Foto: CC BY-ND 2.0 flickr.com/photos/frank_schmidtke

Der rechte Blick auf Ostdeutschland – Teil 2

30 Jahre nach dem Fall der Mauer steht Ostdeutschland erneut im medialen Fokus. Die Zugewinne der AfD bei den Landtagswahlen, aber auch die rassistischen Mobilisierungen nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen in Chemnitz im vergangenen Jahr gaben erneut Anlass zu der Frage, warum die extreme Rechte in Ostdeutschland immer wieder Erfolge erzielt, die ihr so im Westen der Republik eher selten gelingen. Welche Perspektiven haben rechte Periodika auf Ostdeutschland und welche Narrative bedienen sie?

von Kilian Behrens, Svenna Berger, Vera Henßler, Frank Metzger und Patrick Schwarz

Teil 1 des Artikels »Der rechte Blick auf Ostdeutschland«  ist hier nachzulesen. Die gesamte Artikel ist auch als pdf abrufbar. Der Artikel erscheint im Rahmen der apabiz-Publikationsreihe magazine. Diese nimmt rechte Periodika unter die Lupe, beleuchtet zentrale Diskurse und schafft damit eine Grundlage für die argumentative Auseinandersetzung.

Antikommunismus und Erinnerungspolitik

Gerade mit Blick auf heutige Verhältnisse, das Regierungshandeln oder die rechte Diffamierung der Zivilgesellschaft dient die DDR jedoch meist als Negativfolie. Immer wieder werden der Politik Angela Merkels diktatorische Züge unterstellt. »Wie in der DDR« habe sich »in der Bundesrepublik ein Blockparteiensystem entwickelt, das den politischen Souverän entmachtet«, schreibt etwa der Wahl-Brandenburger Jürgen Elsässer, der seine politischen Gehversuche in den 1980er Jahren im Kommunistischen Bund gemacht hat, in der Compact. (10/2019) Die mitunter durchaus legitime Kritik an der Profillosigkeit der beiden kriselnden Volksparteien SPD und CDU nach vielen Jahren Großer Koalition wird in der für Compact typisch polemischen Sichtweise für die eigenen Zwecke instrumentalisiert. Als politischer Ausweg werden einmal mehr Parteien wie AfD und FPÖ und Politiker wie Donald Trump oder Matteo Salvini präsentiert.

Wie fest verankert der Antikommunismus unter den Leser*innen der Jungen Freiheit ist, zeigen die Reaktionen auf einen Artikel von Matthias Matussek. (28/2018) Dieser provoziert in seiner Verteidigung der Linksparteipolitikerin Sarah Wagenknecht wütende Leserbriefe, in denen sich mitunter auch auf die sowjetischen Gulags berufen wird, um eine positive Darstellung Wagenknechts zurückzuweisen. Während erinnerungspolitische Aspekte in den meisten Periodika keine Rolle spielen, lassen sich hierzu in der JF, meist aufgrund tagesaktueller Debatten, durchaus einige Artikel finden. So wird die Auseinandersetzung um den langjährigen Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, von der JF medial begleitet und kommentiert. Knabe war zum März 2019 durch den Stiftungsrat gekündigt worden. Mit Blick auf zahlreiche und über mehrere Jahre andauernde Beschwerden von Mitarbeiterinnen wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sah dieser eine Problemlösung mit Knabe als Leitung nicht mehr realisierbar. Die JF sieht in der Absetzung Knabes die »Entlassung eines Unbequemen«. (41/2018) Dass mit Berlins Kultursenator Klaus Lederer ein Mitglied der Linkspartei im Stiftungsrat der Gedenkstätte an dieser Entscheidung mitwirkte, nahm die Zeitung zum Anlass, ein parteipolitisches Kalkül zu vermuten. Der Linkspartei als »SED-Rechtsnachfolger« gehe es darum, die »Stasi-Aufarbeitung zu diskreditieren«, schrieb etwa Angelika Barbe, einst DDR-Oppositionelle, heute Autorin des Cicero und regelmäßige Rednerin auf Demonstrationen der PEGIDA-Bewegung. Bereits im Juni 2018 war die JF selbst ins Zentrum der Auseinandersetzungen um die Gedenkstätte Hohenschönhausen geraten. Innerhalb des Fördervereins der Gedenkstätte war Kritik an dessen Vorsitzenden Jörg Kürschner laut geworden, da dieser sich in der JF mehrfach klar auf Seiten der AfD positioniert hatte. Hubertus Knabe setzte die Zusammenarbeit mit dem Förderverein daraufhin aus. Auch die Ende September 2019 vom Bundestag beschlossene Überführung der Stasi-Unterlagen in das Bundesarchiv wird von der JF kommentiert und als Ende der staatlichen Aufarbeitung »des dunkelsten Kapitels der zweiten deutschen Diktatur« kritisiert. (41/2019) Diese »späte Verhöhnung« passe zum »links-grünen Zeitgeist« und liege nicht zuletzt darin begründet, dass SPD und Grüne auf die Linkspartei angewiesen seien, um endlich die Tage der Großen Koalition hinter sich zu lassen, so der Autor Dr. Ralf Georg Reuth.

Zum ganz großen erinnerungspolitischen Schlag holt der EU-Parlamentarier der AfD, Nicolaus Fest, einst Kultur-Chef der Bild-Zeitung und stellvertretender Chefredakteur der Bild am Sonntag, in seinem Artikel über die »Verdrängung kommunistischer Verbrechen aus dem Bewusstsein« aus. (46/2018) Ausgehend von seinen Besuchen an Berliner Schulen schlägt Fest einen großen Bogen von einem seiner Meinung nach weit verbreiteten Mangel an Kontextwissen über historische Begebenheiten bis hin zu der Klage, dass auch heute wieder die Freiheit durch sozialistische Experimente bedroht sei. Geschichte, so sein Eindruck aus den Schulen, diene heute der »moralischen Selbsterhöhung«. Während die Schüler*innen viele historische Ereignisse überhaupt nicht hätten einordnen können, sei er überall mit Fragen zu Höckes Forderung nach einer ›180 Grad-Wende‹ in der Erinnerungspolitik konfrontiert gewesen, und dies stets »scharf und unfreundlich«. Dass der Geschichtsunterricht in der Schule allein schon quantitativ zu kurz kommt, wird vielfach zu Recht kritisiert. Doch Fest geht es um Haltung und Stil. Die Moral habe das Wissen um historische Ereignisse ersetzt, und »wo allein Moral herrscht, ist Unterricht keine Unterrichtung, sondern Indoktrination«. Die Fokussierung auf den NS und das vermeintliche historische schwarz-weiß-Denken spiegele sich auch im öffentlichen Raum, so Fest, denn für »Opfer des Kommunismus« gäbe es weder Stolpersteine noch (»kaum«) Gedenktafeln. Eigentlich müsste Fest, der als Mitglied des Berliner Landesverbandes der AfD auch regelmäßig in der Hauptstadt unterwegs sein dürfte, es besser wissen. Gerade hier beschleicht einen der Eindruck, dass sich die Erinnerungspolitik beziehungsweise die öffentlichen Erinnerungsorte an die DDR auf die Mauer, die Mauertoten und die Stasi beschränkt, eine Reduktion, die wiederum auch Fest moniert. In dem von ihm beklagten erinnerungspolitischen Ungleichgewicht sieht er eine grundsätzliche »Sympathie der Deutschen für den Sozialismus«, weshalb auch heute die Freiheit bedroht würde, denn diese sei »immer das erste Opfer des Sozialismus, im immer gleichen Dreischritt: Erst kommt die Freiheit des Eigentums unter die Räder, dann die der Meinung, schließlich die individuelle«. »Attacken auf Eigentum und Privatautonomie« seien überall zu bemerken. Fest nennt das NetzDG, das Kulturschutzgesetz oder die Vermögenssteuer. Auf die Idee, entsprechende politische Vorhaben als sozialistisch zu markieren und über eine Geschichtsvergessenheit und Verdrängung »kommunistischer Verbrechen« herzuleiten, muss man erst einmal kommen. Mit der Fest‘schen Lektüre und seiner bestechenden Logik erschließt sich dann auch ansatzweise das in der extremen Rechten verbreitete Bild einer »links-grün versifften« Hegemonie.

In ein ähnliches Horn bläst auch die Zuerst! Die Perspektive auf die DDR geht hier oft totalitarismusideologisch mit einer bewusst gewählten NS-Relativierung einher, indem die DDR und der Nationalsozialismus als zu verurteilende Unrechtsregime gleichgesetzt werden oder gar der ›Kommunismus‹ oder wahlweise der ›Sozialis-mus‹ als besonders bedrohlich, gefährlich und tödlich dramatisiert wird. Bei der Lektüre ergibt sich insgesamt der Eindruck, dass die DDR in der Zuerst!, mit Rücksichtnahme auf das NS-affine Zielpublikum, als größeres Übel angesehen wird. Die sozialistische Wiederbelebung gelte es heute zu verhindern. Der AfD-Politiker und Autor von »Wie steht’s um Deutschland. Beobachtungen eines Konservativen«, Thomas Hartung, drückt es in einem Interview grobschlächtig so aus: »Wir mutieren gerade vom Land der Dichter und Denker zum Land der Gesinnungsrichter und Niveauhenker.« (5/2019) Auch Hartung strebt nach Größerem und untermauert dies mit dem denkwürdigen Satz: »Deutschland wird auch eine BRD überleben.« Um Deutschland »zu retten«, hat er auch gleich einen konkreten Plan: »Mutbürger sollten sich nicht an der Vision eines Wahlsiegs berauschen, sondern die dahinter stehende Verantwortung erkennen und annehmen wollen. Also müssen sich die konservativen Kräfte, ja die radikalisierte bürgerliche Mitte im Sinne einer Allianz aller Gestaltungswilligen bündeln, hinter der führenden Oppositionskraft sammeln […] und dann über das sukzessive Zurückholen einzelner Bundesländer wie in diesem Herbst Sachsen, Brandenburg und Thüringen die politische Macht zunächst im Bundesrat ›von unten‹ zurückerobern.«

Nicht zuletzt positioniert sich die Zuerst! auch auf sprachlicher Ebene rechtsaußen. So wurde für die Redaktion offensichtlich am 3. Oktober 1990 noch lange nicht die von ihr – wie auch von vielen anderen extremen Rechten – angestrebte »vollständige« Wiedervereinigung Deutschlands vollzogen. In etlichen Artikeln der Jahre 2017 bis 2019, die sich mit der politischen Situation in den ostdeutschen Bundesländern beschäftigen, werden diese konsequent als »Mitteldeutschland« bezeichnet. Die korrekte Nennung Ostdeutschlands im politischen Diskurs gilt ihr als »konformistisch«. Hinter dieser Wortspielerei steckt eine klare politische Zielsetzung, auch wenn diese nicht genauer ausgeführt wird: Es wird die »Wiedervereinigung« auch mit den ehemaligen »deutschen Ostgebieten« angestrebt.

Ähnliche Töne finden sich auch in der NPD-Zeitung Deutsche Stimme, die zuletzt einen ganzseitigen Abriss zu den Ereignissen 1989/90 publizierte. (11/2019) Demnach bleibe »die deutsche Frage […] auch nach der kleinen Wiedervereinigung aktuell«. Und: »Solange das Bekenntnis zum Reich von einer Generation zur nächsten weitergereicht wird, ist eine nationale Wiedergeburt vorstellbar.«

Nur vereinzelt behandeln die Magazine historische Fragen rund um die Ereignisse 1989/90, die schließlich zum Ende der DDR führten. Eine Ausnahme bildet hier die Zuerst!, die sich bereits zum 25. Jahrestag des Mauerfalls den Geschehnissen widmete und Helmut Kohl als »Kanzler der Einheit« in den Blick nahm. Die Zuerst!-Vielschreiber Dorian Rehwaldt, Bernhard Radtke und Falk Tiedemann erheben den Vorwurf, durch Kohls proeuropäische Politik sei die »Verwässerung der ethnischen Identität durch weitgehende Tatenlosigkeit und Ignoranz beim Thema Zuwanderung« und vor allem der »geplante und forcierte Abbau der nationalen Souveränität zugunsten des EG- beziehungsweise EU-Zentralismus« entscheidend vorangetrieben worden. Unverzeihlich ist es ihnen, dass Kohl nicht nur die »ethnische Identität« und »nationale Souveränität«, sondern auch die »territoriale Integrität« aufs Spiel gesetzt und an den »Realitäten, die die Sieger des Zweiten Weltkriegs geschaffen hatten, nicht gerüttelt« habe. So sei »schon kurz nach dem Mauerfall […] der Druck gewaltig« gewesen, »nun rasch den endgültigen Verzicht auf die deutschen Ostgebiete zu erklären«. Zudem habe Kohl den Protesten der Bevölkerung in der DDR kaum Relevanz beigemessen. Gerade die Massenproteste im Herbst 1989 hätten sehr wohl gezeigt, dass beharrliche Proteste letztlich zum politischen Umsturz führen könnten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung etwa mit der Rolle der DDR-Bürgerrechtsbewegung, wie sie zuletzt in der FAZ im Sommer rege diskutiert wurde, ist in den rechten Periodika kaum auszumachen. Vielmehr ist es pauschal »das Volk«, das den Umbruch aufgrund seiner Beharrlichkeit auf der Straße forciert habe.

Michael Paulwitz dient die Ausreisewelle im Sommer und Herbst 1989 schließlich dazu, in der Jungen Freiheit die Verwendung des Begriffs Flüchtling »seit dem Merkelschen WillkommensPutsch« zu kritisieren. Der Rückblick auf die DDR-Botschaftsflüchtlinge sei »Die Lehre von 1989«. Während die Flüchtenden aus der DDR tatsächlich Flüchtlinge gewesen seien, »Deutsche […], Landsleute in Not«, deren Aufnahme »ein Gebot der nationalen Solidarität« gewesen sei, handele es sich heute um »Wirtschaftsmigranten, die um die halbe Welt reisen, nicht weil sie verfolgt wären, sondern weil sie im deutschen Sozialstaat ein besseres Leben erwarten«. (40/2019)

Neben dem Mauerfall ist vor allem die Erinnerung an den 17. Juni 1953 als »Mitteldeutschen Volksaufstand« seit Jahrzehnten fester Bestandteil extrem rechter Geschichtsdiskurse. Wurde damit vor 1989/90 vor allem die Ablehnung der DDR, der Sowjetunion und generell des Kommunismus zum Ausdruck gebracht, führten auch danach Akteure wie die Republikaner oder die NPD zu diesem historischen Ereignis Aktionen durch. Zuletzt wählte die »Identitäre Bewegung« mit ihrer Demonstration unter dem Motto »Zukunft Europa – Bewegen und Verändern« 2017 in Berlin dieses Datum. Auch wenn der 17. Juni in den letzten Jahren keine größere Wirkkraft entfalten konnte, wurde er publizistisch, etwa in der Jungen Freiheit, immer wieder aufgegriffen. So erschien zum Jahrestag der »erste(n) Revolte im kommunistischen Machtblock« ein Interview mit einem Radiomoderatoren des RIAS. (25/2018)

Und die Soziale Frage?

Durchaus unterschiedliche Perspektiven lassen sich in den Periodika zu der Frage finden, welche Relevanz sozialpolitische Themen in Ostdeutschland haben. Die Zuerst! misst dem zumindest in den Artikeln, die sich mit den rassistischen Massenmobilisierungen und den AfD-Erfolgen in Ostdeutschland beschäftigen, eine zentrale Rolle bei. Wie auch bei anderen Themen werden zumindest in den umfangreicheren Reportagen die ansonsten so verhassten Medien, seriöse Studien sowie anderweitige offizielle Quellen bemüht und das jeweils für die eigenen Thesen Nutzbare heraus seziert. In ihrem Artikel »Durchbruch im Osten?« verweisen Bernhard Radtke, Robert Diehl und Steve Lerod etwa auf den »Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2018«, der »flächendeckende Strukturschwächen« Ostdeutschlands benennt. (8-9/2019) Die Autoren zeichnen das auch in anderen Kontexten bemühte und nicht gänzlich falsche Bild der ›frustrierten Wendeverlierer‹, die konfrontiert sind mit, im Vergleich zum Westen, höherer Arbeitslosigkeit, dem zusätzlichen Abbau von Arbeitsplätzen in manchen Regionen (z.B. in der Kohleindustrie der Lausitz), dem weiterhin sehr viel niedrigeren Lohn-und Rentenniveau sowie dem demografischem Wandel durch Abwanderung von jungen gut Ausgebildeten. Der Blatt-Linie entsprechend ideologisch gerahmt wird das u.a. mit Zahlen zur angeblich »importierten Kriminalität«. In der gleichen Ausgabe beklagt Daniel Freiherr von Lützow, dass der Unterschied im Lohngefüge »immer noch bemerkbar«, »der Osten bereits ausverkauft« beziehungsweise »regelrecht industriell ausgeblutet«, die »Infrastuktur […] desaströs« und die »digitale Infrastruktur […] kaum vorhanden« sei. Dazu kämen noch »Wohnungslosigkeit, fehlende Kitaplätze und die Schließung von Landschulen« und der »fachärztlichen Versorgung« sowie verschwindende Jugendclubs und die damit einhergehende angebliche »Indoktrination der Kinder und Jugendlichen«. Auch von Lützow kommt zu dem Schluss, dass heute eine Reorganisierung der DDR drohe.

In der Sezession wirft Stammautor Benedikt Kaiser unter dem Titel »Zweierlei Deutschland, zweierlei AfD?« im Vorfeld der Landtagswahlen die Frage auf, warum die AfD die marktradikalen Anteile aus der Lucke-Zeit noch immer nicht über Bord geworfen habe. (90/2019) Kaiser plädiert für eine Umbesinnung auf einen »solidarisch-patriotischen Sozialstaat«, der sich stärker auf die Interessen der »unterbürgerlichen Schichten« fokussieren sollte. Die AfD verpasse in Sachsen derzeit eine »einmalige Chance«. Statt über einen sozialpolitischen Wahlkampf einen »inhaltlichen Frontalangriff« zu führen, schiele die Partei lieber auf eine mögliche Übereinkunft mit der CDU. Auch nach der Wahl ist Parteikritik von Kaiser zu hören: Zwar sei das Ergebnis in Sachsen durchaus respektabel, es stelle im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 jedoch keine relevante Steigerung dar, heißt es auf dem Blog der Sezession. Die Forderung, sozialpolitische Themen stärker auf die Partei-Agenda zu setzen wird vom Flügel rund um Björn Höcke seit längerem formuliert, bisher allerdings erfolglos. Dies könnte sich nach der wahlbedingten Gewichtsverschiebung zugunsten der radikaleren Landesverbände auf absehbare Zeit nun ändern.

 

Frauke Petrys Blaue Partei forderte im sächsischen Wahlkampf einen »Säxit«. Nach den schlechten Wahlergebnissen verkündete die Partei Anfang November ihre Auflösung zum Ende des Jahres. Foto: Vera Henßler / apabiz

 

Dieter Stein, Chefredakteur der Jungen Freiheit, erklärt nach den AfD-Wahlerfolgen die sozialpolitischen Erklärungsmuster hingegen für verfehlt. Grundrente, abgehängte Regionen, mangelnder Respekt vor Ostbiografien: »Als ob es um Geld ginge.« Grund für die »anschwellende Empörung«, so Stein, der sich damit implizit auf Botho Strauß und explizit auf Bestsellerautor Bernhard Schlink in der FAZ beruft, seien der immer enger werdende Meinungskorridor und die Front der Parteien gegen die AfD. »Immer mehr Bürger haben es deshalb besonders im Osten satt, einem betreuten Denken zu folgen, sich von oben vorschreiben zu lassen, was eine demokratische Wahl bedeutet.« (37/2019) Dass sozialpolitische Fragen bei der Wahlentscheidung für die AfD eine eher untergeordnete Rolle spielten, legen auch Umfrageergebnisse von infratest dimap nahe. In allen drei Bundesländern standen die Themen Sozialpolitik sowie Löhne und Renten demnach im Vergleich zur Relevanz bei anderen Parteien auf der Skala vieler AfD-Wähler*innen nicht ganz oben (Löhne und Renten noch eher als Sozialpolitik). Entscheidend waren vor allem die migrationspolitischen Positionen der AfD. Die Ambivalenz des AfD-Milieus in Bezug auf die DDR wird in den Umfragen ebenfalls deutlich. Während die Wahlkampfrhetorik an eine kollektive Identität appelliert, die sich durch die erfolgreiche Überwindung der DDR auszeichnet, spielt gleichfalls auch die positive Erinnerung an die DDR eine Rolle. So stimmten um die 50 Prozent der AfD-Wähler*innen in allen drei Bundesländern der Aussage zu, »Zu DDR-Zeiten hat der Staat mehr für seine Bürger getan.« Leider gibt es hierfür keine Altersaufschlüsselung, die sicherlich aufschlussreich wäre.

Blaues Land im Osten, Grüne Städte im Westen

Bereits in der vorangegangenen magazine-Ausgabe zur Ökologie wurde deutlich, dass das Feindbild Grüne von einem breiten extrem rechten Spektrum geteilt wird. So wird u.a. in der Zuerst! die AfD auf der parteipolitischen Ebene nicht etwa gegen Die Linke, sondern gegen die Grünen in Stellung gebracht. Hier wird die maximale inhaltliche Gegensätzlichkeit ausgemacht. Den grünen Wähler*innen werden die von Rechten so verhassten Themen wie »Multikulturalismus«, Feminismus, Gender, Diversität, Inklusion und natürlich der Klimaschutz zugeschrieben und als realitätsfernes »Repertoire an Luxus-Marotten« diffamiert, die vor allem in westdeutschen Großstädten verbreitet seien. (8-9/2019) Interesse und Kompetenz bezüglich der »sozialen Fragen«, die die Menschen in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands umtreiben, wird den Grünen und ihren Anhänger*innen gänzlich abgesprochen und einzig der AfD attestiert. Diese seien schließlich »eher bodenständig als weltgewandt […] vertreten traditionelle Werte, es zählen Familienbewußtsein, Arbeit, Ordnung. Das Eigene, die meist überschaubare, gewohnte, liebgewonnene Lebenswelt zu schützen, zu bewahren und zu verteidigen, nimmt einen hohen Stellenwert ein.« Und gerade diese kleine heile Welt sei in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands nicht nur in Gefahr, sondern teilweise schon abgeschafft.

Zusammenfassend wird deutlich, dass die Befassung mit der DDR-Geschichte und den Umbrüchen 1989/90ff. in den rechten Periodika fast ausschließlich vor dem Hintergrund eigener, hochaktueller politisch-ideologischer Prämissen stattfindet.

Nach der Europawahl 2019 widmet sich auch die Junge Freiheit der Trennlinie zwischen Grün in den Städten und dem Westen, und Blau für Land und Osten. Eine »neue Demarkationslinie, die in Wahrheit eine alte ist«, bemerkt Christian Vollradt (23/2019) und konstatiert, dass der AfD diese Abgrenzung zu den Grünen politisch nutzen könne. Zu den anderen Parteien brauche die AfD hingegen ein professionelleres Auftreten, um auf lange Sicht bündnisfähig zu werden. Die Linkspartei sei, anders als die Grünen, Konkurrentin, nicht Gegnerin. Und so schließt Vollradt sein Kommentar mit den Worten: »Grün auf der einen Seite, in jeder Hinsicht ›offen‹ für Vielfalt und Gleichheit und die ganze Welt. Blau auf der anderen. Für gewachsene Tradition, für Grenzen, für Nationen. Dieser Antagonismus bleibt nicht nur, er wird sich noch verschärfen.« Zusammenfassend wird deutlich, dass die Befassung mit der DDR-Geschichte und den Umbrüchen 1989/90ff. in den rechten Periodika fast ausschließlich vor dem Hintergrund eigener, hochaktueller politisch-ideologischer Prämissen stattfindet. Nur einzelne literarische Besprechungen von Werken von DDR-Autor*innen, die nicht primär auf deren Dissidenz abheben, fallen aus dem Rahmen. Die Mehrzahl der Artikel blickt aus heutiger Perspektive auf die Geschichte und versucht daraus politisches Kapital zu schlagen. Vor allem zwei Ereignisse, der 17. Juni 1953 und der Herbst 1989 werden als Traditionslinien herausgestellt, die stark an westdeutsche Geschichtsschreibung erinnern und die kulturellen und sozialen Erfahrungen sowie die Alltagsgeschichte der Ostdeutschen außer Acht lassen. Jenseits der benannten Narrative bleiben Betrachtungen der Umbrüche 1989/90 und der Rolle einzelner Akteure darin (Kirche, Bürgerrechtsbewegung, Sowjetunion…) oder der Transformationszeit der 1990er Jahre seltene Ausnahme. Ein Befund, der nicht zu überraschen vermag.