Foto: © Tim Mönch

Toxische Männlichkeit von Kandel bis Chemnitz

Feministische Interventionen in eine aktuelle Gefahrensituation

von Anna Berg, Judith Goetz, Eike Sanders (Mitglieder des Forschungsnetzwerkes Frauen und Rechtsextremismus)

Bei den Vorfällen in Chemnitz handelt es sich derzeit vor allem um Ereignisse, die von Männern gemacht und von Männern analysiert, diskutiert, verurteilt und vorangetrieben werden.[1] Je bedrohlicher und gewaltvoller Nazis agieren, desto mehr droht antifaschistische Politik wieder zur reinen Männersache zu werden. Ein Rückschritt, da feministische Analysen zur Relevanz von Geschlechterverhältnissen und –konstruktionen für die Dynamik und Stabilisierung der extremen Rechten in der Vergangenheit deutlich stärker in entsprechenden Diskussionen berücksichtigt wurden. Die Bedeutung, die ,Frauenrechten‘ und der Notwendigkeit, Frauen* vor sexualisierter Gewalt zu schützen, mittlerweile in der Rechten zukommt, wird ebenfalls unsichtbar gemacht.

Wir wollen im Folgenden den Kampf für ,Frauenrechte‘ in extrem rechten Kreisen analysieren. Die mobilisierende Wirkung dieser Instrumentalisierung von sexualisierter Gewalt ist in Chemnitz wie auch anderswo völlig faktenresistent und spielt gleichzeitig in der medialen und antifaschistischen Wahrnehmung der Nazis kaum eine Rolle – was wir als Leerstelle bezüglich der Inszenierung dominanter, toxischer Männlichkeit benennen.[2] Parallel zu diesem vermeintlichen Engagement wird Gewalt – auch sexualisierte – als Drohmittel gegen politisch missliebige Frauen* eingesetzt und kann die Bedrohung der von Rassismus oder Antisemitismus betroffenen Frauen* potenzieren. Auch wenn es uns ebenfalls an hilfreichen Lösungsansätzen für das Naziproblem in Sachsen oder woanders mangelt, halten wir die Auseinandersetzung mit dem Thema der Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt in einer langfristigen antifaschistischen und feministischen Perspektive für unausweichlich.

Die Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt

Chemnitz 1. September 2018 © Tim Mönch

Offensichtlich sind an der Causa Chemnitz aktuell zwei Punkte: erstens die feste Verstrickung von Nazis, AfD und Sicherheitsbehörden in Sachsen, die die Situation dort, im Vergleich zu anderen Orten und Vorfällen, und antifaschistischen und feministischen Widerstand deutlich schwieriger macht. Und zweitens die Hilflosigkeit aller relevanten linken Organisationen, wie mit dem vielleicht sächsischen, vielleicht auch allgemeinen Problem umzugehen sei.

Es ist kein Zufall, dass kurz nach dem Mord an Daniel H. – der nach jetzigem Kenntnisstand sogar AfD-Gegner, Punk-Hörer und Person Of Colour war – das Gerücht verbreitet wurde, dem Vorfall sei eine sexuelle Belästigung einer oder dreier nicht genannter Frauen voraus gegangen, das Mordopfer und die beiden anderen Verletzten hätten diese schützen wollen. Dieses Gerücht, das u.a. die BILD-Zeitung mit kolportiert hatte, wollte die Polizei schon am Sonntag nicht bestätigen, es wurde offiziell am Dienstag dementiert.

Seit geraumer Zeit warnen feministische Zusammenhänge, dass rassistisch aufgeladener und instrumentalisierter Einsatz für Frauen(rechte) nicht nur das mobilisierende Element der extremen Rechten ist, sondern auch die beste und einfachste Anschlussstelle an weite Teile des bürgerlichen Lagers. Welche Frau* hat schließlich keine Angst vor sexualisierter Gewalt?

Mittlerweile geben sogar namhafte Nazis zu, die Auseinandersetzung habe sich nicht um sexuelle Belästigung gedreht. Doch werden die nicht existenten belästigten Frauen weiterhin zur Mobilisierung der empörten rassistischen Bürger*innen und Neonazis eingesetzt und dienen als Legitimation der Proteste. Zwar handelte es sich in Chemnitz um ein männliches Opfer, es soll dennoch in die bestehenden Narrative eingereiht werden: das derzeit wirkungsvollste ist das von den ,wehrlosen weißen deutschen‘ Frauen, die permanent von eingewanderten muslimischen und/oder afrikanischen Männern belästigt, vergewaltigt, verletzt und ermordet werden würden.

Die Einreihung des Falls in die erwähnten Narrative verdeutlicht sich auch unter dem hashtag »Einzelfallkette«. Schon am 27. August gab es in Chemnitz eine »Installation im öffentlichen Raum«, bei der eine Kette aus weißen Ausdrucken von Polizeimeldungen und Zeitungsartikeln mit Fotos von (teilweise angeblichen) Opfern von Gewalt durch »Ausländer« gezeigt wurden, angeblich sei sie 80 Meter lang gewesen. Diese sich als »Kunst« verstehende »Leine des Grauens« wurde schon in verschiedenen Städten zu rechten Aufmärschen im Spektrum des »Frauenbündnis Kandel« bzw. »Merkel muss weg«-Demonstrationen aufgehangen.[3]

Auf Twitter wurde das Foto der »Leine des Grauens« in Chemnitz durch Katie Hopkins aufgegriffen, einer bekannten britischen Journalistin, die in den letzten Jahren mehrfach durch rassistische Äußerungen und Falschbehauptungen auffiel. Über die Aktion gab Hopkins zum Besten: »What the lügenpresse won’t show you. In #chemnitz #c2708 women quietly protested violence against them by Merkels migrants. Every white card is one stabbing, sexual assault or murder of a German girl by a migrant. An endless string of horror.«[4] Die Einreihung von Daniel H. in das dominante Narrativ geschah dann auch plastisch beim AfD-Pegida-Aufmarsch am Samstag: Große Plakate mit einzelnen Fotos von ausgewählten Toten, vornehmlich weiblichen, wurden der eigenen Inszenierung als Trauermarsch dienend von Teilnehmenden getragen – so wenig die Toten und ihre Todesumstände miteinander verbindet, so wenig interessieren sich die Teilnehmenden vermutlich für deren Persönlichkeiten und Geschichten.

Chemnitz 27. August 2018 © JFDA e.V.

Eine andere Falschbehauptung findet sich auf einem in Chemnitz gezeigten Transparent, das auch schon bei den rassistischen Demonstrationen in Kandel anlässlich der Ermordung einer jungen Frau zu sehen war. Unter dem Titel »Wir sind bunt bis das Blut spritzt« werden zwölf meist blutende, verletzte, vorwiegend weibliche Personen gezeigt und suggeriert, dass es sich um deutsche Gewaltopfer von Migranten handle – in Wirklichkeit handelte es sich um sehr unterschiedliche Delikte und auch diese Bilder wurden wahllos und international zusammengestellt[5].

Gleichzeitig ist es die extreme Rechte, die Fantasien von Vergewaltigung und anderen Formen von Gewalt gegen Frauen zum Dauerthema macht. Die vermeintlich migrantischen Täter, vor denen die deutschen Frauen* geschützt werden sollen, dienen auch als Drohpotential für politisch unliebsame Frauen* und solche, die sich für Geflüchtete engagieren und/oder mit ihnen arbeiten. Sexualisierte Gewalt wird dabei für diese weißen Frauen* zur verdienten Strafe, für nicht-weiße Männer* zum Teil ihrer Natur. Das rassistische Bild vom omnipotenten und nicht triebbeherrschten schwarzen Mann, der der Frau auf der Straße nicht nur hinterherruft, sondern sie notfalls mit Gewalt ins Bett bekommen will, ist Teil des Kolonialrassismus – auch des Antisemitismus – und wurde in seiner Aktualisierung als antimuslimischer Rassismus, flankiert vom Bild des muslimischen ,Ehrenmörders‘, auch schon vor 2015 bei jeder ,Nein zum Heim‘-Veranstaltung bemüht. Paradigmatisch nahm dieses Narrativ auch die Zeitschrift ,Emma‘ auf, indem sie im Rahmen einer langen Reportage mehrere Frauen* in Chemnitz zu Wort kommen ließ, die sich darüber ausließen, dass seit 2015 haufenweise junge Männer* mit migrantischem Hintergrund ihnen das Leben in der Stadt zur Hölle machten. Das Problem sei allgemein bekannt, könne aber nicht diskutiert und angegriffen werden, weil alle Angst hätten, als Rassist*innen zu gelten.[6] Auch hier sind die Auslassungen und der Fokus bezeichnend. Es ist unbestritten eine elende Situation, wenn Leute aller Geschlechter sich im öffentlichen Raum unsicher fühlen. Dennoch hat nur die weibliche Angst einen Raum und eine Berechtigung.

Sexualisierte Gewalt von vermeintlichen Migranten gegen weiße Frauen* ist also omnipräsent: für die einen als Bedrohung von Außen, die anderen hätten sie gewissermaßen verdient. Hier treffen sich die üblichen Schuldzuweisungen an die Betroffenen sexualisierter Gewalt (»besoffen gewesen, zu kurzer Rock …«) mit politischen Schuldzuweisungen (»die wollen es ja nicht anders, wenn sie die alle hier haben wollen«). Nicht-weiße Frauen*, die etwa in Geflüchtetenunterkünften oder im Rahmen der sogenannten Ehrenkultur am meisten von dieser Gewalt betroffen sind, kommen nicht vor.

Für (weiße) Männer* und Frauen* gleichermaßen dient diese rassistische Aufladung und gleichzeitige ständige Diskussion sexualisierter Gewalt dazu, reale Gefahren und, Ängste, aber eben auch die eigene Verantwortung für die sexistischen Zustände innerhalb dieser Gesellschaft zu externalisieren. Dadurch wird das Bild gefestigt, es ginge um unbekannte Fremde, nicht den eigenen Partner, den öffentlichen Raum, nicht die eigene Wohnung – und den ,anderen‘ Mann*, nicht um einen selbst.

Von Kandel nach Chemnitz: weibliche Opfer, männliche Ängste

2017 wurde die 15-jährige Mia von ihrem Ex-Freund, einem damals minderjährigen Geflüchteten, in einem Supermarkt in Kandel getötet. Kandel liegt nicht in Sachsen, sondern in Rheinland-Pfalz. Dort ist die AfD seit 2016 mit 12,6 % und 14 Mandaten im Landtag. Die rechten Mobilisierungen in und um Kandel waren regelmäßig, spektrenübergreifend, teilweise mehrere Tausend umfassend, und von nur minimalen zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Protesten begleitet. Vor allem Teile der AfD versuchten mit »Kandel ist überall« eine bundesweit übergreifende Kampagne zu machen, während die ,Identitären‘ Mias Tod in einer rassistischen Kampagne instrumentalisierten. Die rechte Mobilisierung erreichte bei Weitem nicht das selbe Gewaltpotential, wirkt aber inhaltlich bis heute nach – und wird vielleicht jetzt direkt nach dem Urteil gegen den Täter noch einmal aufflammen. Erstochen von ihrem Ex-Freund, vermutlich aus Eifersucht und Rache, ähnelt ihr Fall den tausenden Fällen, in denen Männer* ausflippen, wenn sie verlassen werden. Als Vergleich bietet sich u.a. ein aktuelles Beispiel aus Rostock an. Zeitgleich zu den Ereignissen in Chemnitz steht dort ein Mann vor Gericht, der seine Ex-Freundin in der Badewanne erstochen haben soll. Auch hier stehen Eifersucht und niedere Beweggründe des Verlassenen im Zentrum. Allerdings ist der Täter weiß und ein bis dato geachteter Unternehmer. Das Interesse und die Empörung sind wenig überraschend mäßig. Der Grundmechanismus wird dadurch relativ offensichtlich: gibt es auch nur den fernen Verdacht, dass eine Gewalttat (mit sexueller Komponente) von einem nicht-deutschen Mann begangen wurde, wird sie für Rechte und besorgte Bürger*innen zum Anlass und zur Legitimation rassistischer Hetze, während sexualisierte Gewalt durch weiße deutsche Täter gänzlich ausgespart und damit tabuisiert bleibt.

Interessant sind die Unterschiede, die sich zwischen Fällen wie Kandel (reales weibliches Opfer) bzw. Chemnitz (fiktive weibliche Opfer) und den zahlreichen Attacken mit terroristischem Hintergrund ergeben – wie etwa dem Jugendlichen, der Bahnreisende bei Würzburg mit einer Axt angriff und IS-Sympathien hatte. Keiner dieser Fälle hat bisher eine rechte Mobilisierungswelle in ähnlicher Größenordnung hervorgerufen, obwohl unzweifelhaft das Bedrohungspotential vorhanden ist. Nur bei sexualisierter Gewalt gegen Frauen* von migrantischen Tätern ist die Empörung so groß, dass auch fiktive Opfer ausreichen um selbige zu mobilisieren. Denn es geht eben nicht nur um ‚Frauenrechte‘, sondern auch um die Aufrechterhaltung der patriarchalen Ordnung: Dieser zufolge müssen Männer* aus der potentiellen Präsenz von Attentäter*innen in öffentlichen Verkehrsmitteln keine Bedrohung ableiten, sie dürfen keine Angst vor Angriffen haben. Frauen* dagegen müssen Angst vor sexualisierter Gewalt haben, auch damit Männer* ihrer Rolle als Beschützer gerecht werden können. Frauen* sind es gewohnt, den öffentlichen Raum als bedrohlich zu erleben und im Narrativ vom migrantischen Täter bekommen sie die Möglichkeit, dafür einen konkreten Grund festzumachen: seit 2015 sind »wir« draußen nicht mehr sicher. Für alle bleibt damit das Tabu bestehen, den privaten Raum als den wahren gefährlichen Ort sehen zu müssen, der er faktisch ist.[7]

Mobilisierung der toxischen Männlichkeiten

In Chemnitz spielen die fiktiven weiblichen Opfer in der medialen Wahrnehmung keine Rolle mehr. Auch Teile der Nazi-Mobilisierung drehen sich eher um Rachefantasien in Richtung »für jeden getöteten Deutschen ein toter Ausländer«. Die Fantasie, Frauen* zu schützen, ist zur Fantasie, alle Deutschen zu rächen geworden. Jeder einzelne Fall von sexualisierter Gewalt durch Migranten hat das Potential, eine rechte Mobilisierungswelle auszulösen. Was fehlt, ist die antifaschistische und gesamtgesellschaftliche Einsicht, dass es nicht hilft, nonchalant über die einzelnen Fälle hinwegzugehen. Die belästigten Frauen in Chemnitz mögen ausgedacht sein, in der rechten Mobilisierung sind sie aber höchst real, und sie sind bei weitem nicht alleine. Solange wir nicht ernsthafter über sexualisierte Gewalt, die Beziehungen zwischen Tätern und Betroffenen und vor allem die Bedeutung einer bestimmten hegemonialen Männlichkeitskonstruktion, die diese Taten möglich macht, nachdenken, diskutieren und schreiben, solange haben wir dem rechten Narrativ nichts entgegen zu setzen.

Jede dieser Taten ist widerlich. Widerlich ist aber auch, dass dieselbe Sorte toxischer Männlichkeit, die sexualisierter Gewalt zugrunde liegt, in Chemnitz, Kandel und anderswo sich selbst als Beschützer wehrloser Frauen* feiert: Es sind dieselben Männer, die bei jeder Gelegenheit politischen Gegner*innen jede Form von sexualisierter Gewalt wünschen und das immer wieder in Bildern, Kommentaren und Plakaten ausführen. Es sind oft auch jene Männer, deren angebliches Mitgefühl für vergewaltigte und ermordete Frauen* und deren Angehörigen oftmals dann in Hass, Häme und Gewaltfantasien umschwenken, wenn diese eine Instrumentalisierung erschweren, weil sie als Antirassist*innen den Kontakt mit Nicht-Weißen eben nicht mieden, wie es bei Sophia L. aus Leipzig und ihrem familiären wie politischen Umfeld der Fall war und ist.

In Chemnitz wurden hauptsächlich Männer* mobilisiert – diverse rechte Facebook-Seiten zeigen allerdings Filmausschnitte und Fotos vor allem vom Sonntag, die beweisen sollen, dass »auch viele Frauen und Kinder« mit demonstriert haben. Dabei werden Frauen* erneut instrumentalisiert, um den Mobilisierungen einen harmloseren Anschein und den Anstrich der weiblichen Selbstermächtigung gegen die Bedrohung zu verleihen. Zahlen über das Geschlechterverhältnis gibt es nicht, auf den Fotos und Videos wird deutlich, dass Männer* überwiegen, aber bei weitem nicht unter sich sind.

Ohne die Größe der Hooligan-Gruppe Kaotic Chemnitz, die zu der ersten Demonstration am Sonntag, der die Menschenjagden folgten, aufgerufen hatte, überzubewerten, haben sie das Bild der ,wehrhaften Männlichkeit‘ geprägt. Weiße, kampferprobte Männer* ziehen in den Bürger*innenkrieg, holen sich »ihre Straßen« und damit auch »ihre Frauen« zurück. Und Männer* – Neonazis – aus ganz Deutschland fühlen sich von dem offen artikulierten Dominanzanspruch direkt angesprochen. Medien und antifaschistische Zusammenhänge kolportieren und stärken dieses Bild, um das Bedrohungspotential der rechten Zusammenrottungen zu verdeutlichen: Dem muskulösen, dicken Nazi möchte eins auch nicht alleine und unbewaffnet begegnen.

Durch den Fokus auf männliche Nazis und deren Gewaltpotential wird auch antifaschistischer Widerstand vor allem zu einer männlich konnotierten Aufgabe. Kommentatoren und linke Analytiker übernehmen im Grunde das rechte Narrativ der wehrhaften Männlichkeit auf allen Seiten, ohne darin die Aufrechterhaltung einer Geschlechterordnung, die auf dieser Männlichkeit sowie einer imaginierten schutzbedürftigen Weiblichkeit beruht, zu sehen.

Ein ratloses Fazit

Auch extrem rechte Frauen* appellieren an die beschützende Männlichkeit. Dass in den sozialen Medien so oft betont wird, dass auch Frauen* in Chemnitz mit demonstriert haben, weist darauf hin, dass ihnen die rechtsextreme Szene selbst mehr Bedeutung einräumt als die Gegenseite. Seit der Silvesternacht in Köln hat es unzählige rechte Mobilisierungen unterschiedlicher Größe gegeben, in denen es um ‚Frauenrechte‘, Schutz vor sexuellen Übergriffen und Sicherheit im öffentlichen Raum ging. Sicher immer mit einer hart rassistischen Ausrichtung, dennoch: eine derart konsequente Thematisierung und Mobilisierung um diese Themen hat kein anderes politisches Spektrum in der letzten Zeit gebracht. Die Frage, inwieweit die Thematisierung von ,Frauenrechten‘ durch die extreme Rechte tatsächlich extrem rechten Frauen* eine politische Identität anbietet und von ihnen als Selbstermächtigung empfunden wird, sollte noch weiter analysiert werden. Gänzlich unwahrscheinlich ist es nicht und sicher auch für verschiedene Frauen* unterschiedlich zu beantworten.

Chemnitz 27. August 2018 – Fronttransparent des »Frauenmarsches« in Berlin der AfD-Politikerin Leyla Bilge © JFDA e.V.

In der antifaschistischen Analyse herrscht allerdings die Meinung vor, dass die ,Frauenthemen‘ reine Instrumentalisierung seien, oder man kichert darüber, dass hauptsächlich Männer* auf die ,Frauendemos‘ gehen. Hinter dem Lächerlichmachen der Präsenz von sexualisierter Gewalt und der Forderung nach Schutz davor innerhalb der extremen Rechten steht ebenso ein Prozess der Verdrängung, wie bei den Rechten selbst. Die einen meinen, wenn sie ihr Umfeld nur so weiß wie möglich halten könnten, seien sie sicher vor Übergriffen – eine einfache, rassistische Lösung für ein komplexes Problem. Die anderen meinen, solange die Nazis keine komplett feministische Mobilisierung hinbekommen, müsse man sich nicht weiter um deren neue komische Masche mit sexualisierter Gewalt kümmern. Dazu kommen eigene Unsicherheiten, wie das Thema angegangen werden könnte, wie die Angst von Frauen* ernst genommen werden kann ohne in das Narrativ zu verfallen, der öffentliche Raum sei erst seit 2015 unsicher.

Die einzige stichhaltige Argumentation gegen die monokausal-rassistische Erklärung sexualisierter Gewalt und das daraus resultierende Mobilisierungspotential ist der immer wieder zu führende Beweis, dass das Problem nicht die Ethnizität oder die Migrationsgeschichte von Tätern und Betroffenen ist, sondern eine bestimmte Form von Männlichkeit. Ein Identitätsangebot, für das sich Typen aus Tunesien, Afghanistan und Sachsen gemeinsam entscheiden, über alle politischen Grenzen hinweg. Und solange der gesamte Rest der Gesellschaft sexualisierte Gewalt als Resultat dieser Männlichkeit nicht ernst nimmt, werden die faktischen und ausgedachten Betroffenen von ausschließlich als migrantisch gedachter Männergewalt immense mobilisierende Wirkung haben.

  1.  Die folgenden Überlegungen sind teilweise implizite oder explizite Antworten auf Diskussionen mit oder zwischen primär männlichen Kollegen und Genossen, in denen wir viele kluge Analysen und tiefe Besorgnis lesen – aber auch Leerstellen sehen. Es gibt viele kluge Kolleginnen und Genossinnen, die schreiben, mit diskutieren und intervenieren – und von denen hoffentlich einige unsere Besorgnis über die allgemeine Männerdominanz teilen.
  2.  Wir benutzen hier den Begriff der »toxischen Männlichkeit«. Damit ist eine Gender-Konstruktion gemeint, die als männlich sozialisierte Personen von klein auf lernen und die umfassende Auswirkungen auf die eigene Gefühlswelt ebenso wie auf soziale Beziehungen hat. Sie beinhaltet Härte und Empathielosigkeit gegen sich selbst und andere, den Mangel, auf sich selbst zu achten, die Forderung nach Härte und Furchtlosigkeit und andere als männlich konnotierte Eigenschaften. Toxische Männlichkeit ist keinesfalls ein rechtes Phänomen, sondern betrifft die meisten Männer*, die in dieser Gesellschaft aufwachsen.
  3.  Sofern es sich erkennen lässt, versammelt die Leine eine lange Reihe extrem unterschiedlicher Taten mit – sofern bekannt – verschiedensten Täter*- und Opferkonstellationen: von versuchten Vergewaltigungen, sogenannten Ehrenmorden über Gewalt unter Schülern, einem Leichenfund in Österreich (über den sich später rausfinden ließe, dass der mutmaßlich geistig verwirrte Täter weißer Österreicher, das Opfer junge Ungarin war) bis zu einem Artikel über Säureattacken in Indien. Als Initiator gilt Robert V. aus Hohenlohe Öringen, ein Propagandavideo hat Karen Fischer produziert. Die Leine war neben Kandel und Chemnitz auf Aufmärschen und Kundgebungen des Spektrums von »Hohenlohe wacht auf«, »Hand in Hand« bzw. »Beweg was!«, »Wir für Deutschland« u.ä. zu sehen.
  4.  https://twitter.com/kthopkins/status/1034407425284222977?lang=ar
  5.  Mit Hilfe von Mimikama recherchierte die Journalistin Sarah Thust die Fälle und stellte fest, dass, sofern die einzelnen Opfer überhaupt identifiziert werden konnten, die Herkunft des Täters oder der Täter*innen oft unbekannt sind. In einem Fall war es eine Frau, mal ein rassistischer Schotte, mal ein Handtaschenräuber und Ähnliches. Vgl.https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/id_84352982/rechtsextreme-hetze-in-chemnitz-wer-sind-die-frauen-auf-diesem-plakat-.html
  6.  Annika Ross, »Frau W. und Nesrin in Chemnitz«, Emma, 31.8.2018, https://www.emma.de/artikel/frau-w-und-nesrin-chemnitz-336085
  7.  Die Zahlen über sogenannte häusliche Gewalt ergaben, dass alleine 2016 149 Frauen in Deutschland von ihrem Partner ermordet wurden. https://faktenfinder.tagesschau.de/inland/gewalt-115.html