Magda Fyssa, die Mutter des ermordeten Pavlos, wurde mit ihrer ständigen Präsenz im Gerichtsaal, mit ihrer Courage und ihrer Kraft, zum Symbol der antifaschistischen Bewegung und des Widerstands gegen Nazi-Terror.  Foto: Marios Lolos

Ein antifaschistischer Sieg

Der 7. und der 22. Oktober 2020 werden für uns in die Geschichte als Tage eingehen, an denen ein griechisches Gericht wegweisende Urteile sprach: Zunächst verkündete es, dass die Goldene Morgenröte als kriminelle Vereinigung im Sinne des griechischen Strafgesetzbuchs tätig gewesen war. Und zwei Wochen später entschied dasselbe Gericht, die gegen die gesamte Führungsriege verhängten Freiheitsstrafen nicht zur Bewährung auszusetzen.

Von Ioanna Meitani, Mitglied der Koordinationsgruppe von Golden Dawn Watch

Wir verließen die kleine Taverne zusammen. Über dem Gebäude des Areopags, in dem die letzten Jahre das Gerichtsverfahren gegen die Goldene Morgenröte stattfand, war der Mond aufgegangen. »Schaut mal, wie schön«, sagte ich. »Ob er auch aus dem Gefängnis zu sehen ist?«, fragte Dafni. Gelächter. Es war früh am Abend. Unser Kreis aus Rechtsanwält*innen der Nebenklage und Mitgliedern von Golden Dawn Watch hatte sich schon mittags getroffen, direkt nach dem Ende des letzten Termins, um seinen Ausgang zu feiern. Es war ein Tag der Freude, des Triumphs, des Erlebens von Gerechtigkeit. Es war einer jener Momente, von denen man hätte denken können, sie würden niemals kommen. Aber der Moment war gekommen, er gehörte uns, es war der Moment, uns zu freuen und zu feiern – denn wer weiß schon, ob wir nochmal im Leben solch einen Sieg erleben werden.

Es war das glückliche und gerechte Ende eines riesigen Gerichtsverfahrens, das fünfeinhalb Jahre gedauert und 466 Termine umfasst hatte. Damit handelte es sich um eines der längsten Gerichtsverfahren der jüngeren griechischen und europäischen Geschichte seit den Nürnberger Prozessen. Auf der Anklagebank hatten unter anderem aktive Parlamentsabgeordnete gesessen.

Der Aufschwung der Goldenen Morgenröte

Bis zur griechischen Wirtschaftskrise war die Goldene Morgenröte eine marginale Nazi-Organisation gewesen. Dann begann sie, die durch die Krise verursachte Angst und Verzweiflung sowie die tief in der griechischen Gesellschaft verwurzelten rassistischen, konservativen und gewalttätigen Reflexe auszunutzen und in Form von als »Stoßtrupps« bezeichneten Schlägerbanden auf den Straßen in Erscheinung zu treten. Diese bedrängten und verprügelten Migrant*innen, demolierten ihre Geschäfte und verlangten Schutzgeld von griechischen Geschäftsinhabern in Nachbarschaften mit einem hohen Anteil an migrantischer Bevölkerung. Ab 2007 erreichte Golden Dawn immer mehr Aufmerksamkeit und erhielt Zulauf von Personen, die zu gewalttätigen Aktionen bereit waren. Bemerkenswert war schon damals, dass die Goldene Morgenröte als offen neo-nationalsozialistische Organisation auftrat, den Hitler-Gruß verwendete und Kontakte zu NS-Gruppen in ganz Europa hatte.

Ihren Höhepunkt erreichte die Gewalt im Jahr 2011, als ein rassistisches Pogrom im Zentrum Athens dutzende verletzte Ausländer und einen Toten, den 21-jährigen Alim Abdul Manan, forderte. Nachdem die Goldene Morgenröte 2012 ins Parlament eingezogen war, führte sie ungehemmt – und mit der Legitimation einer parlamentarisch vertretenen Partei geschmückt – ihre gewalttätige Übergriffsserie fort. Salonfähig wurde sie auch durch die Medien, die bereitwillig ihren Abgeordneten Sendezeit und Präsenz einräumten und so ihre Gewalt und Nazi-Ideologie normalisierten und ins Spektrum der vertretbaren politischen Meinungen rückten. Auf der Straße konnte die Gewalt weitergeführt werden, weil die Polizei nicht genau hinschaute. Meistens unterstützte sie sogar die rechtsextremen Ausschreitungen und oft war sie auch aktiv daran beteiligt. Der Staatsapparat hatte entschieden, die Augen zu schließen, die Justiz schritt nicht ein. Die Goldene Morgenröte hatte nun Büros in jeder Nachbarschaft eröffnet, organisierte Blutspenden und Essensausgaben nur für Griech*innen und propagierte ihren rassistischen, nationalistischen und gewaltverherrlichenden Diskurs über bereitwillige TV-Sender.

Dieser politische Sumpf forderte im Jahr 2013 erneut seinen Blutzoll: Am 17. Januar ermordeten zwei Anhänger der Goldenen Morgenröte kaltblütig den Pakistani Sahzad Luqman auf offener Straße. Am 18. September griff eine solche Gruppe den antifaschistischen Musiker Pavlos Fyssas ab, wobei ihn ein Mitglied der Organisation erstach. Dieser Mord erschütterte das politische System. Auf Initiative von Antifaschist*innen überschwemmten am nächsten Tag tausende von Menschen die Straßen der Nachbarschaft, in der Pavlos gelebt hatte. Die rechtskonservative Regierung begriff, dass sie nach dem Mord an einem griechischen Bürger nicht weiter untätig bleiben konnte, da ihr dies zu viel politische Zustimmung kosten würde. Der Aufschrei der Menschen und der antifaschistischen Bewegung sowie die Angst vor diesem politischen Preis führten den damaligen Minister für öffentliche Ordnung dazu, eine Akte über die kriminellen Machenschaften der Goldenen Morgenröte an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Diese Akte war nicht über Nacht erstellt worden: Sie lag bereits länger in der Schublade des Ministers, der anscheinend bis dahin die Aktivitäten der Organisation nicht als ausreichend »kriminell« eingeschätzt hatte, um sie der Staatsanwaltschaft zu schicken. Die beiden ausländischen Toten zählten offenbar nicht.

Zwischen 2013, als sich die Justiz der Sache annahm, und April 2015, als das aufsehenerregende Gerichtsverfahren begann, führte die Goldene Morgenröte nicht nur ihre gewaltsamen Aktionen auf der Straße weiter durch, sondern behielt auch ihre hohe Wählerzustimmung. Die gewalttätigen Übergriffe gingen erst nach Eröffnung der Hauptverhandlung zurück, ohne jedoch jemals ganz aufzuhören.

Das Gerichtsverfahren

Im Gerichtsverfahren wurden vier Sachen gemeinsam verhandelt: der Mord an Pavlos Fyssas, der versuchte Mord an ägyptischen Fischern in deren Haus, der Übergriff auf Gewerkschafter der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) während sie Plakate klebten, und zuletzt die Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung; also die Frage, ob die Goldene Morgenröte, die unter dem Deckmantel einer politischen Partei zwischen 2012 und 2019 im griechischen Parlament vertreten war, gleichzeitig als kriminelle Vereinigung tätig war. Das Verfahren dauerte fünfeinhalb lange Jahre, währenddessen es außer zu seinem Ende nur sehr wenig Öffentlichkeit genoss. Die Medien, von sehr wenigen leuchtenden Ausnahmen abgesehen, ignorierten es. Sie erschienen nur, wenn sie »vermarktungsfähige« Zeug*innenaus-sagen erwarteten, wie jene der Eltern von Pavlos oder von Prominenten. Ansonsten befassten sie sich nur selten mit den Entwicklungen im Gerichtssaal, obwohl das, was bei der Beweiserhebung ans Licht kam, schlichtweg erschütternd war: So gab es Anstiftungen zum Mord durch Parteikader, Abgeordnete der Goldenen Morgenröte, die angaben, sie hätten keinerlei Achtung vor der Demokratie, den »Führer« der Organisation, der über »Züglein« sprach, die mit Juden beladen in Richtung Auschwitz fuhren, und vieles mehr. Bei 68 Angeklagten dauerten ihre Aussagen und die Plädoyers ihrer Anwält*innen sehr lange. Die Angeklagten selber erschienen nur selten vor Gericht, die Führungsriege erschien nur zur eigenen Anhörung, manche Angeklagten kamen nicht einmal dann. Während 265 Entlastungszeugen angekündigt waren, erschienen nur 69. Angeklagte wie Verteidigung machten dabei einen desolaten Eindruck ohne gemeinsame Verteidigungslinie, frei nach dem Motto »Rette sich, wer kann«. Der Organisation schien es ähnlich zu gehen. Während des Verfahrens traten die meisten Abgeordneten aus der »Partei« aus, behielten jedoch ihre Sitze im Parlament. Der Betrieb der meisten lokalen Parteibüros wurde eingestellt, Mitglieder traten aus und die Organisation wurde zuletzt nur noch durch ihren »Führer« zusammengehalten und verteidigt.

Die unsichtbaren Held*innen des Prozesses: Die Nebenklage, Golden Dawn Watch und in der Mitte Magda Fyssa, die Mutter des ermordeten Pavlos, am Tag der Urteilsverkündung. | Foto: Marios Lolos

Das Urteil und seine Bedeutung

So gab die Verurteilung als kriminelle Vereinigung der Goldenen Morgenröte lediglich den Todesstoß. Aber die Verurteilung delegitimierte die Partei in den Augen vieler Menschen, denn aus den ehemals als hip und mächtig inszenierten Abgeordneten waren gemeine Straftäter geworden. Auf der institutionellen Ebene zeigte die Verurteilung die Folgen, die eine juristische Verfolgung von Neonazis haben kann. Der Straflosigkeit der organisierten rechtsextremen Gewalt war ein Ende gesetzt worden. Bemerkt sei, dass sich die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer für einen Freispruch aller Angeklagten außer des Mörders von Pavlos Fyssas ausgesprochen hatte, da es sich bei den vom Gericht untersuchten Vorfällen um »Einzelfälle« gehandelt habe. Die Dreirichterkammer wurde jedoch ihrer Rolle gerecht, begriff die riesige politische und gesellschaftliche Bedeutung des Verfahrens und ließ sich nicht vom Plädoyer der Staatsanwaltschaft beirren. Sie verurteilte die Führungsriege wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren (bei einem durch das griechische Strafgesetzbuch vorgesehenen Höchstmaß von 15 Jahren) und schickte sie sofort ins Gefängnis, ohne die Strafe zur Bewährung auszusetzen.

So gab die Verurteilung als kriminelle Vereinigung der Goldenen Morgenröte lediglich den Todesstoß.

Auf der politischen Ebene sind die Zusammenhänge komplizierter. Bei den letzten Wahlen im Sommer 2019 hatte die Goldene Morgenröte 2,99% der Stimmen erhalten und so knapp die 3%-Hürde für den Einzug ins Parlament verfehlt. Nun war sie zusätzlich mit dem Stigma der kriminellen Vereinigung versehen. Die Medien erinnerten sich, wenn auch mit kaum zu rechtfertigender Verspätung, daran, dass im Berufungsgericht Athen ein historisches Gerichtsverfahren stattfand und beschlossen, aus Anlass einer riesigen Kundgebung mit rund 40.000 Teil-nehmer*innen) am Tag der Urteilsverkündung, das Verfahren doch ins Licht der Öffentlichkeit zu tragen. So füllten sich die TV-Nachrichten mit Bildern von Mitgliedern der Goldenen Morgenröte auf dem Weg ins Gefängnis. Doch wenn es die politische Situation verlangt, werden dieselben Medien wieder die Extremismustheorie verbreiten, wie sie es seit Wochen tun. Der vorherrschende Diskurs lautet dabei: »Da wir den einen Extremismus losgeworden sind, ist es nun an der Zeit, uns mit dem anderen zu befassen«. Mit einem solchen Narrativ vereinnahmt die konservative Regierung den juristischen Sieg gegen eine rechtsextreme Organisation und inszeniert sich als starke Kraft, die Ordnung ins Land bringen wird. Gleichzeitig übersieht sie weiterhin die weit verbreitete Polizeiwillkür und liefert soziale Zentren, Besetzungen, Demonstrationen und Kundgebungen der Repression aus. So wurde am 7. Oktober die riesige Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude nur wenige Sekunden nach der Urteilsverkündung ohne jeglichen Vorwand gewaltsam durch die Polizei aufgelöst.

Auf der gesellschaftlichen Ebene wissen wir sehr wohl, dass wir offenbar weit davon entfernt sind, den Rechtsextremismus und sein toxisches Wesen losgeworden zu sein. Es ist nicht lange her, dass sich Bürgerwehren an der Landesgrenze zur Türkei formierten, um einreisende Geflüchtete abzufangen. Und auf den Inseln der Ägäis, wo Geflüchtete ankommen und mangels einer humanen nationalen und europäischen Einwanderungspolitik festsitzen, gewinnen rechtsextreme Ansichten an Zustimmung. Dort wüten Gruppen, die Geflüchtete und mit ihnen solidarische Menschen angreifen.

In Griechenland sind wir also weit davon entfernt, den Rechtsextremismus losgeworden zu sein. Die Nazis der Goldenen Morgenröte sind zwar hinter Gittern, aber die rechtsextreme Rhetorik, ihre Narrative und Ideen sind immer noch präsent und es gibt den fruchtbaren Boden, in dem sie gesät werden. Gegen all dies müssen wir antreten – sei es auf der Straße, in der Theorie, in den Schulen, wo und wie wir können. Der Kampf geht weiter, er ist ein schwieriger Kampf, der Bündnispartner braucht.


Die Initiative Golden Dawn Watch

Golden Dawn Watch war eine durch NSU-Watch inspirierte Initiative – vielen Dank dafür, Kolleg*innen! Sie wurde von mehreren NGOs und antifaschistischen Organisationen unterstützt und übertrug in Echtzeit per Twitter alles, was beim Prozess gegen die Goldene Morgenröte im Gerichtssaal passierte. So wurde ein Protokoll dieses sehr langen und wichtigen Verfahrens erstellt. Während der fünfeinhalb Jahre, die das Verfahren dauerte, war sie die Augen und Ohren der Bewegung und der Gesellschaft.