Einengung der Kampfzone
Incels haben nach aktuellen Schätzungen in den USA und in Kanada seit 2014 ca. 50 Menschen, vornehmlich Frauen, ermordet.[1] Nun wird weltweit erstmalig eine dieser antifeministisch-misogyn motivierten Taten auch als Terrorakt verhandelt. Es könnte ein wichtiger Schritt sein, Frauen*hass und Antifeminismus nicht als privates sondern politisches Motiv und damit auch als potenzielle terroristische Gefahr anzuerkennen, aber dieser birgt viele Fallstricke.
von Eike Sanders
Am 24. Februar 2020 beging ein noch minderjähriger Mann einen Messerangriff in einem Massagesalon in Toronto. Er tötete die 24-jährige Ashley Noell Arzaga und verletzte eine andere Frau. Die Ermittlungen der Polizei ergaben, dass der Täter sich »von der Ideologie der Incels habe leiten lassen«. Daher erweiterten im Mai die anklagenden Staatsanwaltschaften die Anklage auf Mord und versuchten Mord um ein Terrorismusverfahren. »Terrorismus hat viele Erscheinungsformen und es ist wichtig festzustellen, dass er nicht auf eine bestimmte Gruppe, Religion oder Ideologie beschränkt sei«, formulierten die Polizei von Toronto und die Bundespolizei RCMP in einem gemeinsamen Statement. Zudem hat nun der kanadische Geheimdienst CSIS die »Incel-Ideologie« als Extremismus und die »Subkultur« als »Ideologically Motivated Violent Extremist (IMVE)« eingestuft. Auch der US-Bundesstaat Texas hatte zu Beginn des Jahres einen Bericht des Geheimdienstes veröffentlicht, der die Incel-Bewegung inzwischen dem inländischen Terrorismus (domestic terrorism) zuordnet. Dem Bericht zufolge könne ihre potenziell tödliche Gefahr die Bedrohung durch andere Arten inländischen Terrorismus erreichen oder gar in der Zukunft übertreffen.
Die Ausweitung des Terrorismus-Begriffes
Das Attentat im Massagesalon in Toronto wird zurecht eingereiht in ein sich immer stärker herauskristallisierendes Phänomen, was als misogyn-antifeministischer Terrorismus beschrieben werden muss. Terrorismus ist in diesem Sinne die mörderische Kommunikationsstrategie für die eigenen Ziele: Die Tat transportiert die Ideologie. Sie trifft willkürlich ausgewählte Personen oder Repräsentant*innen einer bestimmten Feindbildgruppe mit dem Ziel, unter allen Angehörigen der Feindbildgruppe Angst und Schrecken zu verbreiten und zu Spannungen zwischen und innerhalb gesellschaftlicher Gruppen zu führen. Wer also Feminismus als Übel der Welt ansieht und Frauen oder LGBTI tötet, weil sie für ihn den Feminismus repräsentieren, handelt unter Umständen durchaus terroristisch. Sollten Geheimdienste, Polizei und womöglich Justizbehörden diese Phänomene nun als ›Incel-Terrorismus‹ labeln, ergeben sich daraus schwerwiegende Probleme:[2]
Zunächst birgt die Ausweitung jeglicher Terrorismusdefinitionen immer die Gefahr, dass behördliche, insbesondere geheimdienstliche Maßnahmen unkontrollierbar mit ausgeweitet werden. Die in den USA angekündigte Einstufung »der Antifa« als terroristisch ist nicht nur angesichts der eindeutig rechten politischen Stoßrichtung ein Desaster, sondern auch weil sie rein organisatorisch eigentlich unmöglich sein müsste und uns einen ekelhaften Vorgeschmack der immanenten Willkür geben muss, wenn der Staat immer mehr Vereinigungen als terroristisch klassifizieren will.
Die Kontinuitäten des antifeministischen Terrorismus
Ein weiteres und vielleicht schwerwiegenderes Problem ist die gesellschaftliche Einordnung: Die Kategorie ›Incel-Terrorismus‹ übernimmt die Selbstbezeichnung der Bewegung und beginnt damit zwangsläufig erst 2014. In jenem Jahr tötete der erste sich als Incel bezeichnende Attentäter, Elliot Rodger, in Isla Vista, Kalifornien, sechs Menschen und verletzte dreizehn weitere. Seine Motive hatte er zuvor in einem knapp 150-seitigen autobiografischen Manifest und mehreren Youtube-Videos voller Frauen*hass, misogynen Vernichtungsfantasien, aber auch Rassismus und einem verstörenden Selbstmitleid dargelegt. Unterschlagen werden also die historischen Wurzeln und Kontinuitäten: Das erste bekannte terroristische Attentat gegen willkürlich ausgewählte Frauen, die der Täter als Feministinnen beschimpfte und ergo mit dem Tod »bestrafen« wollte, fand am 6. Dezember 1989 statt – auch in Kanada, an der Polytechnischen Hochschule von Montréal, wo der 25-jährige Täter vierzehn Frauen erschoss und weitere vierzehn Menschen verletzte. In seiner Tasche trug er einen Abschiedsbrief, der erklärte, der Feminismus habe sein Leben ruiniert, ergänzt mit einer Liste von neunzehn prominenten Frauen, die seine Stellung als Mann bedrohten und die er dafür ermorden wollte. Zwar wurde schon 1991 der 6. Dezember zum Nationalen Gedenktag gegen Gewalt gegen Frauen erklärt. Doch es bedurfte jahrzehntelanger feministischer Kämpfe, bis diese Tat überhaupt als »antifeministisch« anerkannt und nicht als die Tat eines psychisch verwirrten Einzeltäters bezeichnet wurde. Erst zum 30. Jahrestag wurde die offizielle Gedenkplakette in Montréal ausgetauscht: Seit Ende 2019 wird explizit der vierzehn durch das »antifeministische Attentat« ermordeten Frauen gedacht und das Massaker nicht mehr als »tragic event« bezeichnet.
Nun berufen sich Incels auf ein antifeministisches und misogynes, aber auch homo- und trans*feindliches Weltbild, das in seinen Denkmustern nicht nur in dieser Subkultur sondern im Mainstream verbreitet und verwurzelt ist. Viel weiter zurück liegen ungezählte Taten gegen Frauen und LGBTI, die (auch) als Repräsentant*innen für Feminismus, »Homo-Lobby« oder den sogenannten Werteverfall ermordet wurden. Überhaupt bringen Männer seit Jahrzehnten und Jahrhunderten Menschen dafür um, dass sie aus den engen Geschlechterrollen und -zuschreibungen, die die patriarchale Ordnung für sie vorsieht, ausbrechen oder gar nicht erst hineinpassen. Der Täter fühlt sich als Rächer für ein angenommenes größeres gesellschaftliches Problem, als Verteidiger einer verlorenen Ordnung. Das haben der als »tragisches Eifersuchtsdrama« verniedlichte Femizid, der vertuschte trans*feindliche Mord an einer Sexarbeiterin und der vergessene Brandanschlag auf eine Schwulenbar gemeinsam und es bleibt ein gesellschaftlicher, nicht ein sicherheitspolitischer Kampf. Die Anerkennung und Sensibilisierung für die dahinterstehenden Weltbilder und Ideologien sind grundlegende Basis. Wenn es in Kanada also ganze 30 Jahre dauerte, bis der Staat den vom Täter vor und während der Tat explizit ausformulierten Antifeminismus benennt, wie viele Taten sind ebenso antifeministisch, misogyn, homo-, trans- und interfeindlich motiviert gewesen, bleiben aber unerkannt? Hier wurde die Chance vertan, die Motivlage anzuerkennen und diese nicht auf eine Szene zu beschränken.
Von Schnittmengen, Widersprüchen und komplexen Motivlagen
Der Versuch, die Gefahr von mörderischem Antifeminismus auf die Gruppe oder Szene der Incels zu fokussieren wird aber nicht nur den historischen Kontinuitäten sondern auch der komplexen Besonderheit des Phänomens nicht gerecht. Es sind nicht alleine die noch völlig unerforschten Größenverhältnisse: Die Größe der Anhängerschaft mag irgendwo zwischen 40.- oder 400.000 liegen.[3] Zum einen sind Incels meist weiße, heterosexuelle Männer und politisch eher Alt-Right oder ultra rechte white supremacists – aber das sind sie bei weitem nicht immer. Zum anderen verdeckt die Kategorisierung als eine »Art« von Terrorismus die ineinandergreifenden menschenverachtende Ideologien, weil er sich auf eine einzige ideologische Verortung festlegt. Der Folgefehler: Rechte Terroristen wie die Täter von Halle und Hanau, die sehr wohl mörderische Vorstellungen von männlicher Vorherrschaft und Frauen*-verachtung inne hatten, werden vorschnell als Incels kategorisiert. Doch beide waren nach heutigem Erkenntnisstand keine: Sie haben sich nicht in Incel-Foren bewegt und sich selbst nicht als Incel verstanden. Für den Täter von Halle ist es richtig und wichtig, die offensichtlichen Parallelen herauszu arbeiten, die vielen sexistischen Bezüge aus der Gaming-Kultur und das paradoxe Selbstverständnis als Versager, der aber eigentlich zu Höherem berufen ist. Sein Gedankengut, aber auch sein Werdegang, seine Sprache, sein Verhalten und seine Musikauswahl während der Tat sind als Teil der Ideologie der Incels zu benennen und einzuordnen.[4] Aber für den rassistischen Täter von Hanau kann nichts dergleichen nachgewiesen werden: Er war ein heterosexueller Mann ohne Freundin und glaubte letztendlich, dass keine Frau gut genug für ihn, den Überlegenen, sei.[5]
Die Gefahr von mörderischem Antifeminismus auf Incels zu fokussieren wird der komplexen Besonderheit des Phänomens nicht gerecht.
Im Rechtsterrorismus kombinieren sich Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus. Auch wenn sie unterschiedlich funktionieren, unterschiedliche Feindbilder generieren, treten sie wesentlich öfter gemeinsam als abgrenzbar auf. Die Kategorie ›Incel‹ grenzt also zu stark ein als dass sie unseren Blick zu schärfen in der Lage sei. Sie fokussiert auf eine einsame Männlichkeit, die sich online radikalisiert hat. Dort, wo der Blick zurecht auf den Frauen*hass und den Antifeminismus gerichtet wird, kommt es zu einer Aufweichung des Incel-Begriffes, die droht, in der Gesellschaft weit verbreitete Einstellungsmerkmale zu externalisieren: Männliche Überlegenheitsvorstellungen, Misogynie und Heterosexismus sind nicht erst dann gefährlich, wenn sich ein Typ in den Onlineforen der Incels bewegt. Für Prävention, Aufklärung und Widerstand ist es wichtig, die Szene im Auge zu behalten, aber nicht sie selbst bietet das alleinige Potenzial antifeministischen Terrorismus: Die drohende Auslagerung von Sexismus, sexualisierter Gewalt, Antifeminismus, Homo- und Trans*feindlichkeit auf diese Gruppe bedeutet tendenziell die Freisprechung des Rests. Es bedeutet, die Gefahr, den Hass, das Zerstörungspotenzial der Ideologie als sicherheitspolitisches Problem zu behandeln, nicht als gesellschaftliches – und das wäre wirklich ein notwendiger Schritt. Insofern wird die Ausweitung der Anklage des Täters von Toronto auf Terrorismus hoffentlich die öffentliche Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für Misogynie und Antifeminismus schärfen. Für eine wirkliche Erfassung und Bekämpfung des Problems ist sie allerdings auf mehreren Ebenen unbrauchbar.
- ↑ Incels = Involuntary Celebates – ›unfreiwillige Zölibatäre‹. Bruce Hoffmann, Jacob Ware: Incels: America’s Newest Domestic Terrorism Threat, lawfareblog online 12.01.2020; zuletzt am 20.07.2020
- ↑ Dazu auch: Reem Bahdi, Fahad Ahmad: Why charging incels with terrorism may make matters worse, the conversation online am 16.06.2020; zuletzt am 20.07.2020.
- ↑ Die Incel-Expertin Veronika Kracher schätzt die Mitglieder der Subkultur auf 50.000 – 100-000: Veronika Kracher (2020): Im Krieg gegen Frauen. Incels verlagern ihren Selbsthass auf andere, in: Jean-Philipp Baeck, Andreas Speit (Hg.): Rechte Egoshooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat. S. 70.
- ↑ Dazu unbedingt lesenswert der Beitrag von Veronika Kracher (2020), S. 67-85.
- ↑ In seinem »Manifest« begründet er sein mangelndes »Liebesglück«: »Allerdings kam ein Kompromiss, den ich mit Sicherheit hätte öfters schließen können, nämlich eine weniger gut aussehende Frau zu nehmen, mit der ich mich irgendwie verstand, nicht in Frage – ich wollte das Beste haben oder gar nichts.« Als Kriterien nennt er »kurze blonde Haare, mit großer Oberweite«, »ein abgeschlossenes BWL-Studium« und dass sie »natürlich intellektuell in der Lage sein musste eine Doktorandenstelle ausfüllen zu können. Hierzu wird es damals nicht allzu viele infrage kommende Frauen in Deutschland gegeben haben.«