Rassistische Gewalt und die neue Dynamik rechter Formierung
Nachdem am letzten Wochenende im Januar 2016 gleich fünf Gebäude in Sachsen, in denen Geflüchtete untergebracht werden sollten, Ziel von Anschlägen geworden waren, meldete sich der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz zu Wort und verwies darauf, dass im ganzen Bundesland eine gefährliche Pogromstimmung herrsche. Ähnliche Einschätzungen sind auch aus anderen Bundesländern zu vernehmen. Tatsächlich gibt die Entwicklung insbesondere der letzten zwei Jahre in mehrfacher Hinsicht Anlass zu besonderer Aufmerksamkeit und antifaschistischer Intervention.
(Dieser Text ist unserer Wahlbroschüre „Antritt von rechts“ entnommen, die am 20. Juli 2016 gemeinsam mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) veröffentlicht wurde)
Das Spezifische der aktuellen Entwicklung wird durch das Zusammentreffen verschiedener Entwicklungen und Faktoren markiert. Hierzu zählt zunächst die im Jahre 2015 stark angestiegene Zahl von Geflüchteten, die in Europa und besonders der Bundesrepublik Deutschland Schutz und Zukunftsperspektive erhoffen und sich dazu erheblichen Risiken für Leib und Leben aussetzen. Sie sind vielfach im Rahmen einer ›Willkommenskultur‹ empfangen worden, der sich auch Boulevard-Blätter wie die BILD-Zeitung nicht vollständig entziehen konnten. Hinter dieser zunächst auch medial sehr sichtbaren ›Willkommenskultur‹ gab es von Beginn an zahlreiche Zweifler*innen und ausgemachte Gegner*innen der Aufnahme einer größeren Zahl von Geflüchteten beziehungsweise von Schutzsuchenden überhaupt. Die Probleme bei der Unterbringung und Beheimatung der Neuankommenden, die von den Zweifler*innen und Gegner*innen als willkommene Argumente gegen solidarisches Handeln angeführt wurden, sind auch Symptom einer schleichenden Aushöhlung der freien Wohlfahrtspflege und der Daseinsvorsorge, etwa im Bereich des öffentlichen Wohnungsbaus. Ablehnung und Feindschaft gegenüber den Schutzsuchenden verweisen zugleich auf das Fortbestehen völkischer beziehungsweise kulturalistisch gedeuteter Homogenitätsvorstellungen und einen virulenten antimuslimischen Rassismus.
Ein weiterer zentraler Faktor ist die Entstehung neuer politischer Akteure im parlamentarischen wie nicht-parlamentarischen Raum. Mit PEGIDA ist eine in dieser Qualität in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher einmalige rassistische Mobilisierung entstanden. Sie hat ihr Epizentrum in Dresden, wo es ihr seit über 18 Monaten regelmäßig gelingt, Tausende gegen eine liberale Asyl- und Flüchtlingspolitik und gegen eine religiös vielfältige Gesellschaft auf die Beine zu bringen. Auch wenn die Mobilisierungsspitzen zeitlich bereits etwas zurückliegen, so ist das Ausmaß der Aktivitäten doch einzigartig. Es hat der extremen Rechten verdeutlicht, dass es Möglichkeiten gibt, die in der Bevölkerung vorhandenen völkischen und nationalistischen Stimmungen und Einstellungen auf der Straße sichtbar zu machen. Wenn es den PEGIDA-Ablegern in anderen Städten auch nur vereinzelt geglückt ist, Tausende zu mobilisieren, so darf doch nicht übersehen werden, dass in den letzten zwei bis drei Jahren Tausende von rassistischen Demonstrationen und Kundgebungen stattgefunden haben, die auch Städte und kleine Orte erreicht haben und dort zu öffentlicher rassistischer Formierung geführt haben.
Mit der AfD hat sich zudem eine Partei in mehreren Landtagen etablieren können, deren Führungspersonal nach dem Putsch gegen den früheren Parteivorsitzenden Bernd Lucke im Juli 2015 inzwischen offen den Anschluss an extrem rechte Parteien im europäischen Ausland sucht und Aktivist*innen verschiedener extrem rechter und rassistischer Netzwerke und Gruppierungen anzieht. Die Themen Asyl und Einwanderung, ›der Islam‹, eine reaktionäre Familienpolitik und die Europäische Union dienen der AfD dabei als wirkmächtige Themen, um ›das Volk‹ gegen die ›politische Klasse‹ und die etablierten Medien zu mobilisieren. Ziel ist eine nationalistisch-autoritäre Umgestaltung der Gesellschaft. Die im Zuge der Wahlerfolge erschlossenen Ressourcen – etwa Abgeordnetenmandate, Mitarbeiterstellen und Infrastruktur – kommen nicht zuletzt extrem rechten und völkischen Aktivist*innen zugute, die sich beispielsweise dem Institut für Staatspolitik oder den sogenannten Identitären verbunden fühlen. Auf ein Projekt wie die AfD hat die extrem rechte Stammkultur seit vielen Jahren gewartet beziehungsweise an seiner Realisierbarkeit gearbeitet.
Die NPD ist nicht nur mit dem Verbotsverfahren konfrontiert, sondern agiert auch vielfach im Schatten der AfD, die zahlreiche ihrer Wähler*innen abgeworben hat. An vielen Aktionen gegen Geflüchtete ist sie aktiv beteiligt, wenn dies auch nicht immer in den Vordergrund gestellt wird. In gewissem Umfang hat sie sich konsolidiert; insbesondere die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September 2016 – nur vierzehn Tage vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus – stellt eine wichtige Etappe für die NPD dar. Gelingt ihr zum dritten Mal der Einzug in den Landtag, dann bleibt sie im neonazistischen Spektrum eine relevante Akteurin; scheitert sie, wird sie für entsprechende Aktivitäten und Netzwerke weniger bedeutsam. Die Entscheidung über das Verbot wird für den Herbst 2016 erwartet – Ausgang ungewiss.
Mit PEGIDA und AfD sind in jüngerer Zeit innerhalb und außerhalb des Parlaments zwei völkisch-nationalistische Akteure handlungsfähig und wirkmächtig geworden, die die rassistische Protestwelle vorantreiben wie von ihr profitieren und entsprechenden Einstellungen in organisierter Form politischen Einfluss verschaffen möchten. In ihr finden sich zahlreiche Beispiele neuer Formen der Zuspitzung von rechtsaußen. Blockaden von Bussen mit Geflüchteten, die symbolische Formierung von Grenz(kontroll)en und die offensive Berufung auf ein in der aktuellen Situation angeblich existierendes Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz zielen darauf ab, einer wachsenden Zahl von Menschen Erfahrungen rassistischer Selbstermächtigung zu vermitteln und in die Konfrontation mit staatlichen Institutionen zu führen.
Die rassistische Selbstermächtigung findet ihren Ausdruck zudem in einer Gewalteskalation, die sich sowohl in einer in der gesamten Bundesrepublik Deutschland steigenden Zahl von Gewalttaten als auch im zunehmenden Einsatz von Sprengmitteln zeigt. Während die Täter*innen aus extrem rechten Szenen von einem völkischen Homogenitätsideal angetrieben werden, das Einwanderung als existentielle Bedrohung und Ursache gesellschaftlichen Niedergangs interpretiert, handeln andere, die bisher nicht als rassistisch wahrgenommen wurden, in der Absicht, sich die Geflüchteten durch das Inbrandsetzen von Unterkünften als Nachbar*innen vom Leib zu halten. Gewalt gegen Unterkünfte für Geflüchtete hält eine relevante Minderheit der Bevölkerung für ›verständlich‹. Mit gezielten Falschinformationen und in hetzerischer Weise wird über das Internet Stimmung gegen Geflüchtete und die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen der ›Willkommenskultur‹ gemacht. Neonazistische Gruppierungen wie Der III. Weg stellen entsprechende Informationen bereit und beteiligen sich an Einschüchterungen.
Gleichwohl ist die aktuelle Entwicklung nicht zu verstehen ohne einen Blick auf etablierte politische Akteure. Zu erinnern ist beispielsweise an den breiten Zuspruch, den das Buch ›Deutschland schafft sich ab‹ von Thilo Sarrazin nach seinem Erscheinen im Jahr 2010 erhielt. Mit über 1,6 Millionen verkauften Exemplaren gehört diese rassistische Verfallsprognose zu den meist verkauften ›Sach‹büchern in der Bundesrepublik. Popularisiert durch die BILD-Zeitung hat der Zuspruch zu Sarrazin das Vorhandensein einer ›rohen Bürgerlichkeit‹ verdeutlicht, die sich auch in einer aggressiven Missachtung von Hilfebedürftigen und gesellschaftlich an den Rand gedrängten Menschen äußert, etwa gegenüber Langzeitarbeitslosen, niedrig qualifizierten Zuwandernden oder Menschen mit Behinderungen.
Während Bundeskanzlerin Angela Merkel sich mit Blick auf außenwirtschaftliche Interessen und in Kenntnis der verfassungsrechtlichen Lage (Asylrecht als Individualrecht) der Forderung nach Benennung von Obergrenzen verweigert hat, hat ihr Kabinett seit Sommer 2015 eine Reihe von Einschränkungen des Asylrechts beschlossen, die zu den weitgehendsten seit der gravierenden Beschränkung des Grundgesetzartikels 16 nach der rassistischen Massengewalt der frühen 1990er Jahre gehören. Hierzu gehören insbesondere die Einstufung weiterer Balkan-Staaten sowohl von Marokko, Algerien und Tunesien als ›sichere Herkunftsstaaten‹. Dies soll gegenüber einwanderungsskeptischen Teilen der Bevölkerung Handlungsfähigkeit demonstrieren, verkennt jedoch, dass es Rassist*innen nicht um Kompromisse geht; sie wollen den autoritären Staat, der die Zahl der ›Fremden‹ auch gegen Menschenrechtskonvention und internationale Abkommen deutlich reduziert. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hat die Kanzlerin monatelang offensiv unter Druck gesetzt und ihren Standpunkt – wie AfD und extrem rechte Akteure – als Verfassungsbruch bezeichnet. Sein Pakt mit Orban und die Bereitschaft zur Entsendung von Polizeieinheiten an den Brenner tragen zur Rechtfertigung einer restriktiven und inhumanen Asylpolitik bei.
Der in den ersten Monaten des Jahres 2016 zu beobachtende Rückgang der Zahl nach Deutschland flüchtender Menschen hat bis in den Mai hinein nicht zu einem Rückgang der Unterstützung für die AfD geführt. Auch deren Radikalisierung hat ihr bisher in den Umfragen nicht geschadet. Die Möglichkeit einer dauerhaften Etablierung einer mobilisierungsfähigen völkisch-nationalistischen Partei ist real. Sie kann auf ein entsprechendes Milieu vertrauen, das ihr erfahrene Kader zuführt. Sie kann aufgrund ihrer parlamentarischen Erfolge auf erhebliche Ressourcen zurückgreifen. Und sie hat bereits jetzt gezeigt, dass sie die im Bundestag vertretenen Parteien unter Druck setzen kann.
Fabian Virchow
Fabian Virchow ist Professor für Theorien der Gesellschaft und Theorien politischen Handelns und leitet an der Hochschule Düsseldorf den Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA). Jüngste Veröffentlichungen als Autor: ›Nicht nur der NSU – Eine kleine Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland‹ (Erfurt 2016) bzw. Mitherausgeber: ›Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe‹ (Schwalbach/Ts. 2016), ›Neue soziale Bewegung von rechts?‹ (Hamburg 2016) und ›Handbuch Rechtsextremismus‹ (Wiesbaden 2016).