Gekommen um zu sabotieren
»Wir müssen herausfinden, wie wir auf kommunaler Ebene sabotieren können«, forderte Hans-Thomas Tillschneider, Vertreter der Patriotischen Plattform der AfD jüngst zur Rolle von Kommunalpolitik für seine Partei. Um eine konstruktive Zusammenarbeit zur Lösung lokaler Problemlagen geht es Tillschneider offensichtlich nicht. Neben den zahlreichen Mandaten in Landtagen und im Bundestag ist die AfD auch in vielen kommunalen Gremien präsent und gestaltet (oder sabotiert) damit Politik direkt vor Ort.
von Felix Hansen
Nach apabiz-Recherchen besetzt die AfD rund 1.280 kommunale Mandate. Dazu kommen etwa weitere 230 Personen, die zwar für die AfD gewählt wurden, mittlerweile jedoch ausgetreten sind oder den Liberal-Konservativen Reformern (LKR) von Bernd Lucke bzw. Den Blauen von Frauke Petry angehören. Für die Recherche wurden bundesweit Kommunalmandate von (extrem) rechten Parteien und Listen ausgewertet. Gezählt wurden nicht nur die Mandate der AfD, sondern auch von NPD, Republikanern, der sogenannten Pro-Bewegung und weiteren Listen und Parteien, die wir zur (extremen) Rechten zählen, oder die Bezüge zu dieser haben. Dazu gehören Kleinstparteien und Listen, die oft nur auf der kommunalen Ebene aktiv sind, aber auch das Spektrum der christlich-fundamentalistischen Parteien. Die gesamte Recherche ist auf unserem Online-Atlas Rechtes Land zu finden.
Insgesamt zählen wir rund 2.355 (extrem) rechte Mandate in kommunalen Gremien. Diese Zahl erscheint auf den ersten Blick hoch, muss aber in Relation zur Vielzahl kommunaler Mandate insgesamt gesehen werden. Neben den 401 Landkreisen haben 11.000 Städte und Gemeinden eigene Gremien. Die Struktur und damit die Anzahl der zu vergebenden Mandate unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Einen Hinweis auf die Größenordnung gibt das Land Niedersachsen, wo nach Auskunft der Landeswahlleiterin alleine 29.000 Mandate vergeben werden. Geschätzt sitzen bundesweit mehrere hunderttausend Menschen in kommunalen Gremien. Nicht alle Landeswahlleitungen sind für die Auswertung von Kommunalwahlen verantwortlich und erheben eigene Zahlen.
Nun liegt erstmals ein detaillierter bundesweiter Überblick über (extrem) rechte Mandate in kommunalen Gremien vor. Die Herausforderung der Recherche lag dabei in der Beschaffung der Daten, da diese größtenteils direkt bei den Kommunen in mühsamer Kleinstarbeit gesammelt werden mussten. Zahlen der Landeswahlämter zu Kommunalmandaten gibt es nur vereinzelt, bundesweite Statistiken existieren gar nicht. Diese Leerstelle zeigt sich auch in den Reaktionen, die das apabiz auf die Veröffentlichung erhalten hat. Dabei war eine häufige Frage, ob wir auch Auskunft über die allgemeinen Zahlen zu kommunalen Mandaten oder zu anderen Parteien geben könnten. Diese Frage lässt sich ohne weitere Recherchen schlicht nicht beantworten.
Die Analyse zeigt, wie rechte Strukturen teils mit einer über Jahre hohen Beständigkeit verankert sind. Darüber hinaus gerät ein Spektrum in den Fokus, das oft unterschätzt wird, für die Bildung und Beständigkeit rechter Strukturen aber enorm wichtig ist. Die lokale Verankerung zeigte sich in den letzten Jahren besonders bei der Beteiligung von lokalen PolitikerInnen bei rassistischen Mobilisierungen. Um diese Überschneidungen tiefer zu untersuchen, wären weitere Analysen und Recherchen angebracht.
Die Analyse zeigt, wie rechte Strukturen teils mit einer über Jahre hohen Beständigkeit verankert sind.
Die Auswertung ermöglicht einen detaillierten Blick in die Altersstruktur und das Geschlechterverhältnis. Der Anteil von Mandatsträgerinnen liegt bei den untersuchten Parteien AfD (inkl. Abspaltungen), NPD und REPs durchgängig bei rund zehn Prozent. Ausnahmen stellen die christlich-fundamentalistischen Parteien sowie die Pro-Bewegung dar, hier wird etwa jedes vierte Mandat von einer Frau besetzt. Dieses Ungleichgewicht zieht sich zwar durch alle Parlamente in Deutschland, ist bei den (extrem) rechten Parteien und Listen jedoch stärker ausgeprägt. Statistiken über das Geschlechterverhältnis aller Parteien in Parlamenten gibt es nur vereinzelt. Wo es sie gibt, zeigen sich aber ähnliche Werte. Beispielsweise werden nach offiziellen Zahlen aus Hessen und Baden-Württemberg in den dortigen Kommunalvertretungen etwa 20 bis 25 Prozent der Mandate von Frauen besetzt.
Die Auswertung der Altersstruktur zeigt Unterschiede zwischen den Parteien. Bei der AfD ist die größte Alterskohorte bei den 50 bis 59-Jährigen zu finden. Die aktivistisch geprägte NPD schickt hingegen deutlich jüngere Personen in die Parlamente. Hier liegt der Schwerpunkt bei den 30 bis 44-Jährigen.
In Anbetracht der bundesweiten Entwicklung kann davon ausgegangen werden, dass die AfD zunehmend mehr Mandate gewinnen wird, während andere der analysierten Parteien und Listen mitunter seit Jahren an Relevanz verlieren. Obwohl die Republikaner auf Bundes- und Landesebene keine Rolle mehr spielen, besetzt die Partei im Süden und Westen Deutschlands noch fast 80 Kommunalmandate. Die NPD hat trotz diverser Wahlniederlagen noch 340 Mandate inne. Ihr Schwerpunkt liegt im Osten, doch auch in fast allen West-Bundesländern gewinnt die Partei regelmäßig Sitze. Oft wird übersehen, wie fest die NPD auch in einzelnen Kommunen im Westen verankert ist. Ein Beispiel ist Mittelhessen. Dort stellt die Partei in den Stadtverordnetenversammlungen von Büdingen vier Mandatsträger-Innen (10 Prozent der Stimmen), in Wetzlar fünf und in Leun drei (11 Prozent). Allerdings fällt auf: In allen Kommunen trat die AfD nicht zu den Wahlen an. In der niedersächsischen Gemeinde Süpplingen sitzt ein und derselbe Vertreter der NPD mit kurzen Ausnahmen seit 50 Jahren im Rat der Gemeinde und erreichte dort 16 Prozent der Stimmen – um den der Partei zustehenden zweiten Sitz zu besetzen gab es keineN KandidatIn.
Bei ihren derzeitigen Wahlerfolgen kämpft die AfD mit dem Problem, nicht alle ihr zustehenden Mandate besetzen zu können. Zur Zeit sind bundesweit über 50 Mandate der Partei unbesetzt, da nicht genügend geeignete KandidatInnen zur Verfügung stehen. Für die AfD wird es nun darauf ankommen, den errungenen Wahlerfolg in dauerhafte Strukturen umzusetzen. Dabei setzt sie auch auf offene Listen, um Personen aus dem Umfeld der Partei eine Kandidatur zu ermöglichen.
Auch wenn sich der Anteil der (extrem) rechten Mandate rein zahlenmäßig in der Gesamtzahl von mehreen hunderttausend Mandaten relativiert und schätzungsweise lediglich bei einem halben bis einem Prozent liegt, dürfen das Potential und die Möglichkeiten einer lokalen Verankerung nicht unterschätzt werden. Über die Etablierung der lokalen Verankerung verfolgen die Parteien eine Doppelstrategie aus sachpolitischer Normalisierung und ideologischer Provokation. Dazu dient ihre Präsenz vor Ort, wo sie sich oftmals als »Kümmerer« verkaufen. Bei der AfD wird die nötige Infrastruktur dafür auch durch die Landtags- und Bundestagsabgeordneten bereitgestellt: Vielerorts werden derzeit Bürgerbüros eröffnet. Letztlich wird die Kommunalpolitik insbesondere durch (extrem) rechte Akteure jedoch oft nur als Sprungbrett zum Erreichen der Landesparlamente und des Bundestags gesehen.
All dies stellt die lokale Auseinandersetzung mit (extrem) rechten Parteien vor eine neue Herausforderung. Bei der Betrachtung der realpolitischen Positionen der AfD darf die ideologische Agenda nicht vergessen werden und muss Gradmesser für die Auseinandersetzung mit der Partei bleiben. Bis Ende 2019 stehen in zwölf Bundesländern Kommunalwahlen an und nahezu überall gilt: Wo die AfD antritt, zieht sie auch in die Parlamente ein.
Die Recherche ist auf unserem Online-Atlas Rechtes Land zu finden.
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