Misogyne Gewalt und rechter Frauen*hass
Die Vorstellung einer patriarchalen Ordnung und eine aus dieser begründeten Frauen*feindlichkeit sind wesentliche Elemente einer extrem rechten Ideologie. Dennoch wird bei Gewalt an Frauen* häufig die politische Dimension außer Acht gelassen. Und umgekehrt: Bei rechter Gewalt gegen Frauen* verschwindet die misogyne Dimension der Tat, obwohl es viele Beispiele für Femizide[1] und sexualisierte Gewalt durch extrem rechte TäterInnen gibt.
Von Svenna Berger und Eike Sanders
In Österreich hat Frauen*feindlichkeit (Misogynie) im noch so jungen Jahr 2019 zu mindestens sechs ermordeten Frauen* geführt, in fünf Fällen waren die Täter (Ex-)Partner, beim sechsten ist der Täter, vermutlich aus dem Nahumfeld, noch unbekannt. Österreich erzielte schon im Jahr 2017 den »Europarekord« an Frauen*morden im Verhältnis zur Einwohner*innenzahl und im Verhältnis zur Gesamtzahl der Tötungsdelikte. Im Jahr 2018 waren dann sogar 41 von 70 Toten in Österreich Frauen*. Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben begehen Männer dort zehnmal, solche gegen sexuelle Integrität und Selbstbestimmung fast 60-mal häufiger als Frauen*.[2]
In der extremen Rechten werden diese erschreckenden Fakten ausgeblendet. Das Geschrei der Rassist*innen ist dagegen nur dann groß, wenn die Täter nicht christlich-weiß-österreichischer bzw. -deutscher Herkunft sind. Verschleiert wird dadurch Vieles: zunächst, dass das Risiko für Frauen* (und Männer gleichermaßen) steigt, Opfer einer Gewalttat zu werden, wenn sie nicht weiß sind. Es verschleiert, dass bei diesen Delikten die Mehrheit der Täter immer noch Österreicher oder Deutsche sind. Während aufgrund des öffentlichen rassistischen Diskurses die angenommene oder tatsächliche Herkunft der Täter Raum bekommt, verschwindet die Herkunft der betroffenen Frauen* und dadurch ihr Verhältnis zu dem Täter, somit die Motivlage. Verschleiert wird die übergreifende Gemeinsamkeit: Es geht hier um Männer, die vernichtende Gewalt oft als ein letztes Mittel anwenden gegen jene Frauen*, auf die sie meinen ein naturgegebenes Recht zu haben und von denen sie nun abgelehnt würden: Ihre Frauen*, ihre Ex-Partner*innen, Frauen*, die sie »wollen« – in den selteneren Fällen auch ihnen unbekannte Frauen* als Repräsentant*innen ihres Geschlechts. Es sind Männer, die in einer patriarchalen Gesellschaft sozialisiert wurden, diese ihrerseits exerzieren und womöglich erst recht durchdrehen, wenn sie ihr vermeintliches Recht auf Frauen* in Gefahr sehen.
Das Politische ist nicht privat
Misogyne und patriarchale Gewalt findet im überwiegenden Maße in Beziehung und Familie statt, aber nicht nur dort: Um die Jahreswende herum griff ein (weißer, österreichischer) Mann in Wien mindestens zwei Frauen* mit einer Eisenstange bzw. einem Hammer an und verletzte sie lebensbedrohlich. Teile der Presse bezeichneten die Gewalttaten als »gescheiterten Flirtversuch« und erklärten: Der geständige Mann habe seit rund einem Monat mehrere Frauen* mit einem Fahrrad verfolgt und wollte sie laut Polizei ansprechen. Der Täter glaubte offensichtlich, selbst über ihm fremde Frauen* verfügen zu können. Ein ähnlicher Fall ereignete sich im Dezember 2018 in Nürnberg: Ein 38-jähriger Mann hatte drei ihm unbekannte Frauen* im Alter von 26, 34 und 56 Jahren versucht zu töten. In den Medien wurde zurecht über das Motiv Frauen*hass gesprochen. Kurze Zeit später berichtete der antifaschistische Journalist Robert Andreasch auf Twitter über das rechte Weltbild des Täters: »Daniel G., der in Nürnberg auf drei Frauen eingestochen hat, postete viele sexistische Sharepics, likte und veröffentlichte Hetze gegen Geflüchtete und präsentierte ein White-Power-Logo (für den Fall, dass von toxischer Männlichkeit und rechtem Hintergrund nicht die Rede ist).« Der Täter hatte also gezielt auf Frauen* eingestochen. Dass es vielleicht kein Zufall ist, dass er Rechter ist, fand, über diesen Tweet hinaus, aber keine Erwähnung in der Presse. Auch beim Fall Nick N. aus Chemnitz, der Mitte Januar seine Ex-Freundin entführt und vergewaltigt und mit ihr quer durch die Republik gefahren sein soll, wurde durch antifaschistische Recherche bekannt, dass er in der extrem rechten Szene aktiv ist. Er gilt als einer der Agitatoren der rassistischen Proteste in Einsiedel.[3]
Daniel G., der in #Nürnberg auf drei Frauen eingestochen hat, postete viele sexistische Sharepics, liked und veröffentlichte Hetze gegen Geflüchtete und präsentierte ein White-Power-Logo (für den Fall, dass von toxischer Männlichkeit und rechtem Hintergrund nicht die Rede ist).
— Robert Andreasch (@robertandreasch) December 17, 2018
Während bei nicht-weißen Tätern oft ausschweifend spekuliert wird, ob sie Muslime seien oder gar dem IS nahe stünden, fragt sich bei weißen Tätern die Öffentlichkeit meist nicht, ob und welche politische Gesinnung und/oder Religionszugehörigkeit sie haben könnten. Das ist fatal, denn die politische Ideologie der Täter kann sowohl zu jenen antifeministischen Taten gegen Frauen* als Repräsentant*innen ihres Geschlechts motivieren, als auch Beziehungsgewalt gegen (Ex-)Partnerinnen begünstigen und vor allem die Verletzung oder Entwürdigung der Opfer und Betroffenen von anti-linker, rassistischer, antisemitischer und rechter Gewalt potenzieren. Hier besteht eine Lücke in der Erfassung und auch in der antifaschistischen Recherche und Analyse.
Misogyne Gewalt – ein Erfassungsproblem
Wie viel misogyne Gewalt sich auf eine rechte Ideologie der TäterInnen begründet, wissen wir nicht. Es ist naheliegend, dass die heteronormativen und patriarchalen Vorstellungen als wesentlicher Bestandteil extrem rechter Ideologie sich auf diese Taten auswirken. Dabei gibt es inzwischen eine wachsende wissenschaftliche, journalistische und aktivistische Auseinandersetzung mit Antifeminismus und Genderdiskursen der extremen Rechten. Dass hier dennoch eine Leerstelle aufscheint, überrascht nicht: Eine einheitliche Begriffsbestimmung dessen, was die extreme Rechte bzw. »Rechtsextremismus« ausmacht, gibt es weder in der Forschung noch in den Medien. Häufig wird sich auf Definitionen bezogen, die den »Rechtsextremismus« in Dimensionen der Ideologie erfasst. Misogynie oder Sexismus wird jedoch nur in wenigen Fälle explizit genannt, häufig taucht die Dimension nur am Rande oder gar nicht auf.
Auch in der Definition, was rechte Gewalt ausmacht, fehlt Misogynie. Der Bundesverband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) bezieht sich auf die polizeiliche Definition der Politisch motivierten Kriminalität (PMK), wonach die Ungleichheit/ Ungleichwertigkeit eines Menschen den Kerngedanken einer rechten Ideologie bildet. Gewertet werden Gewalttaten, wenn sie »gegen eine Person gerichtet sind, wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht, bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet.« [4] Demzufolge können Menschen nach den Kriterien des VBRG aufgrund der sexuellen Orientierung oder Identität von rechter Gewalt betroffen sein. Gemeint sind damit jedoch allein die von der Heteronorm abweichenden Personen, d.h. Homo- und Bisexuelle, Trans-, Inter- und queere Menschen. Als Tatmotiv wird Frauen*feindlichkeit dagegen nicht erfasst.
Rechte Femizide
Sichtbar wird das Fehlen des Motivs Misogynie in den Recherchen zu den Todesopfern rechter Gewalt des Tagesspiegel, die mit Unterstützung der Beratungsstellen regelmäßig aktualisiert werden:
Beim Neonazi Thomas Lemke , der Mitte der 1990er Jahre in Bergisch-Gladbach zwei Frauen ermordete, wurde seine Verachtung von Frauen* nur spärlich beleuchtet. Sein erstes Opfer Dagmar Kohlmann – so heißt es später – habe er mit seiner damaligen Freundin zusammen ermordet, um diese »in der Hand zu haben«. Die zweite Frau Patricia Wright habe er als Linke ausgemacht und wollte sie »bekehren«, vergewaltigte sie und tötete sie auf brutalste Weise. Auch wenn beide Fälle völlig unterschiedlich in ihren Abläufen, Motiven und Hintergründen sind, verbindet sie die Vorstellung von Macht und Kontrolle über Frauen. Als Motiv wird diese jedoch nicht gesehen. In der Auflistung des Tagesspiegel wird stattdessen von »anderes Motiv« oder »Hass auf politische Gegner« gesprochen. Dabei muss das eine Motiv das andere nicht ausschließen. Androhung oder Umsetzung sexualisierter Gewalt kann sogar eine Strategie der Einschüchterung von politischen Gegner*innen sein.
Auch in anderen Fällen, bei denen rechte Täter Frauen* ermordeten, wird darüber diskutiert, ob es sich um Machtdemonstration, Beziehungstaten oder Zufallsopfer handelte, selten wird Frauen*hass erkannt oder benannt. Beim Mord an der 32-jährigen Beate Fischer aus Berlin-Weißensee im Jahr 1994 stellte der Richter in der mündlichen Urteilsbegründung fest, die Neonazis hätten »nach ihrer Wolfsmoral Sex als die Bühne ihrer Macht benutzt«. Es wird also offensichtlich eine Verbindung von extrem rechter Ideologie und Hass auf Frauen*, im Falle von Fischer auf Sexarbeiter*innen, erkannt, dennoch benannte der Tagesspiegel in seiner umfangreichen Recherche als Motiv lediglich »Machtdemonstration«.
Um sich der Komplexität zu stellen, wäre es beispielsweise ein Anfang, Misogynie als Teil extrem rechter Ideologie und Tatmotivation explizit aufzuführen.
So erschreckend und verstörend diese Taten sind, dürften sie aus Sicht antifaschistischer Recherche keine Überraschung sein. Frauen*feindliche Äußerungen, ob in Postings in den sozialen Medien, auf Demonstrationen, im Parlament oder in rechten Songtexten gibt es zu genüge. Sei es der Regionalleiter der Identitären Bewegung Berlin-Brandenburg, Robert Timm, der in der Pick-Up-Szene aktiv war und lernte, wie man »Frauen zur Beute macht«.[5] Oder sei es die Junge Alternative NRW, die ihre Aussage »Man sagt, wir wollen Frauen an den Herd ketten…Blödsinn!« bebildert mit zwei fast nackten, sich in einem Bett räkelnden Frauen*, von denen eine Handschellen trägt. Oder seien es die unendlich vielen Beispiele von ekelhaftestem Sexismus und Homo- und Trans*feindlichkeit, die sich in dem und durch von Hypermaskulinität dominierten Rechtsrock finden. Abwertende Darstellungen von Frauen als Objekte, »Matratzen« oder »Schlampen« durchziehen die neonazistische Musik und Internetforen. Gewalt gegen Frauen, die den Mann enttäuscht haben, ist legitimiert. »Volksverräterinnen«, die »Rassenschande« begehen, wird die Existenzberechtigung abgesprochen, »Emanzen«, die auf »dem Grabe unsres Volkes« tanzen, wird mit dem Tod gedroht.[6]
Fazit
Sicherlich treffen neonazistischer und rechter Hass und ihre Vernichtungsfantasien marginalisierte Gruppen oftmals noch stärker und in anderer Weise als weiße cis-Frauen*. Die sexualisierte und sexistische Komponente in extrem rechter Ideologie, in Subkultur und Männerbünden droht aber in ihrer Spiegelung im patriarchalen Alltag unterzugehen: warum sollte man skandalisieren, wie sexistisch Neonazis sind, wenn es Hans und Franz doch auch sind? Die dann drohende Gefahr der Externalisierung des Sexismus auf extreme Rechte ist ein attraktives Entlastungsangebot für nicht-rechte, also auch den antifaschistischen Macker. Es ist der gleiche Fehler, den Antifaschist*innen bei der Analyse von Kandel und anderen rassistischen Mobilisierungen zu »Frauenrechten« machen, nämlich die Gleichzeitigkeit und Widersprüchlichkeit von Diskriminierungen und Betroffenheiten nicht anzuerkennen. Ein Dilemma, vor dem auch wir stehen, dem aber alle Antifaschist*innen und Feminist*innen ins Auge sehen müssen.
Um sich der Komplexität zu stellen, wäre es beispielsweise ein Anfang, Misogynie als Teil extrem rechter Ideologie und Tatmotivation explizit aufzuführen. Dann stünden die Statistiken zu Gewalt gegen Frauen* auf der einen und die Statistiken zu rechter Gewalt auf der anderen Seite nicht mehr unverknüpft nebeneinander. Bei Femiziden müssen Antifaschist*innen fragen, ob die Täter Rechte waren. Misogyne Gewalt muss als strukturelle Gefahr erkannt werden, und: Mit dem Erstarken des Antifeminismus werden wir uns dem Phänomen gegenüber sehen, dass Femizide die häusliche Sphäre weiter verlassen und Frauen* als Repräsentant*innen ihres Geschlechts angegriffen werden wie in Nürnberg oder Wien geschehen.
- ↑ Femizide (engl. femicide) leitet sich aus dem englischen Begriff »homicide«, auf deutsch »Mord« ab, und meint die spezifische Tötung von Frauen aufgrund ihres weiblichen Geschlechts.
- ↑ »Toxische Männlichkeit. Das gefährliche Schweigen der Männer«, online auf der standard.at.
- ↑ »Verdacht auf Freiheitsberaubung und Vergewaltigung: 26-Jähriger in Haft«, online auf freiepresse.de vom 18.01.2019. Über den rechten Hintergrund twitterte am 19.01.2019 Johannes Grunert.
- ↑ Bundesministerium des Innern-Lexikon online, Eintrag »Politisch motivierte Kriminialität« (zuletzt abgerufen am 01.02.2019).
- ↑ Gemeint sind Zusammenschlüsse von Männern, die durch die Anwendung psychologischer Tricks Frauen »verführen« wollen. In sogenannten Pick-Up-Seminaren geben sich die Männer gegenseitig Tipps, wie sie zu Dates und Sex mit Frauen kommen. Auch sie gehen davon aus, ein Recht auf Frauen zu haben, inklusive der Vorstellung, dass der Mann über die Frau bestimmen solle. Zu Timms Aktivitäten in der Pick-Up-Szene siehe auch: »Vom Pick-Up-Seminar zu den Identitären«, online auf inforiot.de
- ↑ Aryan Brotherhood: Fänner und Mrauen, 2015.