Watch und Caro Keller, NSU-Watch), beschäftigen sich mit der Debatte um rechtsextreme und rassistische Vorfälle in der Polizei (Christoph Kopke, HWR) und analysieren die Rolle extrem rechter Frauen (Ulla Wittenzeller und Sarah Klemm, Dissens) oder den Einfluss der Muslimbruderschaft in Berlin (Kim Robin Stoller, IIBSA).
In Ergänzung zur vorliegenden Printausgabe erscheint zudem online auf www.schattenbericht.de und www.mbr-berlin.de der Artikel »Besorgniserregende Schulterschlüsse in Pandemiezeiten« von Frank Metzger (apabiz) mit Unterstützung von Ulf Balmer (MBR), der die verschwörungsideologischen Straßenproteste gegen die Corona-Maßnahmen des letzten Jahres analysiert.
Bianca Klose, Projektleiterin der MBR, betont anlässlich der Veröffentlichung:
Im Jahr der Pandemie und insbesondere bei den Corona-Protesten ist erneut sichtbar geworden, was Einstellungsuntersuchungen seit Jahren auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft feststellen und wovor zivilgesellschaftliche Organisationen oft gewarnt haben: Menschen, die vorgeblich für Freiheitsrechte auf die Straße gingen, artikulierten oft antisemitische Verschwörungserzählungen, verknüpft mit demokratie- und wissenschaftsfeindlichen Haltungen«, so Klose. »Die wachsende und zunehmend enthemmte Verachtung der Demokratie und ihrer Vertreter*innen verheißen – auch mit Blick auf die anstehenden Wahlen – nichts Gutes. Auf die Gefahr, die von Verschwörungsdenken, Demokratiefeindlichkeit und Ideologien der menschlichen Ungleichwertigkeit ausgeht, muss eine gesamtgesellschaftliche Antwort gefunden und die Expertisen aus der Zivilgesellschaft müssen frühzeitig miteinbezogen werden.
Frank Metzger, Mitarbeiter des apabiz:
Die Bündnisse gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind sehr heterogen, unübersichtlich und zudem von einer kaum einzuschätzenden Dynamik gezeichnet. Viele der Teilnehmenden haben sich in kürzester Zeit enorm radikalisiert und zeigen keinerlei Berührungsängste mit der extremen Rechten. Diese Entwicklung ist besorgniserregend. Umso wichtiger ist es, die Stimmen derer zu hören und ernst zu nehmen, die dem entgegenwirken und in den Berliner Zuständen von ihren Erfahrungen, Sichtweisen und neuen Herausforderungen berichten.
Gerne stehen wir Ihnen unter folgenden Kontaktdaten für Rückfragen zur Verfügung:
apabiz Tel.: (030) 611 62 49 | Mail: mail@apabiz.de
MBR Tel.: (030) 817 985 810 | Mail: presse@mbr-berlin.de
Die Publikation »Berliner Zustände – Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus« wird seit 2006 jährlich gemeinsam vom antifaschistischen pressearchiv und bildungszentrum berlin (apabiz e.V.) und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) herausgegeben. Die »Berliner Zustände 2020« sind online abrufbar unter schattenbericht.de und mbr-berlin.de. Gedruckte Rezensionsexemplare können über mail@apabiz.de und presse@mbr-berlin.de bezogen werden.