Proteste gegen die AfD am Rathaus Schöneberg  Foto: Theo Schneider

Vielfältig radikal: Die Berliner AfD

Es ist alles andere als eine waghalsige These: Die Alternative für Deutschland (AfD) wird am 18. September 2016 auch in Berlin in das Abgeordnetenhaus sowie die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) einziehen. Erstmals seit den Republikanern (REP) 1989 wird damit eine Rechtsaußenpartei auf Landesebene parlamentarisch präsent sein. Mit Blick auf die Prognosen gelingt es der AfD gemäß dem bundesweiten Trend derzeit auch in Berlin, das Potential an Personen mit extrem rechten Einstellungen zu aktivieren, das sich in Umfragen schon seit vielen Jahren offenbart.

(Dieser Text des apabiz ist unserer Wahlbroschüre „Antritt von rechts“ entnommen, die am 20. Juli 2016 gemeinsam mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) veröffentlicht wurde)

Beim Landesparteitag am 16. Januar 2016 folgte die Berliner AfD der bundesweiten innerparteilichen Entwicklung und machte mit der Wahl des neuen Vorstandes unter der Doppelspitze Beatrix von Storch und Georg Pazderski personell einen deutlichen Schritt nach rechts. Der im April 2013 gegründete Landesverband unter Günter Brinker war bis dahin zurückhaltend, konturlos und kaum wahrnehmbar gewesen. Als die Berliner AfD im Frühjahr 2016 das Wahlprogramm vorbereitete, zeichnete sich erstmals ein konkretes politisches Profil ab. Just zu der Zeit verschärften prominente AfD-FunktionärInnen wie Björn Höcke, Frauke Petry, Alexander Gauland und eben auch Beatrix von Storch drastisch den Ton und positionierten sich mit völkisch-nationalistischen und asylfeindlichen bis offen rassistischen Thesen. Diese Radikalisierung brachte der AfD bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt mit 24,3% ihren bisher größten Wahlerfolg ein und schlug sich infolge auch in Teilen des Bundesprogramms nieder. Im Berliner Wahlprogramm hingegen finden sich auf den ersten Blick gemäßigtere Formulierungen. Das mag ein taktisches Vorgehen sein, um sich in der pluralen Stadt Berlin nicht ganz ins rechte Abseits zu stellen, oder aber ist der Heterogenität des Landesverbandes geschuldet, in dem sich die scharfen Rechtsausleger der Partei nicht in aller Konsequenz durchsetzen konnten.

Anti-egalitäre und antidemokratische Programmatik

Bei genauerer Betrachtung des Berliner Wahlprogramms wird jedoch vor allem bei den Themen »Familie und Kinder«, »Innere Sicherheit und Justiz« sowie »Einwanderung und Integration« deutlich, wohin die Reise gehen soll. In Ergänzung mit dem gesprochenen Wort des Personals ergibt sich daraus eine reaktionäre Kampfansage an die etablierte Politik und Medien, vor allem aber an eine offene liberale Gesellschaft und die demokratischen und emanzipatorischen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte. Kennzeichnend ist die altbekannte Stimmungsmache gegen die verhassten ‚68er‘ und gesellschaftliche Verhältnisse, mit denen diese in Verbindung gebracht werden. Mit anti-egalitären Positionen sehnt sich die AfD zurück in die »gute alte Zeit« des autoritären Nationalstaats. Ziel ihrer Politik ist die idealisierte heteronormative weiß-deutsche und elitäre Mittelschicht, die gegen möglichst jegliche Einflüsse von Außen abgeschottet werden soll. Auch die Berliner AfD verfolgt dabei das altbekannte strategische »Ja, aber…«-Muster: Zunächst wird vorgeschoben, bestimmte Dinge prinzipiell anzuerkennen oder zumindest zu akzeptieren. Mit den folgenden restriktiven Einschränkungen bis hin zur Forderung nach staatlichen Verboten bleibt vom anfänglichen Zugeständnis faktisch nichts mehr übrig.

Wenig überraschend wird die klassische und bestenfalls kinderreiche deutsche Familie als »Keimzelle unserer Gesellschaft« betrachtet. Das Geschlechterbild, das die AfD verfolgt, orientiert sich an längst überwunden geglaubten antifeministischen Positionen des vergangenen Jahrhunderts. Bezogen auf Homosexualität betont die AfD, diese zwar prinzipiell anzuerkennen, der »Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe, insbesondere beim Adoptionsrecht« wird jedoch eine strikte Absage erteilt. Mit realitätsfremden Szenarien schürt sie zudem diffuse Ängste. So dürfe der »Sexualkundeunterricht an Schulen […] nicht von Lobbygruppen sexueller Minderheiten durchgeführt werden«. Ansonsten drohe eine angebliche »Frühsexualisierung, die die natürlichen Schamgrenzen der Kinder verletzt«. Beim Thema Abtreibung finden sich eher zurückhaltendere Worte als es zu vermuten gewesen wäre. Immerhin steht mit Beatrix von Storch eine bestens vernetzte christliche Fundamentalistin und sogenannte »Lebensschützerin« dem Landesverband vor.

Eine besonders tiefe Abneigung hegt auch die Berliner AfD gegen Gender Mainstreaming als regulierenden Versuch diskriminierungsfreier Gleichbehandlung. Das verwundert nicht, ist es doch eines der derzeit beliebtesten Hassthemen der extremen Rechten. Darüber hinaus maßt sich die AfD an, universitäre Wissenschaft definieren und reglementieren zu wollen. So dürften »Migrationsforschung und Minderheitenstudien […] nicht auf Kosten anderer Fächer gefördert« werden. Gender Studies werden gar als »pseudowissenschaftliche Geschlechterstudien« diffamiert, deren Förderung »in allen Bereichen zu beenden« sei.

»Wir glauben, dass Gender-Forschung keine Wissenschaft ist, sondern es ist einfach eine Einstellung von Personen, die bestreiten, dass es zweierlei Geschlecht gibt, sondern sagen, dass es viele, viele sexuelle Orientierungen und auch Geschlechter gibt, Geschlechterorientierungen gibt. Und wir bestreiten das. Das ist nicht richtig.«

Georg Pazderski, Spitzenkandidat der AfD am 03.04.2016 in der ZDF-Sendung »Berlin Direkt«

Offene Asylfeindschaft und Eingriffe in die Religionsfreiheit

Die beschriebene Strategie wird umso deutlicher beim Thema »Asyl und Integration«. Zwar wird zunächst behauptet, das Asylrecht und »humanitäre Hilfe zugunsten von Schutzbedürftigen, insbesondere Bürgerkriegsflüchtlingen« prinzipiell zusichern zu wollen. Umgehend wird dies jedoch durch die vehemente Ablehnung zentraler Aspekte des Asylrechtes, welches ohnehin in der jüngsten Zeit durch die Bundesregierung massiv eingeschränkt wurde, quasi negiert. So sollen nach Willen der Berliner AfD nur noch politisch Verfolgte überhaupt einreisen dürfen. Die nötigen Asylverfahren sollen »vor der Einreise nach Deutschland ausschließlich in Asylzentren […] in Drittstaaten oder an den Außengrenzen der EU« stattfinden. Für Bürgerkriegsflüchtlinge wird das besonders perfide Ziel formuliert, diese sollten »ein Ende der fluchtverursachenden Konflikte in ihren jeweiligen Herkunftsregionen« abwarten. Während diese Punkte auf bundespolitischer Ebene entschieden werden und damit landespolitisch keinerlei Relevanz haben, fordert die AfD für Berlin einen »sofortigen Aufnahmestopp«. Ergänzt wird dies durch eine Auflistung, welche Art der Unterbringung bzw. Nutzung als Notunterkünfte die AfD ablehnt. Zusammengefasst betrifft es alle derzeitigen Möglichkeiten im innerstädtischen Bereich. Als einzige Option bleiben nicht genutzte Gebäude fernab jeglicher Siedlungsgebiete, ohne Anbindung an ziviles Leben und Infrastruktur. Diese Forderungen tasten die Menschenwürde des Grundgesetzes an und stellen das Grundrecht auf Asyl in Frage.

Bezogen auf den Islam fordert die AfD fundamentale Restriktionen der religiösen Ausübung. Insbesondere auf Bundesebene vertretene Forderungen tragen bisweilen deutlich antidemokratische Züge, und es ist fraglich, inwiefern diese in der Konsequenz mit der grundgesetzlich verbrieften Religionsfreiheit vereinbar wären. Im Berliner Programm erfolgt zwar zunächst ein formelles Bekenntnis zur Religionsfreiheit. Doch nicht nur die »Auslandsfinanzierung von muslimischen Vereinen und Moscheen« will die AfD staatlich unterbunden wissen. Im Vorwort wird deutlich, dass für die AfD »der Islam eben nicht zu Deutschland gehört – und dass wir in Berlin den Ruf des Muezzins nicht fünfmal am Tag hören wollen«. Das Berliner Wahlprogramm lässt darüber hinaus eine begriffliche Trennschärfe zwischen Islam, Islamismus und islamistischem Terrorismus vermissen.

»Bereits in Deutschland lebende Menschen [gemeint sind Geflüchtete; Anm. d. Verf.] können wir derweil in spärlich besiedelte Landstriche Deutschlands bringen und sie dort geschützt unterbringen. Dafür genügen ein paar Quadratkilometer Heide. Wir brauchen dafür, für die vorübergehenden Flüchtlingslager, keine 94 Milliarden Euro. Wir brauchen dafür Bauholz, Hämmer, Sägen und Nägel.«

»Der Muezzinruf hat mit Religionsfreiheit gar nichts zu tun. Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Religion, nach der man, um seinem Gott gefällig zu sein, fünf mal am Tag auf die Straße pinkeln muss. Würden wir das auch im Rahmen der Religionsfreiheit tolerieren? Herrgott nochmal, natürlich nein!«

Andreas Wild, Bezirksvorstand und Kandidat für die BVV Steglitz-Zehlendorf sowie auf Platz 16 der Landesliste. Redeauszüge einer AfD-Kundgebung in Erfurt am 18. Mai 2016

Umwelt- und Sozialpolitische Interessenspolitik

Auch bei anderen Themen, die im Zusammenhang mit der AfD bisher eher wenig Beachtung fanden, besticht die Partei durch krude Thesen. So wird der wissenschaftliche Beleg der Erderwärmung durch menschlich verursachte CO2-Überproduktion abgestritten.

Im sozialpolitischen Profil der Partei spiegeln sich die Interessen ihrer Hauptzielgruppe wider: dem Mittelstand. So verspricht die Berliner AfD im Vorwort zum Programm zwar »bezahlbaren Wohnraum«, konkretisiert dieses Versprechen aber lediglich für die Besserverdienenden der Stadt. So setzt sich die AfD für eine »Förderung des Erwerbs von selbstgenutztem Wohneigentum« ein, ebenso wie für erleichterte Baugenehmigungsverfahren. Die Mehrzahl der Berliner_innen, die in Mietwohnungen wohnen und vielfach einen wesentlichen Anteil ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen, finden im Programm hingegen keine Interessenvertretung.

Nicht wenige Positionen der Partei bauen auf gesellschaftlichen Unsicherheiten auf, denen mit restriktiven Forderungen begegnet wird, wie etwa der Verschärfung des Jugendstrafrechts. Anders verhält es sich mit dem Waffenrecht: Eine Verschärfung dessen lehnt die Berliner AfD ab, da sie darin eine »Überwachung, Bevormundung und Kriminalisierung unbescholtener Bürger« wittert.

»Wir sehen mit wachen Augen, dass diese, unsere Heimat, von einer realitätsfremden, volksfeindlichen und überheblichen Politikerkaste mit Vollgas gegen die Wand gefahren wird. Diese Vernichtung ist von uns nicht gewollt. Wir lehnen sie ab und wir werden uns mit aller Macht dagegen zur Wehr setzen. Sollten diese Entwicklungen in unserem Land nicht durch eine sofortige Umkehr rückgängig gemacht werden, wird von dem Deutschland, in dem wir aufgewachsen sind, nämlich nicht mehr viel übrig bleiben. Im Namen der Jugend fordere ich deshalb: Schützt unsere Zukunft. Rettet unsere Heimat.«

Thorsten Weiß, Landesvorsitzender der Berliner Jungen Alternative, Landesvorstandsmitglied und Kandidat für das Abgeordnetenhaus auf einer AfD-Kundgebung am 31. Oktober 2015 in Berlin

Personalia

Spitzenkandidat ist der bisher eher unauffällige Georg Pazderski. Der Bundeswehroberst a.D. mit hochrangiger internationaler Erfahrung war zwar unter dem ehemaligen Bundesvorsitzenden Bernd Lucke Geschäftsführer, öffentlich aber kaum wahrnehmbar. Beatrix von Storch wird in der Berliner Landespolitik hingegen keine Rolle spielen und stattdessen ihr Mandat im EU-Parlament fortführen.

Die bereits über 1.000 Mitglieder zählende Berliner AfD wird neben der 37 Personen zählenden Landesliste voraussichtlich in allen Bezirken mit Bezirkslisten sowie DirektkandidatInnen für das Abgeordnetenhaus antreten. Darunter finden sich viele bisher Unbekannte und parteipolitisch gänzlich Unerfahrene sowie etliche ehemalige Mitglieder von CDU und FDP, aber auch vereinzelt von den Piraten oder Die Linke. Aber es finden sich auch Personen, die hinlänglich als Teil der extremen Rechten der Stadt bekannt sind, sei es durch vorherige Aktivitäten bei Pro Deutschland und Die Freiheit oder in parteiunabhängigen Strukturen und Netzwerken. Listenplatz 3 der Landesliste bekleidet Ronald Gläser, Pressesprecher und Vorstandsmitglied der Berliner AfD. Gläser ist bemüht in der Öffentlichkeit zu verschweigen, dass er seit 20 Jahren Redakteur der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit ist. Wie tolerant die Berliner AfD hinsichtlich der Annäherung ihrer AktivistInnen selbst an ein dezidiert neonazistisches Spektrum ist, zeigt sich am Beispiel des ehemaligen Bezirksvorstandsmitglieds aus Lichtenberg, Heribert Eisenhardt. Der regelmäßige Redner bei Bärgida nahm im April 2016 an einer offen neonazistischen Demonstration in Marzahn-Hellersdorf teil. Eisenhardt ist neben Johannes Sondermann einer der wenigen Aktiven in der Berliner AfD, die öffentlich als Patriotische Plattform in Erscheinung treten. Ebenfalls im Lichtenberger Kreisverband aktiv ist Bezirksvorstandsmitglied Kay Nerstheimer, der sowohl auf der Bezirksliste als auch als Direktkandidat kandidiert. Nerstheimer gab sich im Jahr 2012 im Internet als Berliner Division-Leader der German Defence League zu erkennen und kündigte an, dass diese zur Miliz aufgebaut werde.

Bei den bisher wenigen öffentlich beworbenen Aktionen der Berliner AfD hatte vor allem der Landesverband der Jungen Alternative (JA) eine wichtige organisatorische Rolle. Die JA war maßgeblich für die Vorbereitung und Durchführung der beiden Veranstaltungen im Rahmen der sogenannten »Herbstoffensive« Ende Oktober 2015 verantwortlich. Sie ist personell und strukturell gut vernetzt mit der Berliner Burschenschaft Gothia, in deren Haus Treffen der JA stattfanden. Jörg Sobolewski, auf Platz 24 der AfD-Landesliste, ist derzeit Sprecher der Deutschen Burschenschaft (DB), deren Vorsitz in diesem Jahr die Gothia inne hat. Etliche Burschenschaften haben die DB in den vergangenen Jahren aufgrund ihrer völkisch-rassistischen Ausrichtung verlassen. Ebenfalls enge Verbindungen pflegt die JA Berlin zur Identitären Bewegung Berlin-Brandenburg. Mit Jannik Brämer sitzt ein zentraler Akteur der Berliner Identitären als Schatzmeister im Landesvorstand der JA Berlin. Auf Brämer war bis vor Kurzem auch die Homepage der Identitären Bewegung Deutschland registriert.

»Worüber man nicht mehr reden kann, ist, die eigenen Grenzen für Millionen Glücksritter zu öffnen und gleichzeitig die wenigen noch einsatzfähigen Soldaten nicht an diese bedrohte Grenze zu schicken, sondern in ein fernes Land, um dort einen Krieg zu führen, der uns nichts anzugehen hat. Diesen Vorgang bezeichnet man in Frankreich auch als den »Großen Austausch«. Es ist der Versuch, das deutsche Volk, das doch hier der Souverän sein soll, auszutauschen. Und das ist mehr als alles Andere ein Verrat. Es ist Verrat an allem was uns heilig ist, es ist Verrat an unserer Kultur, an unserer Geschichte und zu allererst Verrat an unseren Kindern.«

Jörg Sobolewski, Landeslistenplatz 24, am 20. Februar 2016 bei der extrem rechten Kundgebung von Zukunft Heimat in Lübben

Deutliche Worte im kleinteiligen Wahlkampf

Im Gegensatz zu den anderen Rechtsaußenparteien setzt die Berliner AfD im laufenden Wahlkampf weniger auf offen angekündigte Kundgebungen und Demonstrationen, sondern eher auf unzählige kleinteilige Informationsstände in den einzelnen Stadtteilen. Fakt ist, dass es bei der Auseinandersetzung mit der Berliner AfD nicht zuletzt darum gehen muss, neben dem Wahlprogramm auch das gesprochene Wort sowie die Biografien des Personals in die Analyse mit einzubeziehen. Während sich im Wahlprogramm häufiger die strategische Zurückhaltung bei bestimmten Themen durchgesetzt hat, spricht das Berliner Personal bei öffentlichen Auftritten eine deutlich andere Sprache. Hier kommen antiemanzipatorische, offen völkisch-nationalistische sowie rassistisch konnotierte asyl- und islamfeindliche Positionen ungefiltert zum Ausdruck.

Anmerkung der Redaktion: Alle Angaben zu den KandidatInnen in diesem Text beruhen auf unseren Recherchen und sind als Zwischenstand zu betrachten, da die offizielle Bestätigung der Landeswahlleitung bei Redaktionsschluss noch nicht vorlag.