Auch abseits der Buchmesse sorgen rechte Verlage für Unmut. Hier: Proteste gegen das Compact-Magazin in Falkensee 2017.  Foto: Björn Kietzmann

Die Gesellschaft als Messehalle

Wieder ist eine Buchmesse vorbei, an der extrem rechte Verlage teilnahmen. Und wieder lesen sich viele der Reaktionen genau so, wie es vorab herbeigeschrieben wurde: Linke Gruppen seien auf die Provokation von Rechten herein gefallen, hieß es, und verschafften ihnen damit erst die Aufmerksamkeit, die sie bräuchten.

Ein Gastbeitrag von Sebastian Dörfler

So zum Beispiel das Fazit der Süddeutschen Zeitung oder der Welt. Der Tagesspiegel sprach vor Leipzig bereits von einer »Protestfalle« und empfahl entsprechend: mehr Coolness. Ein Erfolg von Per Leo, der in seinem Buch Mit Rechten reden. Ein Leitfaden und zuletzt noch einmal im Freitag skizzierte, wie schön es wäre, würden Kubitschek & Co. an ihren Ständen einfach ignoriert werden:

Würden all jene, die jetzt wort- und gestenreich die »Gefahr von rechts« beschwören, einfach gar nichts tun, wäre in bester taoistischer Manier alles getan […] So sähe sie aus, die hart erkämpfte rechtsintellektuelle Normalität auf der Buchmesse: Allein unter 7.300 Ausstellern, Horden von Esoterikomas auf Klosterfrau Melissengeist und der kleine, böse Akif. Stress ohne Ende, null Adrenalin.

Doch dann kam die Antifa.

Die Ecke hinten rechts

Was stimmt, ist, dass linke Gruppen vor einem Dilemma stehen, angemessen auf Auftritte von extrem rechten Verlagen auf einer Buchmesse zu reagieren. Thorsten Hahnel vom Verein Miteinander in Sachsen-Anhalt hat in einem sehr hörenswerten Interview geschildert, wie Jürgen Elsässer & Co. die kurze Konfrontation am Samstag genossen, den »Skandal«, so dass bei Hahnel das Gefühl bleibt, diese Art der Auseinandersetzung »nützt den Rechten eher, als dass sie ihnen schadet.«

Und wie in Berichten zu lesen ist, war die Ecke hinten rechts, in der die extrem rechten Verlage Antaios und Compact platziert waren, zusammen mit dem gemeinsamen Stand der NPD-Zeitung Deutsche Stimme und der neonazistischen Stiftung Europa Terra Nostra, vor dem Wochenende relativ schwach besucht. Die Junge Freiheit war sich für diese Ecke zu schade und reiste (ebenso wie die ihr nahe stehende Zeitschrift Cato) gar nicht erst an.

Die Logik des Ignorierens und der ergebnisoffenen Dialoge

Ehe die Lage vom Wochenende hier weiter aufgedröselt wird, lohnt es sich, noch einmal bei der Logik des Ignorierens zu bleiben. Wer ihr folgt, sagt in letzter Konsequenz auch: besser, man widerspricht faschistischen und menschenfeindlichen Positionen gar nicht mehr, ob in Wort oder Aktion, denn mit der Opfer- und Meinungsfreiheitskeule entscheiden die Rechten nahezu automatisch jede Debatte für sich. Also ignoriert einander, oder besser – und das wäre die nächste Stufe: führt ergebnisoffene Gespräche mit jenen, die die »Kampfmoral und die Wut der breiten Masse« heben und das demokratische »Regime« stürzen wollen (so Kubitschek und Elsässer auf der Buchmesse), denn ein Gespräch, schreibt die Welt, hieße »frei nach Gadamer: Der andere könnte recht haben.«

Man findet vor allem in jenen Redaktionen Zuspruch für diese Positionen, die zuvor im Akkord Interviewanfragen und Reporter nach Schnellroda schickten, gemeinsam mit Kubitschek und Kositza Ziegenkäse aßen, und mit dem Fazit zurück kamen: sie schreiben nicht so schön wie Ernst Jünger und sind deswegen vielleicht ein ästhetisches Problem. Aber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Ideologien, Netzwerken und der Arbeitsteilung extrem rechter Gruppierungen – eben gerade auf einer Buchmesse – davon findet sich in den oben verlinkten Texten kein Wort. Sie sehen nur das Spektakel, Kubitscheks Inszenierung. Und erst deswegen nützen sie den extrem Rechten.

Worüber man berichten könnte

Anstatt nur über hochgehaltene Transpis zu berichten, hätte man zum Beispiel genauer hinschauen können, wie das gewaltbereite Bodenpersonal Kubitscheks auf die antifaschistische Provokation ihrerseits reagierten: Wie Aktivisten der Kontrakultur Halle und der Identitären Bewegung Berlin-Brandenburg versuchten, auf die Träger*innen einzuschlagen und danach alle gemeinsam: »Jeder hasst die Antifa« riefen. Und wie Kubitschek am Abend im hauseigenen Videokanal wieder den Unschuldigen gibt: »Wir haben auf eine sehr ruhige und disziplinierte Weise reagiert, unsere Schilder in die Höhe gehalten, nicht dagegen gebrüllt und uns so verhalten, wie man sich auf einer Buchmesse auch verhält.« Hier war eine Arbeitsteilung zu beobachten – und darüber hinaus wieder einmal, wie die Spektren verwischen, so dass die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel die Messe nach ihrem Besuch als »Wallfahrtsort von Neonazis wie Identitären, Legida- und Pegida-AnhängerInnen und NPD« bezeichnete.

 

Thorsten Hahnel spricht davon, wie schon die Tage zuvor ein eigener Sicherheitsdienst vermeintlich unliebsame Leute abgefilmt und angegangen hätten. Am Samstag habe dann eine »Stimmung wie bei einer Neonazi-Demo« geherrscht. Das Bedrängen der Leute, die Aussagen auf Podien und in deren Büchern, das habe mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun – und: »Die Auseinandersetzung wäre vollkommen anders gelaufen, hätte die Messe das getan, was sie vorher angekündigt hatte: einzuschreiten, wenn faschistische Positionen vertreten, Menschen bedroht werden. Da gab es keine rote Linie«.

Man hätte anders reagieren müssen. Und man hätte anders berichten können und hinter eine konfrontative Situation und die große Inszenierung schauen.

 

 

»Die Auseinandersetzung mit faschistischen Strategien wird Linken überlassen«

Die Buchmesse und das diskursive Drumherum zeigen neben der Frage nach der geeigneten antifaschistischen Strategie für Thorsten Hahnel so wieder einmal, wie »die Auseinandersetzung mit rechtsextremen und faschistischen Strategien Linken überlassen wird, um hinterher sagen zu können: Es läuft ja hier auf eine Links-Rechts-Auseinandersetzung hinaus. Und schwups hat man wieder sein Hufeisen, also die Extremismustheorie bestätigt.«

Die Arena dieser Auseinandersetzung ist im Grunde beliebig: sei es in den Parlamenten, wo die Unterstützung lokaler Bündnisse gegen Rechts fallen, weil die CDU zunehmend »linke Extremisten« in den Initiativen sieht – und das, während Neonazis seit Jahren den Kiez mit Anschlägen durchziehen. Oder während der Debatte um die Äußerungen von Uwe Tellkamp: »Die Mitte« inszeniert sich fast überall als der vernünftige Erwachsene, der mit gerümpfter Nase und genervt diese »Sandkastenspiele« zwischen Links und Rechts ertragen muss.

Auch die Verlage gegen Rechts konnten dieser Entwicklung nicht vollständig etwas entgegensetzen, meint Hahnel, denn größere Verlage fanden sich nicht in dem Bündnis. Jedoch schafften sie es, mit einer Kundgebung zum Buchmessenauftakt, zahlreichen Veranstaltungen und Infomaterial präsent zu sein und die inhaltliche Auseinandersetzung zu führen. Neben diesem Bündnis ebenfalls als Reaktion auf die Frankfurter Messe entstanden, beschloss die Gruppe Prisma die Konfrontation zu vermeiden und setzte stattdessen auf eine Performance. Es werden also verschiedene Aktionen gesucht, um die Auseinandersetzung zu führen, und das ist auch richtig, denn die Konsequenz eines Ignorierens wäre fatal.

Was passiert, wenn FaschistInnen ignoriert werden?

Zum Schluss noch einmal zu der Frage des Dialogs und des Ignorierens: Man konnte auf der Buchmesse beobachten, wie zum Beispiel Ellen Kositza und andere bei einer Veranstaltung der Verlage gegen Rechts störten, dazwischen rief, und dann auf den Hinweis, sie könne hier gleich eine Nachfrage stellen, abzog; Man konnte Kubitschek lamentieren hören, nicht zu den Podien eingeladen worden zu sein (warum auch?). Auch das ist eine Inszenierung. Um es noch einmal klar zu sagen: die extreme Rechte ist nicht interessiert an einem Dialog.

Götz Kubitschek hat das in dem Text »Provokation« gesagt: »Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.« Es geht um Normalisierung des Sagbaren, darum, den »Riss zu vertiefen«, jeder Auftritt auf der Buchmesse ist für ihn eine »Raumnahme«. Wie die aussähe, würde einmal kein Widerspruch an den Ständen extrem rechter Verlage geäußert werden und sie tatsächlich ignoriert werden?

Dazu muss man nur den schon zitierten Text »Provokation« weiterlesen. Darin fragt Kubitschek, was zu tun wäre, wenn das politische Angebot der Bundesrepublik eine Messehalle wäre, in der seine Ware nur einen Platz hinter einer Klotüre bekommen würde – »anderswo war – nach Auskunft der Betreiber – kein Stand mehr frei.« Provokation bedeute in diesem Fall, »den Stand zu verlassen und als lebende Wegweiser die Halle zu durchkämmen.« Dort suchten junge Männer und Frauen nach Antworten – und würden sie von diesen »lebenden Wegweisern« erhalten.

Wenn also an einem Messewochenende die »Wallfahrt von Neonazis wie Identitären, Legida- und Pegida-AnhängerInnen und NPD« nicht mehr hinten rechts in die Ecke führt, weil sie darauf vertrauen kann, dass die mediale Inszenierung so gut funktioniert, dann würde sie in die anderen Hallen führen, um Einstiegspakete zu verteilen, unliebsame Veranstaltungen zu stören und Menschen zu bedrohen und anzugreifen. Man bekommt derzeit vermehrt den Eindruck, das ist genau die »taoistische Manier«, die sich so viele im Umgang mit Rechtsextremismus wünschen.