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Zukunft Heimat?

Am 3. März hat der Parteikonvent der Alternative für Deutschland – eine Art kleiner Parteitag – entschieden, den seit 2016 geltenden Unvereinbarkeitsbeschluss mit Pegida aufzuheben. Eigentlich spiegelt das Votum lediglich die ohnehin gängige Praxis der Partei wider. Die AfD und die rassistischen Straßenproteste sind eng miteinander verbunden.

von Toni Peters

Trotzdem liegt in dieser nun parteioffiziellen Pegida-Unbedenklichkeitserklärung einige Symbolkraft. So kann der offen extrem rechte Flügel der AfD seine innerparteiliche Dominanz unterstreichen und weiter ausbauen. Zudem zeigt der Beschluss, dass die AfD spätestens jetzt zu einer Bewegungspartei geworden ist, die sich mindestens mittelfristig auf eine Rolle als parlamentarisches Pendant zu den Straßenprotesten selbstverpflichtet hat. Sogar eine Kooperation mit dem vorbestraften Pegida-Promi Lutz Bachmann ist nun möglich. Bereits vor der Bundestagswahl 2017 war dies absehbar, entschieden war es da jedoch noch nicht. Eigentlich bräuchte die AfD nämlich Pegida und all die anderen »Bürgerinitiativen« nicht mehr unbedingt. Sie könnte sich auf ihre parlamentarische Arbeit beschränken und die »Merkel-muss-weg«-Schreihälse auf der Straße sich selbst überlassen. Auch hinsichtlich der quantitativ seit Mitte 2016 rückläufigen rassistischen Straßenaktionen ließen sich seitens der AfD Argumente finden, die offenbar schwächer gewordenen Proteste aus ihren Kalkulationen zu streichen.

Dem ist jedoch nicht so. Die Bekenntnisse der extrem rechten AfD-Funktionäre zu den Protesten ist immer ernst gemeint gewesen. Björn Höcke als kultisch verehrte Leitfigur hat dies immer wieder vorgetragen. Pegida war ihm schon lange eine »Vorfeldorganisation«, der man dankbar sein müsse. Als »fundamentaloppositionelle Bewegungspartei« brauche die nun im Bundestag vertretene AfD die Straßenbasis als kritischen Wächter, um einer Domestizierung im parlamentarischen Alltag vorzubeugen. Auch der Rückzug des sachsen-anhaltinischen Parteivorsitzenden André Poggenburg, der den Pro-Pegida-Beschluss angeregt hatte, darf nicht als Abkehr vom Rechtskurs interpretiert werden. Vieles deutet darauf hin, dass Poggenburgs rassistische Aschermittwochsrede nur als Vorwand diente, um den für Vetternwirtschaft und Cholerik bekannten Politiker zu schassen.

Alle, die in diesem Sinne ein Interesse an rassistischen Eskalationen und Zuspitzungen haben, können sich auf die Unterstützung der AfD verlassen.

Also – Bewegungspartei. So wie vor Urzeiten die SPD als Partei der Arbeiter*innenbewegung fungierte oder die Grünen der Ökologie-Bewegung, tritt nun die AfD als Partei der aktuellen extrem rechten sozialen Bewegung auf, die sich um die Ablehnung von Flüchtlingen und Islam aufgestellt hat. Mit diesen Hauptthemen wird eine dahinterliegende radikal antiliberale und genauso radikale nationalistische Agenda vorangebracht, die bei weitem nicht nur »Linke« oder »Multikulti« angreift, sondern die Eliten und das ganze republikanische System aus den Angeln heben will. Alle, die in diesem Sinne ein Interesse an rassistischen Eskalationen und Zuspitzungen haben, können sich auf die Unterstützung der AfD verlassen. Die für die extrem rechte Bewegung relevanten Publikationen überschlugen sich geradezu mit wohlwollenden und unterstützenden Berichterstattungen. Vor allem die Compact, Zuerst und PI-News begrüßten die erneuten Proteste sowie die Annäherung der AfD.

Beispiel Kandel

In der pfälzischen Kleinstadt wurde Ende Dezember 2017 ein minderjähriges Mädchen durch ihren Ex-Freund, einen jungen afghanischen Geflüchteten, ermordet. Seither wird der Ort mit einer Demonstrationskampagne überzogen. Anfang März marschierten rund 2.500 Rechte durch den Ort. Die meisten reisten von auswärts an – »besorgte BürgerInnen« und ReichsbürgerInnen, Neonazis von Der Dritte Weg, dazu Hooligans, Pegida-Fans und AfD-Basis. Die Rede ist bereits von einem »Kandel-Effekt«, gemeint ist damit die Möglicheit, die aus ihren ostdeutschen Hochburgen bekannten Großdemonstrationen endlich auch in Westdeutschland zu verankern. Als Organisation hinter den Protesten tritt die Initiative Kandel ist überall auf, die versucht, sich als »vernünftige« Verteidigerin von Frauen, Müttern und Kindern gegen »Flüchtlingsgewalt« zu präsentieren. Involviert bei Kandel ist überall ist etwa Christina Baum, AfD-Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg. Die AfD stellt in Kandel ihre Infrastruktur der rechten Mobilisierung zur Verfügung. Mit der Parole »Danke Kandel« feierten AfD-Verbände die Demoerfolge.

Beispiel Berlin

Die Ex-Muslima Leyla Bilge, Tochter kurdischer Geflüchteter, nennt sich im Internet selbstbewusst wahlweise »Frauen-«, »Menschen-« oder »Kinderrechtlerin«. Im Februar rief das AfD-Mitglied zu einem »Marsch der Frauen« im Stadtteil Kreuzberg auf. Gegen die ihrer Meinung nach »importierte« Gewalt an Frauen wolle sie protestieren. Es gelte darum, gegen Flüchtlinge und Einwanderung zu marschieren. Dem Aufruf folgten etwa 1.200 Menschen, ein gutes Drittel war weiblich. Dabei waren AfD-Fans und -Mitglieder, Pegida-Anhang, Neonazis, Identitäre, rechte Hooligans, Biker und so weiter und so fort. Auf dem Fronttransparent stand »Kandel ist überall«, um die Vernetzung des »Widerstandes« zu unterstreichen. Das Redepult wurde vom neonazistischen Bürgerbündnis Havelland beigesteuert. Bei der Demonstration ging es selbstverständlich auch darum, einmal durch das verhasste Kreuzberg zu laufen mit dem Kalkül, dem erwartbaren Gegenprotest schon irgendwie vorwerfen zu können, frauenfeindlich zu sein. Die Gegenproteste richteten sich jedoch gegen die rassistische Vereinnahmung von Frauenrechten und erreichten durch Blockaden einen vorzeitigen Abbruch der Demonstration. Das zum Anlass nehmend sprang die AfD auf parlamentarischer Ebene bei und setzte wenige Tage später im Bundestag eine Aktuelle Stunde zum Thema »Demonstrationsrechte von Frauen stärken« durch. Die Demokratie in Deutschland habe durch die antirassistischen Proteste in Kreuzberg »schweren Schaden erlitten«, fabulierte etwa der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse. Am Tag darauf initiierte die Berliner AfD im Abgeordnetenhaus ebenfalls eine Aktuelle Stunde. Sitzblockaden seien grundsätzlich Straftaten, insistierten AfD-Abgeordnete wütend und kontrafaktisch. Dass sich die AfD parlamentarisch so für die extrem rechten Demonstration einsetzt, zeigt, dass die Partei auch auf dieser Ebene gewillt ist, das Demovolk als parteinahes Kernmilieu anzuerkennen und zu pflegen.

»Marsch der Frauen« in Berlin: Veranstaltungsleiterin und AfD-Mitglied Leyla Bilge (Mitte) Foto: © Christian-Ditsch.de

Beispiel Cottbus

Die südbrandenburgische Stadt ist seit Mitte 2017 Schauplatz einer politischen Kampagne von Zukunft Heimat. Im Spreewald, wo Zukunft Heimat entstand, richtete dieser Verein ab 2015 etliche Demonstrationen aus. In Cottbus wurde dieses Szenario 2017 in größerem Maßstab wiederholt. Zukunft Heimat demonstrierte alle zwei Wochen gegen Geflüchtete. Reden durften fast immer AfD-Funktionäre, aber auch viele andere, die den neuen extrem rechten Bewegungsorganisationen angehören, etwa von Ein Prozent oder den Identitären. Auf die Straße gingen neben »besorgten BürgerInnen« fast alle, die der extremen Rechten der Region verbunden sind – ein Treffen der Generationen, das von unauffälligen Leuten im Großelternalter über Musiker der lokalen Nazirock-Urgesteine Frontalkraft bis hin zu blutjungen rechten Fußballfans reichte. Der brandenburgische Wahlkampfabschluss der AfD zur Bundestagswahl wurde am gleichen Ort und Wochentagabend wie die Zukunft-Heimat-Veranstaltungen ausgerichtet. Über 500 Leute kamen zur Kundgebung. Das Konzept ging auf. Cottbus ist jetzt nicht mehr nur der Ort mit den meisten rassistischen Gewalttaten Brandenburgs, sondern auch die AfD-Hochburg des Bundeslandes. In der Stadt wurde die Partei bei den Bundestagswahlen im September 2017 stärkste politische Kraft.
Im Januar 2018 gab es zwei Vorfälle in Cottbus, an denen junge Geflüchtete beteiligt waren, die jeweils Messer zogen, wobei eine Person verletzt wurde. Zukunft Heimat rief daraufhin zu neuen Demonstrationen auf, diesmal kamen teilweise über 2.000 Menschen. Die Medien waren voll mit Berichten und Reportagen über den »Brennpunkt Cottbus«, über »Konflikte zwischen Deutschen und Flüchtlingen«. Cottbus wurde zudem bundespolitisch Thema. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt es für opportun, Repräsen-tant*innen der Stadt zu sich einzuladen und sah dafür vorrangig nicht etwa Sozialarbeit oder Flüchtlingshilfe für auskunftsfähig, sondern holte sich lieber unter anderem den Geschäftsführer der Cottbuser Industrie- und Handelskammer ins Schloss Bellevue. In der Presse wurde indes bevorzugt die Selbstverständlichkeit vermerkt und stellenweise moniert, dass Steinmeier darauf verzichtete, die Einpeitscher von Zukunft Heimat einzuladen. Der Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) fühlte sich genötigt, einen »Dialog« der Konfliktparteien zu organisieren. Der Zukunft-Heimat-Chef im Verbund mit der lokalen AfD-Vorsitzenden durfte sich live im Fernsehen vor dem politischen und sozialen Establishment der Stadt inszenieren, vertreten durch die aus Cottbus stammende Brandenburger Wissenschaftsministerin, den Präsidenten der Cottbuser Universität und die SPD-Baubürgermeisterin. In aktuellen Umfragen rangiert die AfD in Cottbus bei 29 Prozent und ist die mit Abstand stärkste politische Kraft in der Stadt. Der Schulterschluss mit der Straße zahlte sich auch hier für die Partei aus.

Proteste von Zukunft Heimat in Cottbus im Frühjahr 2018. Foto © JFDA e.V.

(Un-)Verständnis im Umgang mit der AfD

Die warnenden Stimmen, die auf den Einfluss und die Präsenz von extrem Rechten und Neonazis bei den Cottbuser Demonstrationen hinweisen, sind medial zwar wahrnehmbar aber nicht kräftig genug. Die AfD geht offen und ausdrücklich ein Bündnis mit Initiativen ein, zu denen neonazistische Kräfte gehören. Neonazis zu inte-grieren sei eine »temporäre Resozialisierung des rechten Rands«, ließ sich der Zukunft-Heimat-Vorsitzende kürzlich zitieren. Eine öffentliche Empörung darüber blieb aus. Im Gegenteil: Der Präsident der Cottbuser Universität will laut einer RBB-Meldung ein weiteres Diskussionsforum mit allen Beteiligten organisieren. Nicht völlig überraschend haben AfD und Zukunft Heimat bereits zugesagt.

Die unversöhnlichen Kampfansagen, die die AfD den demokratischen Institutionen ohne Unterlass macht, werden immer noch nicht als solche angenommen.

Auf die kommunikativen Fallen der AfD, auf die Lamenti über »Sorgen in der Bevölkerung« und über »Probleme mit Flüchtlingen«, über die man nicht reden dürfe, lassen sich viel zu viele Menschen und Institutionen ein. Die unversöhnlichen Kampfansagen, die die AfD den demokratischen Institutionen ohne Unterlass macht, werden immer noch nicht als solche angenommen, sondern weiterhin als »Kritik« verbucht, die man wahrzunehmen, ernstzunehmen und zu bearbeiten habe. Die weiterhin hohen Umfragewerte für die AfD hängen auch mit dem gegenwärtigen politischen Elend zusammen, das sich in der neuen Großen Koalition versinnbildlicht. Sie sind aber auch Ergebnis der Bewegungspolitik der AfD und werden von Partei und Bewegung genauso interpretiert: Wenn wir zusammenhalten, dann geht es immer weiter aufwärts. Je lauter und radikaler wir uns äußern, desto schneller geht man auf uns ein, lädt uns ein, erfüllt unsere Forderungen. Bewegungsnahe Stimmen, die Mäßigung der Sprache und der Mittel fordern – und sei es nur aus taktischen Gründen – sind selten und haben es schwer, gehört zu werden. In der Jungen Freiheit postulierte Karlheinz Weißmann kürzlich, dass die »Extratouren« und die »Neigung, aus der Reihe zu tanzen« ein Ende haben müssten, wenn die AfD tatsächlich eine »Volkspartei neuen Typs« werden solle. Damit gemeint haben dürfte er auch die teils schrille Demonstrationspolitik, explizit erwähnt ist sie in dem Meinungsstück jedoch nicht.

Wie dem auch sei: In den Diskussionen um politische Strategien gegen die AfD wird der Bewegungscharakter der rassistischen Proteste Berücksichtigung finden müssen.