Jetzt erst recht – Für eine starke antifaschistische Bewegung!
Der Einzug der AfD in den Bundestag ist eine Zäsur. Tatsächlich waren völkische, nationalistische Positionen selten so stark im Bundestag vertreten. Spätestens jetzt wird es darauf ankommen, breite Bündnisse einzugehen. Es gilt, die Schnittmengen von Themen zu finden, die verbindend sind. Ein positiver, offensiver Bezug auf Antifaschismus ist heute wichtiger denn je.
vom apabiz
»Rechte Gewalt erreicht traurigen Rekord«, »Asylunterkunft abgebrannt«, »Tausende bei Pegida«, »AfD schafft Einzug in Parlament«. So oder so ähnlich sahen die Schlagzeilen der letzten Jahre in beständiger Regelmäßigkeit aus. Der Erfolg der AfD kann nicht ohne die rassistische Straßenmobilisierung und Gewalt verstanden werden. Beide waren von jeher eng miteinander verwoben. Die AfD im Bundestag ist aus TäterInnen-Perspektive die Legitimation für Drohungen und Gewalt. Rassistische, homo- und trans*feindliche AngreiferInnen können sich auf die Positionen einer demokratisch gewählten Partei oder 20.000 marschierende PegidistInnen berufen. Dieser Entwicklung etwas entgegen zu setzen, war für alle antifaschistischen Aktivist*innen ein enormer Kraftakt, der in den wenigsten Fällen mehr war als die sogenannte Feuerwehr-Politik. Diese aufrecht zu erhalten war an vielen Orten schlicht nicht möglich.
Zu Recht Angst haben
Für Menschen, die eine emanzipatorische und gerechte Gesellschaft möchten, ist der Erfolg der AfD ein herber Rückschlag. Mit Sarrazin, Pegida und der AfD ist ein – und diese Aufzählung von Adjektiven ist unvollständig und dennoch wenigstens einmal in dieser Länge notwendig – rassistischer, sexistischer, homo-, trans*- und queerfeindlicher, antisemitischer, islam-feindlicher, geschichtsrevisionistischer, behindertenfeindlicher, sozialdarwinistischer, antiziganistischer, klassistischer, nationalistischer, völkischer und anti-linker bzw. anti-kommunistischer Hass sagbarer, öffentlicher und offen bedrohlicher im Alltag geworden, obwohl er immer schon da war. Das gesellschaftliche Klima hat sich geändert, zieht konsequent und spürbar Gewalt gegen Menschen nach sich und macht zurecht Vielen, auch uns, Angst. De facto werden immer mehr Leute durch körperliche und verbale Angriffe, durch shitstorms, durch die AfD-Parolen, durch den Hass eingeschüchtert, in ihren Forderungen gemäßigt oder ganz zum Schweigen gebracht.
Fast jede Woche kommt – neben den kontinuierlich rasant steigenden Angriffszahlen – eine neue kleine oder große Hiobsbotschaft, die verdeutlicht, wie sehr sich viele nach rechts orientieren und eine gesellschaftliche Polarisierung anfeuern: In Bayern ermittelt die Staatsanwaltschaft bei Kirchenasyl, NRW schlägt Migrant*innen eine Namensänderung vor, damit sie »ihre Integration verfestigen« könnten, eine als »Richtwert« getarnte Obergrenze scheint plötzlich möglich. Die Kriminalisierung von linken und linksradikalen Personen, Gruppen und Protesten wie um G20 nimmt lange nicht mehr gekannte Ausmaße an.
Aus dem NSU gelernt?
Als sich 2011 der NSU selbst enttarnte und das mörderische Zusammenspiel von Neonazismus, institutionellem und gesellschaftlichem Rassismus in Form von zehn Toten, dutzenden Verletzten und zerstörten Familien und communities am Pranger stand, gab es erst Schweigen und dann auch ein wenig Selbstkritik: Aus dem NSU lernen sollte heißen, dem migrantisch situierten Wissen, das so viele von uns und die weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft so fatal überhört und ignoriert hatten, Raum zu geben: Den Betroffenen zuhören, sich zusammen setzen, sich nicht auf den Staat verlassen, zusammen kämpfen, damit das nicht wieder passiert.
Nicht viel ist besser geworden seitdem. Einiges ist schlimmer geworden. Die AfD im Bundestag ist die Manifestation einer Bedrohung, die schon lange zunahm. Dass sie in einem rassistischen Klima gedeihen konnte, ist eine Binsenweisheit, doch dieses Klima wird durch Alle geprägt, auch und gerade wenn ratlos oder mutwillig geschwiegen wird. Die Erfolge der AfD bei den Landtagswahlen sowie die entstandene rechte Protestbewegung der vergangenen Jahre ließen das Ergebnis der Bundestagswahl bereits erahnen. Es ist der antifaschistischen Bewegung nicht gelungen, dies zu verhindern. Selbst am Tag nach der Wahl gab es kaum nennenswerte Proteste. Dabei wäre ein Zeichen an alle, die zurecht Angst haben, wichtig gewesen. Wenigstens das sollte eine Lehre aus dem NSU sein. Ein Verständnis von einer pluralistischen, diversen und solidarischen Gesellschaft muss hör- und sichtbar sein, Angegriffene sollten nicht alleine gelassen werden und die Diversität und Widersprüchlichkeit sollte nicht nur ausgehalten, sondern verteidigt werden. Das heißt, es braucht in Zukunft mehr gegenseitige Unterstützung, Empathie und eine außerparlamentarische Bewegung, die antifaschistisch, staatskritisch, (queer-)feministisch, antirassistisch und inklusiv ist.
Nie wieder!
Zum politischen Wirken der AfD gehört die stückweise Auflösung des in den letzten Jahrzehnten bereits bröckelnden, demokratischen Nachkriegskonsens, der da hieß »Nie wieder!« Dieser wird von der AfD nicht nur in Frage gestellt, sondern als Makel markiert, den es abzulegen gilt. Jedes Mal wenn die AfD von »Nationalstolz«, »Schuldkult« oder »Souveränität« schwadroniert, ist immer auch dieses »Nie wieder« in Frage gestellt. Wer heute so wie Ex-CDU Mitglied Alexander Gauland stolz auf die Taten Deutscher Soldaten in beiden Weltkriegen sein will, dem ist die Erinnerung an den Holocaust schlicht ein Hindernis. Immer wieder wurde in den letzten Jahren darüber debattiert, wie ein Erinnerung an die Shoa aussehen wird, wenn die letzten Überlebenden gestorben sind und mit ihnen die wohl eindrücklichsten Mahner*innen verstummen. Den geschichtsrevisionistischen Angriffen der AfD muss auch in Zukunft eine antifaschistische Erinnerungskultur entgegen gestellt werden, die sich klar jeder Extremismustheorie entsagt. Dazu gehört auch eine Analyse und Erinnerung daran, wie die historische und ideologische Genese der nationalsozialistischen Bewegung aussah, die Kontinuitäten und Unterschiede zu heute zu erkennen sowie die extreme Rechte in ihren vielen Facetten und Widersprüchen ernst zu nehmen. Und ihre Opfer ernst zu nehmen.
Realpolitische Konsequenzen
Wer wissen will, was von der AfD im Bundestag zu erwarten ist, schaue zunächst in die Landtage. Die Bühne des Parlaments wird genutzt, um die politische Debatte im eigenen Sinne zu beeinflussen. Oftmals ist Provokation das Mittel der Wahl. Das heißt konkret: Redezeit wird für rassistische oder anders verletzende Verunglimpfungen genutzt. Das Werkzeug der parlamentarischen Anfrage dient dazu, all jene zu diskreditieren, die der AfD ein Dorn im Auge sind. Geflüchtete oder Migrant*innen werden wahlweise als Sicherheitsrisiko oder Kostenfaktor dargestellt, Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit die Sinnhaftigkeit abgesprochen. Viele Millionen Euro wird die Partei in den nächsten Jahren kassieren und diese in eigenes Personal, Stiftungen, Büros und rechte Thinktanks investieren. Damit eröffnen sich ihr neue Spielräume in nicht gekannter Dimension. Ressourcen und Gelder – wir kennen es von der NPD – werden auch jenseits der Partei in extrem rechte Projekte fließen, vom organisierten Antifeminismus bis hin zu den Identitären. Zivilgesellschaftliche Projekte hingegen, welche sich für die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten engagieren und auch weiterhin auf den völkisch-rassistischen Charakter der AfD aufmerksam machen, werden in den kommenden Jahren verstärkt unter Druck geraten. Ihnen will die AfD die Expertise absprechen, in dem man sie in die Nähe des sogenannten »Linksextremismus« rückt. Hier kann sie einmal mehr an einen Diskurs anknüpfen, der seit Jahren auch in der sogenannten »Mitte« geführt wird.
Nach der Wahl grenzten sich alle demokratischen Parteien von der AfD ab. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass man sich schon im Wahlkampf von rechtsaußen treiben ließ und versuchte, durch die Übernahme von Themen, die durch die AfD gesetzt wurden, Wähler*innen zurück zu gewinnen. Später warnte man unisono vor der Gefahr von »Nazis im Bundestag« – Wahlkampfrhetorik, die in ihrer analytischen Unschärfe kaum weiter hilft. Dennoch gilt es auch diese parteipolitischen Akteure zukünftig an ihre antifaschistischen Positionen zu erinnern, damit sie ihren Teil dazu leisten, der AfD nicht die (parlamentarische) Bühne zu überlassen. So wie es zum Beispiel wenige Tage vor der Konstituierung des neuen Bundestages eine Demonstration in Berlin einforderte die mit rund 12.000 Menschen ein Zeichen setzte gegen die widerstandslose Hinnahme eines rassistischen Normalzustandes im Parlament.
Grundlegend für die Politik der AfD ist der Versuch, die Gesellschaft in ein völkisch verstandenes »Wir« mit der Idealvorstellung der weißen, heterosexuellen Kleinfamilie und dem als fremd markierten Rest zu spalten. In der AfD denkt man ganz offen in antifeministischen und rassistischen Kategorien. Was rechte Einstellungen angeht, ist ihr Einzug in den Bundestag jedoch vielmehr vorläufiger Höhepunkt einer kontinuierlichen Entwicklung, denn Zäsur. Gleichzeitig gab es Teilerfolge, zumindest für eine gemäßigte progressive Politik, wie die Ehe für Alle, Gleichstellungspolitiken und Antidiskriminierungsrichtlinien. Diese machen die Situation aber nur für Manche besser. Teilerfolge für Manche heißt, dass die Anerkennung für andere unter Umständen in weitere Ferne rückt: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz beinhaltet explizit keine klassistische oder sozialchauvinistische Diskriminierung, Geflüchtete aus Syrien werden gegen Geflüchtete aus Afghanistan ausgespielt, die überfällige Reform des Sexualstrafrechtes ging auf Kosten einer pauschalen Stigmatisierung von als Migranten markierten Tätern. Im Großen und Ganzen ist so das Auseinanderdriften, die Spaltung der Gesellschaft nicht aufgehalten, an mancher Stelle hingegen sogar noch verschärft worden.
Und nun?
Sowohl in der antifaschistischen Analyse als auch auf Protestebene wurden die politischen Gefahren innerhalb des Rechtskonservatismus, der sich nun neu formiert hat, jahrelang – wenn überhaupt – maximal am Rande thematisiert. Die Auseinandersetzung mit Burschenschaften oder neurechten Medien galt vielen als zweitrangig, gab es doch immer wieder »richtige Nazis«, denen man seine Zeit widmen konnte. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Existenz der »Bibliothek des Konservatismus« – einem der Knotenpunkte der Neuen Rechten bundesweit – mitten in Berlin bislang kaum zu Widerspruch führte.
Es wird in den nächsten Jahren eine starke antifaschistische Bewegung außerhalb der Parlamente brauchen, die genau hier ansetzt. Oft wurde in den letzten Jahren darüber debattiert, ob es dieser überhaupt noch bedarf. Antifa? – Das schien voll 90er. Die Vielzahl rassistischer Übergriffe, Brandstiftungen und rechter Demonstrationen, egal ob in Heidenau, Erfurt, Köln oder Berlin sowie die Übernahme extrem rechter Diskurse durch breite Teile der Gesellschaft und die Politik macht deutlich: dieser Antifaschismus wird gebraucht und zwar dringend.
Wir brauchen zukünftig größere Empathie und gegenseitige Unterstützung mit all denjenigen, die von den Aggressionen der AfD betroffen sind. Das heißt beispielsweise, die sozialpolitischen Linien der AfD entlang rassistischer Zuschreibungen und kollektivierende Nützlichkeitserwägungen ebenso zurückzuweisen wie den Antifeminismus der AfD, eines ihrer zentralen Handlungsfelder und Kitt bis tief hinein in konservative Kreise. Das Ziel eines emanzipatorischen feministischen und antirassistischen Antifaschismus darf nicht aufgegeben werden.
Betrachtet man die Möglichkeiten der AfD dabei realistisch, muss man sich eingestehen, dass diejenigen, die sich auf außerparlamentarischer Ebene als Antifaschist*innen organisieren, derzeit aus einer Position der Schwäche agieren. Ein einfaches »weiter so« kann es nicht geben. Es gilt, nicht die immer gleichen Rituale einer abgekapselten Subkultur, die ihre letzten Rückzugsräume verteidigt, zu wiederholen, sondern sich wieder offensiv und selbstbewusst in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen, das Klima mit zu verändern.
Mely Kiyak schrieb vor kurzem über den (west-)deutschen Nachkriegs-Imperativ des »Nie wieder!« als einem antifaschistischen »Eid, den man einander gab, sich nicht auf der Grundlage von nationalistischen oder völkischen Grundsätzen nicht nur nicht auszulöschen, sondern auch keine Politik zu betreiben. Auch nicht die Rhetorik zu verwenden, den ganzen alten Mist eben nicht mehr rauszuholen.« Dieser Eid wird, nach Allem was wir von der AfD kennen, als bundesdeutscher Nachkriegs-Konsens nun auch im Parlament zerbrechen, nachdem er während vieler Jahre flächendeckend im Lande unter Druck stand und immer mehr zerbröckelte. Aus dem wackeligen Konsens ist ein umkämpftes Terrain geworden.
Die aktuelle politische Situation wird vermehrt Menschen politisieren, die etwas tun wollen. Diesen Wunsch gilt es ernst zu nehmen und gemeinsam aktiv zu werden. Es wird darauf ankommen, breite Bündnisse einzugehen, auch mit Organisationen, Parteien und Strukturen, mit denen bisher nicht oder nur am Rande zusammen gearbeitet wurde. Es gilt, die Schnittmengen von Themen zu finden, die verbindend sind. Ein positiver, offensiver Bezug auf Antifaschismus ist heute wichtiger denn je und muss auch außerhalb der eigenen Bewegung eingefordert werden.