Stasiaufklärung bei West-Nazis
Rezension: Andreas Förster: Zielobjekt Rechts. Wie die Stasi die westdeutsche Neonaziszene unterwanderte. Ch. Links Verlag, Berlin 2018. 264 Seiten, 18 Euro.
von Ulli Jentsch
Der als Journalist durch seine investigativen Arbeiten zu Geheimdiensten und Terrorismus, darunter auch etliche Artikel zum Komplex des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), bekannte Autor Andreas Förster versammelt in seinem neuen Buch Ergebnisse seiner Recherchen in den Aktenbeständen der Stasi. Förster hatte mehrere Jahre die hinterlassenen Akten der Abteilung XXII nach Hinweisen durchsucht, wie dieses Feld durch den Ost-Geheimdienst »bearbeitet« wurde.
Auch wenn es im Untertitel etwas reißerisch suggeriert wird, darf aufgrund der von Förster präsentierten, obschon vorläufigen, Ergebnisse unterstellt werden: Die oft als übermächtig dargestellte Stasi war weit von einer Unterwanderung der Neonazis im Westen entfernt; und noch mehr von einer Steuerung oder Anleitung speziell der rechtsterroristischen Gruppen, wie es andere (Igel 2012) behauptet haben.
Förster beschreibt, nach einem Abschnitt über die »Geschichte des westdeutschen Rechtsextremismus« und einem weiteren über die Zuständigkeiten der Stasi-Abteilungen die von ihm ausgewählten Fälle in zwölf Kapiteln. Den bewanderten Leser*innen dürfte manches, wie der Fall des Nazi-Terroristen Udo Albrecht, bekannt sein. Anderes, wie die Ausspähung der Berliner Hooliganszene – Ost wie West – durch einen Hertha-Anhänger oder die Bespitzelung des West-Berliner Reichsbahn-Angestellten, »Reichsbürgers« und »Unruhestifters« Wolfgang Ebel, war bisher unbekannt. In diesen Fällen beschreibt Förster sehr detailreich und anekdotisch die Zusammenhänge anhand der Aktenlage aus den Stasi-Archiven.
Es kann nicht überraschen, dass besonders viele Strukturen und Personen aus West-Berlin ins Visier der Abteilung XXII gerieten, schließlich war es die vorrangige Aufgabe zu verhindern, dass es zu Provokationen gegen die DDR kam. Es sollten Angriffe auf Institutionen des ostdeutschen Staates und die vielmals angekündigten Attacken auf Grenzanlagen unterbunden werden. So wurde der frühere Innensenator Heinrich Lummer (CDU) bei seinen zahlreichen Besuchen in Ost-Berlin ausgespäht und auch der Versuch der Partei Die Republikaner, grenzüberschreitende Strukturen aufzubauen stand unter Beobachtung. Die West-Berliner Ortsgruppe der NSDAP/AO war ebenso Ziel der Stasi wie der NS-Aktivist Arnulf Priem, dessen Ost-Besuche bei seinem Vater in den Akten landeten: Informeller Mitarbeiter war Priems Vater Horst selber, Deckname »Seemann«. Förster stellt zu recht klar, dass sein Buch »nur einen Ausriss des tatsächlichen Umfangs der Stasi-Aufklärung in der westdeutschen rechtsextremen Szene« darstellt. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung steht immer noch aus. Vor allem ist eine Lücke der Darstellung darin zu sehen, dass es kaum gelingen konnte, die Akten mit anderem Wissen zu kontrastieren: ein grundsätzliches Problem bei solchen Aktenlagen. Denn Akten waren auch im Osten geduldiges Papier: sie wurden geschönt, Vorgänge unterschlagen. Als Belege, wie es wirklich war, sind sie wenig verlässliche Zeugnisse und Beteiligte von damals melden sich kaum zu Wort. Eine von Förster erhobene Forderung ist dann auch die Öffnung westdeutscher geheimer Archive.
Die Stasi zeigte sich der Gefahr der aktiven Informationsgewinnung in der extrem rechten Szene mehrfach bewusst. Es bestand ja durchaus die Gefahr, an Personal der westdeutschen Konkurrenz zu geraten und so einen Doppelinformanten im Nest zu haben. Noch desaströser wäre es für die DDR gewesen, wenn eine aktive Rolle besonders in militanten neonazistischen Organisationen im Westen ruchbar geworden wäre. Auch die offensichtlichen Lücken im Wissen der Abteilung XXII fallen auf. An die Wiking-Jugend scheint die Stasi nicht wirklich heran gekommen zu sein, zumindest spielt diese in den Akten kaum eine Rolle. Die militant antikommunistische Jugendorganisation war in den 1970er-und 80er-Jahren immerhin einer der größten Durchlauferhitzer für rechtsterroristische Personen. Da aber auch andere Abteilungen ihre eigenen Operationen im Westen durchführten, hilft diese Erkenntnis nicht sehr weit.
So bleibt als ein Ergebnis, dass der Eigenantrieb der extrem rechten Organisationen offenbar weitaus größeren Einfluss auf den Gang der Entwicklungen hatte als die manchmal erstaunlich konturlosen Versuche der Informationsabschöpfung durch die Abteilung XXII. Ein großer Plan der Stasi ist nach Lektüre des Buches von Andreas Förster nicht erkennbar.