Rechte Netzwerke im Staatsapparat
Rezension: Matthias Meisner / Heike Kleffner (Hrsg.): Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz. Herder Verlag. 320 Seiten. 24 Euro.
von Ulli Jentsch
Im September wurde der erste Sammelband zu rechten Netzwerken im Staatsapparat veröffentlicht. Das vielfältige Werk zeigt, nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung einer langen Reihe von Investigativjournalist*innen, wie überfällig solch ein Überblick zum jetzigen Zeitpunkt war.
Es ist ein wirklicher Aufwand – selbst für diejenigen, die sich in diesem Stoff auskennen – an all den Geschichten über rechte Terrornetze dran zu bleiben, die direkt oder indirekt auch die derzeitigen Zustände in den deutschen Behörden thematisieren. Seitdem die skandalösen, von institutionellem Rassismus geprägten Ermittlungen der Polizei in der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und die unaufgeklärte Verwicklung der Geheimdienste darin bekannt geworden sind, sind die Zweifel, ob wir diesen Behörden beim Vorgehen gegen rechten Terror vertrauen können, auf dem Tisch. Ebenso wird regelmäßig die Frage aufgeworfen, ob es im Einzelnen rechte Sympathien, behördliche Willkür oder auch ›nur‹ anmaßende Dummheit ist, die Beamt*innen zum Zusammenwirken mit neonazistischen Akteuren bringt. Oder eine beliebige Kombination dieser drei Motive.
Die beiden Herausgeber*innen, Heike Kleffner als freie Journalistin und langjährige Engagierte gegen rechte Gewalt sowie Matthias Meisner, Redakteur beim Berliner Tagesspiegel, machen deutlich, dass die demokratische Verfasstheit von Polizei, Justiz, Bundeswehr und Verfassungsschutz kein Thema wie jedes andere für sie ist. Entsprechend solle das Buch »eine Tiefenbohrung« sein und ausleuchten, wo die Demokratie aufgrund der extrem rechten Gesinnung der zu ihrem Schutz aufgebotenen Funktionsträger*innen plötzlich schutzlos scheint.
Das Thema des Buches ist also hochaktuell, wie auch manche der hier versammelten Recherchen. Die Herausgeber*innen haben es geschafft, viele der Journalist*innen zusammen zu bringen, die in den vergangenen Jahren oder zum Teil auch nur Monaten an ihren Geschichten dran waren. Das Resultat ist eine sehr lange, aber beeindruckende Sammlung von dreißig (!) Artikeln auf 320 Seiten, darunter auch zwei Interviews (mit den Professoren Tobias Singelnstein und Christoph Kopke auf der einen, dem Kriminologen und Polizeiausbilder Joachim Kersten auf der anderen Seite), die beide spannende Einblicke in ›cop culture‹ und polizeiinterne Sozialstrukturen liefern. Hier wird vor allem deutlich, wie dringend notwendig soziologische Studien innerhalb des Polizeikorps sind, um belastbare Aussagen zum Problemfeld in dieser abgeschotteten Behörde zu erhalten.
In den fünf Kapiteln Grauzonen, Polizei, Justiz, Bundeswehr und Verfassungsschutz liefern die Autor*innen unter anderem Einblicke in den »Nazi-Sturm« auf Leipzig-Connewitz (Aiko Kempen), die Anschlagserie in Berlin-Neukölln (Malene Gürgen), den hessischen Polizeiskandal um den NSU 2.0 (Pitt von Bebenburg und Hanning Voigts), den Fall der Nazischläger-Truppe Aryans (Henriette Scharnhorst und Sebastian Scharmer), die AfD als selbst ernannte Soldaten-Partei (Maria Fiedler) oder auch den seltsamen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, Herrn Nocken (Jens Eumann). Einleitungen zu den jeweiligen Kapiteln wären zur Orientierung der Leser*innen hilfreich gewesen. Die meisten Beiträge sind kurz gehalten und einem journalistischen Stil verpflichtet. Trotzdem erschlägt die Menge an Fakten und die Spannweite der Themen schnell und es ist ebenso ratsam wie machbar, das Buch in Etappen zu konsumieren.
Der Sammelband will Diskussionsbeitrag und Anstoß für die Verantwortlichen in der Politik sein, wie es Herder-Lektor Patrick Oelze formulierte; ein Anspruch, den die Anwesenheit von vier Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Deutschen Bundestag bei der überfüllten Buchpremiere bei der taz eindrucksvoll unterstrichen hat. Die Diskussion über rechte Netzwerke in den Behörden hat gerade erst begonnen, der Band »Extreme Sicherheit« ist als Referenzwerk für alle zu empfehlen, die sich daran beteiligen wollen. Sie werden sich auch dagegen wappnen müssen, dass das Entsetzen, das die Enthüllungen über die rechten Umtriebe auslöst, von manchen Verantwortlichen arrogant abmoderiert wird. Auch das war auf der Buchpremiere zu besichtigen und es ist zu hoffen, dass Skandale, wie sie in diesem Buch versammelt sind, in Zukunft nicht mehr unter den parlamentarischen Teppich gekehrt werden können.