Ästhetische Mobilmachung – Zur Strategie politischer Kommunikation der neurechten Identitären
Ob CDU-Zentrale, Brandenburger Tor oder Zugspitze: Die Aktionen der Identitären bewegen sich in Kulissen, die ihrer Performance Farbe, politischen Sinn und wiederverwendbares Abbild verleihen. In der Berichterstattung braucht es deshalb einen dekonstruierenden Umgang mit der von ihnen produzierten Bilderflut.
von David Begrich
Am 27. August 2016 erklomm eine Gruppe der Identitären das Brandenburger Tor und entrollte dort zwei Transparente. Am folgenden Tage war ein Foto von der Aktion auf den Titelseiten einiger Berliner Sonntagszeitungen zu sehen. Wovon jede PR-Firma träumt – geringer Aufwand, maximale Wirkung – hatten die Identitären erreicht. Die Aktion am Brandenburger Tor steht exemplarisch für die Strategie politischer Kommunikation der neurechten Identitären. Dieser liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Protest in der Mediengesellschaft, in der Aufmerksamkeit eine eigene ökonomische Maßeinheit ist, nicht zuerst mit komplexen Inhalten Wirkung erzielt, sondern über sinnstiftende symbolische Inszenierungen in Kulissen mit hohem symbolischen und kulturellen Wiedererkennungswert vermittelt wird. Anders ausgedrückt: Die Aktionen der Identitären brauchen die Aura eines kulturellen oder historischen Ortes, um zu funktionieren.
In der Logik politischer Performance entfaltet sich deren Wirkung durch ihre mediale Verstärkung und Reproduktion. Diese vollzieht sich bei den Aktionen der Identitären auf mehreren Ebenen. Zeitgleich mit der Kletteraktion am Brandenburger Tor twitterten andere rechte Aktivist-Innen, dass eine Aktion im Gange sei und posteten Bilder davon. Diese Tweets wiederum wurden keineswegs nur von rechten SympathisantInnen der Identitären weitergetragen, sondern auch von reichweitestarken Accounts bekannter Journalist_innen, linker Aktivist_innen und Politiker_innen. Auch wenn diese ihren Retweets einen Kommentar der Empörung hinzufügten, trugen sie doch ungewollt zur Multiplikation der Aktion bei.
Eine weitere Ebene ist die videografische Verarbeitung der Aktion. Die Identitären begnügen sich bei ihren Aktionen nicht damit, einfach nur eine Kamera mitlaufen zu lassen. Vielmehr wird alles aus verschiedenen Perspektiven gefilmt, in deren Mittelpunkt nicht die statische Wiedergabe einer Aktion steht, sondern die filmische Aufbereitung der Tat rechter AktivistInnen, die im professionell geschnittenen Video ein Bild von Entschlossenheit und Tatkraft abgeben sollen. Schnitte, Perspektivwechsel der Kamera und Musik sollen Dynamik und Attraktivität der Identitären vermitteln: Die mediale Aufbereitung ihrer Aktionen ist den Identitären ebenso wichtig wie die damit verbundene politisch sozialisierende Selbstwirksamkeitserfahrung. Dass die Bildsprache das A und O ist, wird jedem Aktivisten zum Beispiel auf den jährlich stattfindenden »Sommerakademien« ganz deutlich vermittelt: »Die IB ist eine metapolitische Kraft, die versucht, Ideen, Parolen und Bilder in das metapolitische Feld zu führen. Mit Aktionen schaffen wir einen medialen Hype und eine Viralität, die unsere Parolen und Bilder so schnell und breit wie möglich streuen. Die ganze Arbeit, die wir in eine Aktion reinstecken, wird nutzlos, wenn die Bilder, die es transportiert, nicht klar und von guter Qualität sind.«1
Ikonen für eine »patriotische Bewegung«
Die identitäre Medienstrategie setzt wesentlich auf Methoden des Handbuchs politischen Marketings. Dazu gehört, jede Form der Kritik als Bestätigung des eigenen Handelns zu vereinnahmen und ebenfalls zu verbreiten. Meister darin ist Martin Sellner, der im Internet omnipräsente »Co-Leiter« der Identitären aus Wien. Für den Blog der rechten Zeitschrift Sezession verfasste er einen Text unter dem Titel »Danke Antifa«, in dem er linken Gruppen dafür dankte, mit ihren Gegenaktionen und Statements die politische Reichweite der Identitären zu mehren.
Mag die Reklamation von Kritik an den Identitären als Werbung für sie eine rhetorische Figur sein, benennt sie doch einen wichtigen Punkt. Indem etwa die Berliner Tageszeitungen ein Bild der Kletteraktion am Brandenburger Tor auf ihre Titelseiten hievten, reproduzierten und verstärkten sie die Ikonografie der Identitären und wurden ungewollt Teil ihrer Medienstrategie. Im Lichte des Titelbildes von der Aktion fiel dann der Verweis auf den Verfassungsschutz, der die Identitären beobachte, für das kostenlose Marketing nicht mehr ins Gewicht.
Am 19. Mai 2017 war es mal wieder soweit. Die Identitären schritten unter den Augen interessierter Medien zur Tat, und hoben zum »Sturm« auf das Bundesjustizministerium an. Vor Ort jedoch sah man deren Aktivisten sich auf dem Boden lümmeln und Parolen skandieren. Bundesjustizminister Heiko Maas, nahm es gelassen und verteilte Wasserflaschen an die Gegendemonstrant_innen.
War die Aktion für die Identitären ein politisches PR-Desaster? Verglichen mit der Reichweite, die ihre Kletteraktion am Brandenburger Tor, – »Besetzung« genannt – hatte, bestimmt. Die Aktionen der Identitären funktionieren wie das Aktionstheater auf der Straße. Alle Beteiligten sollen, so das Ziel, als Mitspieler eingebunden werden und in der Inszenierung funktionieren: auch und gerade Gegendemonstrant_innen und die Polizei, die mit einem ruppigen Einsatz den Identitären ihre Gefährlichkeit und ihr Rebellentum bestätigt hätte.
Dies bedeutet nicht, dass es keinen Ausweg aus der unfreiwilligen Mitwirkung des neurechten Theaterspiels gibt. Wenn es stimmt, dass es den Identitären um heroische Selbstbilder geht, so war die Reaktion von Minister Maas genau richtig: Im Bild ist zu sehen, wie er zwischen den Identitären umhergeht, als seien sie nicht politische Aktivisten, sondern eine Schulklasse, die sich zu einer Führung im Justizministerium angemeldet hat. Maas dekonstruiert hier, bewusst oder unbewusst, die heroische Bildsprache der IB. Die politische Bildsprache der Identitären wäre aufgegangen, wenn Maas sich ängstlich hinter einen Polizeikordon zurückgezogen hätte.
Die Identitären wissen, wie die mediale Aufmerksamkeitsökonomie zu bedienen ist und wie die Inszenierung von Bildern funktioniert, aus denen sie eines Tages die Ikonen einer »patriotischen Bewegung« zu machen hoffen. Für die Berichterstattung heißt dies, alles zu vermeiden, was eine bloße Wiedergabe der beabsichtigten Inszenierung der von den Identitären geschaffenen Bilder angeht. Die Berichterstattung sollte die geplante, wiewohl indirekte, unbeabsichtigte Mitwirkung an der strategischen Bildkommunikation der Identitären verweigern, um nicht ungewollt Teil des skizzierten Verstärkereffekts zu werden.
Schließlich praktizieren die Identitären in deutlicher Absetzung etwa zur neonazistischen Jugendkultur eine Selbstvermarktung ihrer AktivistInnen. Martin Sellner produziert unablässig Videos, in denen er Politik und Alltägliches zu einer Art patriotischer Praxis des Lebens stilisiert und zugleich beständig das Zeitgeschehen aus dem Blickwinkel des Kampfes gegen den Multikulturalismus kommentiert. Die Hallenser Gruppe Kontra-Kultur veröffentlichte Fotos eines Teils ihrer AktivistInnen im Stil eines Outings. Bestimmte Akteure drängen massiv ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Dieses demonstrative Selbstbewusstsein soll zeigen: Seht her, wir müssen uns nicht mehr verstecken. Im Kontext einer neuen Bewegung von rechts, die von PEGIDA bis zur AfD auf breite Akzeptanz stößt, sind die Identitären ein kleiner jugendkultureller Baustein.
Rechte Popkultur – ein Paradox?
Eine der ersten popkulturellen Referenzen der Identitären galt zweifellos dem Film »300« (USA 2006). Er inszeniert die antike Schlacht bei den Thermopylen als heroischen Bilderstrom eines Kampfes der Kulturen, in dem die Rollen bereits von ihrer Bildsprache her klar verteilt sind. Die unterlegenen, aber heldenhaft kämpfenden Griechen gehen aufrecht, haben helle Haut, sehnige Muskeln und männlich geschnittene Gesichter. Das Massenheer der Perser hingegen wird als gebückt, gesichtslos, versklavt und dekadent dargestellt. Während Leonidas, Anführer des Heeres der Griechen, das Bild des Mannes schlechthin abgibt, erscheint Xerxes, der Perserkönig, im Film als geschlechtermultiple, multikulturelle Inkarnation von Dekadenz und kultureller Identitätsvergessenheit. In ihrer Entstehungsphase bedienten sich die Identitären im deutschsprachigen Raum ausgiebig aus dem auratischen Arsenal des Filmes. Dieser bietet dafür deshalb eine so geeignete Vorlage, weil er mit faschistischen Ästhetiken nicht einfach nur spielt. Vielmehr identifiziert er sich mit ihnen durch den ungebrochenen Dualismus seiner Bildsprache in jeder Sequenz des Films.
Während die Identitären auf der gesamten Klaviatur popkultureller und medialer Ausdrucksformen spielen wollen, zeigt ihre aktionistische Praxis eine auf den ersten Blick unauflösbare Paradoxie rechter kultureller Praxis. Sie bedienen sich jener kulturellen Formen, deren Inhalt und Herkunft sie so vehement ablehnen und als Inbegriff kulturellen Identitätsverlusts brandmarken: der amerikanisierten Popkultur. Ob Film oder Kleidung, mediale Mittel oder Stilelemente: In allem dient die westliche Popkultur als Quellcode. Doch für die Identitären wie für andere extrem rechte Strömungen ist der skizzierte Widerspruch gar keiner. Denn der popkulturellen Formeninszenierung bedienen sich die Identitären, indem sie diese aus anderen Verwendungskontexten lösen und mit ihren Inhalten versehen. Die daraus entstehende völkische Popkultur ist vielfach in die gesellschaftliche Mitte hinein anschlussfähig.
Es war das Milieu um den neurechten Verleger Götz Kubitschek, das sich seit etwa einem Jahrzehnt nach medial vermittelbaren Formen der Präsentation ihrer Inhalte umsah. Zu diesem Zweck rezipierten Kubitschek und Felix Menzel, Gründer der Zeitschrift Blaue Narzisse, intensiv die Theorie und Praxis politischer Kommunikation der 1968er, die wesentlich von Hans Jürgen Krahl und Rudi Dutschke entwickelt worden waren. Deren Konzept der Subversiven Aktion zielte darauf ab, den Konsens des postnazistischen Adenauer-Staates zu stören, indem dieser gezielt symbolisch provoziert, vorgeführt und lächerlich gemacht werden sollte.
Zudem beschäftigte sich Menzel intensiv mit der politischen Ikonografie der Linken und den Gründen für ihre starke Reichweite. Aus dieser Rezeption entwickelten Kubitschek und andere das Konzept der »Konservativ-subversiven Aktion« (KSA), durch das das bei den neurechten Akteuren so verhasste linksliberale Establishment in seiner Wohlfühlzone gestört werden sollte. Testlauf für Aktionsformen der Identitären waren im Mai 2008 die Flugblatt- und Plakataktion an der Humboldt-Universität Berlin gegen einen Kongress linker Hochschulgruppen sowie ein Jahr später die Störung einer Lesung von Günter Grass im Hamburger Thalia-Theater durch die KSA.
Die Identitären legen keine geschlossene Programmatik vor. Die wenigen theoretischen Aussagen zu Themen wie Kultur, Einwanderung, den Begriffen Volk und Nation lesen sich wie ideologische Surrogate, deren Zutaten je nach Anlass variieren. Die Identitären bedienen sich aus der Ideengeschichte der extremen Rechten, der politischen Romantik des 19. Jahrhunderts und rechter ästhetischer Codes anderer Länder und Bewegungen. Der Ideologiemix mutet mitunter abenteuerlich an, wenn etwa Friedrich Nietzsche und Ernst Jünger mit Elementen der dem Fußball entstammenden Ultra-Fankultur vermengt werden. Die Identitären propagieren eine ästhetische Mobilisierung gegen Liberalismus und Multikultur. Für die Neue Rechte spielen sie im Hinblick auf ihre mediale Kommunikationsstrategie eine Schlüsselrolle in einem breit angelegten und in der Offensive befindlichen Kulturkampf von rechts.
Der Autor ist Mitarbeiter bei Miteinander e.V. in Sachsen-Anhalt. Der Text ist ein redaktionelle Bearbeitung zweier Artikel des Autors, die zuerst auf dem Blog Störungsmelder sowie in der Analyse und Kritik (AK) erschienen sind. Wir danken für die Verwendung.