Was ein ehrbarer Mann tun muss
Der Roman »Hunter« von William Pierce als Vorlage für den Lone Wolf Terrorist
Der Roman »Hunter« ist in der Diskussion um neonazistische Terrorismus-Konzepte und Blaupausen für das organisierte Morden des NSU bisher gänzlich unbeleuchtet. Im Deutschland der 1990er Jahre hat anscheinend kaum jemand dieses Buch gelesen. Doch eine Analyse des Romans lohnt sich: Sein Protagonist ist der Prototyp des Lone Wolf mit Organisationsanbindung. Auch das Verhältnis zwischen Naziterrorist und Geheimdienst spielt eine zentrale Rolle.
1989 auf Englisch erschienen, ist Hunter der zweite Roman des durch die Turner-Tagebücher bekannt und populär gewordenen Autors »Andrew Macdonald« (Pseudonym von William L. Pierce). Der Autor William Luther Pierce, US-amerikanischer Neonazi, Gründer und Chef der National Alliance und Autor verschiedener Aufsätze und des Romans »The Turner Diaries« ist weltweit berüchtigt und galt zu Lebzeiten (bis 2002) als die wichtigste Inspirationsquelle für militante »White Supremacists« and »Anti-Government Extremists«. Hunter wurde in den USA laut Eigenangabe des Verlags schon bis 1998 61.000 Mal verkauft. Die Turner-Tagebücher sollen zwischen 1978 und 2001 angeblich 300.000 verkauft worden sein. Über die digitale Verbreitung ist nichts bekannt, beide Romane sind aber problemlos als pdf im Netz erhältlich. Pierce selbst hielt angeblich den Hunter für besser gelungen als die Turner-Tagebücher.
Das Buch ist ein fiktionaler Roman, der in Washington D.C. der 1980er Jahre spielt. Der Hauptprotagonist und die absolute Identifikationsfigur ist der 40jährige Rechtsterrorist und Vietnam-Veteran Oscar Yeager. Die Leitfrage »How should an honorable man confront evil?« ist dem Roman vorangestellt, über das Vorbild Yeager liefert der Autor die Antwort: Werde Naziterrorist.
Der Roman ist ein Bildungsroman im klassischen Sinne: Yeager beginnt als autonom agierender emotional geleiteter Feierabendterrorist. Er professionalisiert und radikalisiert sich und kollaboriert eine Zeit lang mit einem FBI-ler. Schließlich wird er der heimliche Chef in einer Zelle organisierter RassistInnen, die bereit sind, den Kampf um die Köpfe auch durch illegale Aktivitäten zu führen. Er selbst bleibt aber der Lone Wolf, der auf dem Weg zum perfekten Terroristen verschiedene Stadien durchläuft und diese den Leser_innen durch innere Monologe oder Dialoge mit anderen Figuren erklärt. Das Buch richtet sich offensichtlich vor allem an die eigene national-sozialistische Szene und soll sie radikalisieren. Der Leser (weniger die Leserin) wird für die potenzielle eigene Entwicklung vom skrupelhabenden Sympathisanten der national-sozialistischen Idee zum entschlossenen militanten Kämpfer quasi an die Hand genommen. »From the beginning with Hunter, I had this idea of how fiction can work as a teaching tool in mind« schrieb William L. Pierce.[1] Nicht-rassistische (und nicht-antisemitische etc.) Leser_innen dürften das Buch aufgrund der Gewalt- und Hassverherrlichung hochgradig abstoßend finden.
Thema 1: Heranführung an das Morden
Die Geschichte beginnt mit der detaillierten Beschreibung eines Doppelmordes durch Oscar Yeager an einem »interracial couple«, sein sechster Doppelmord an »gemischten« Paaren in 22 Tagen. Sein Modus Operandi ist zunächst immer derselbe: gezielte tödliche Schüsse auf die Personen ohne Ansprache aus seinem Auto heraus, die selbe Waffe, das selbe Auto, die Morde auf verschiedenen Parkplätzen. Später begeht der Protagonist Morde an Politikern und öffentlichen Persönlichkeiten sowie Bombenanschläge. Die Bilanz dieses »Ein-Mann-Krieges« umfasst am Ende des Romans weit über 100 Tote. Yeager handelt dabei im Alleingang, hinterlässt keine Bekennerschreiben und hat keine MitwisserInnen. In der detaillierten Beschreibung der Morde und der Beschreibung der befriedigten Gefühle des Mörders nach seinen Taten – inklusive erotischer Szenen mit seiner Freundin und Gesinnungsgenossin Adelaide nach den Taten – werden die Leser_innen, ähnlich wie bei den Turner-Tagebüchern, der Gewalt gegenüber nicht nur abgestumpft sondern über ihren angeblichen Wert und ihre positiven emotionalen und politischen Folgen belehrt. Die ideologische Grundlage wird in langatmigen gestelzten Dialogen mitgeliefert: Yeager formuliert seinen Hass auf die »Durchmischung der Rassen«, er beklagt den Zustand der heutigen dekadenten und verblödeten Gesellschaft, die wachsende Drogensucht und die offene Homosexualität. Seine Verachtung richtet sich gegen Medien, die Politik und politische und zivilgesellschaftliche Organisationen, die immer neue Gesetze gegen die (angebliche) Diskriminierung von ›Nicht-Weißen‹ und für die Gleichbehandlung fordern und durchsetzen würden, um so die ›Weißen‹ von ihrer Identität und jeglicher Teilhabe und Macht abzuschneiden. Durch zwei andere Figuren wird Yeager und mit ihm die Leser_innen zum »die Zusammenhänge (sprich die »jüdische Weltverschwörung«) verstehenden« Antisemiten geschult. Seine Taten entwickeln ein Zusammenspiel mit Gesellschaft und Politik, sie provozieren einen verschärften Verfolgungsdruck und Anti-Nazi-Gesetze auf der einen, viele andere – zu Yeagers Frust oftmals aber dilettantische – Nachahmer auf der anderen Seite.
Vorbilder und Nachahmer
Pierce widmete das Buch Hunter zuerst dem rassistisch motivierten Serienmörder und Goebbels-Fan Joseph Paul Franklin, geboren als James Clayton Vaughn. Sie waren einander über die Amerikanische Nazi-Partei (NSWPP/ANP) bekannt. Die Widmung verschwindet nach der ersten Ausgabe, doch Franklin ist offensichtlich die reale historische Vorlage für den fiktiven Protagonisten Oscar Yeager des Roman Hunter, auch wenn Pierce das später bestreitet.[2]
Im Gegensatz zu den Turner-Tagebüchern, deren deutsche Übersetzung zumindest ab den späten 1990er Jahren in der deutschen Nazi-Szene kursierte, war der Hunter unserer Einschätzung nach sowohl bei Nazis auch als bei Antifaschist_innen weitgehend unbekannt oder zumindest ungelesen, sicherlich auch aufgrund der Sprache. Im Thiazi-Prozess 2014 wurde allerdings thematisiert, dass auf dem »Thiazi-Sampler«, der im Januar 2011 zur Finanzierung des Forums veröffentlicht wurde, auch die deutsche Übersetzung »Jäger« von Pierces Roman enthalten war. Im Forum hatte die Thiazi-Moderatorin »Prometheusfunke«, Nicola Brandstetter, die Übersetzung als Aufgabe der crowd koordiniert.[3]
Die im Roman beschriebene Figur Yeager als Lone Wolf Terrorist ist in ihrer Perfektion ein fiktives Ideal, findet aber auch in der Realität der deutschen Neonaziszene ihre Entsprechung, mindestens auf der imaginierten Ebene. Wer sich in deutschen Neonazi-Foren in die Denk- und zum Teil auch Handlungsweise einliest, findet heimliche Oscar Yeagers dort.[[Dies lässt sich etwa in einem Nachrichtenaustausch zwischen den Usern UR Detroit und Felix Steiner2003 nachvollziehen. Näheres dazu findet sich in der längeren Version dieses Artikels.][
Thema 2: Die Notwendigkeit der Organisierung
Der Lone Wolf-Prototyp Oscar Yeager und seine Freundin Adelaide finden im Laufe der Handlung Anschluss an eine unbewaffnete und klandestine Gruppe von Nationalist-Innen, die »National League«. Die Manipulation der Masse ist als optionale, ja sogar notwendige Methode legitimiert. Die League-Mitglieder sind die Elite, die die Menschen und dadurch den Verlauf der Geschichte in die gewollte Richtung beeinflussen. Die Vorlage für die »League« ist dabei offensichtlich Pierces eigene Organisation, die National Alliance. Aus der Gruppe ging nicht nur mit der rechtsterroristischen Gruppe The Order – Brüder Schweigen (1983/1984) ein Vorbild für spätere NSU-Mitglieder[4] hervor, sondern auch eine Vielzahl von Nazis, die durch Morde, Anschläge, Banküberfälle und ähnliche Straftaten kriminelle bis terroristische Karrieren einschlugen. Dabei sind nicht nur die Turner-Tagebücher das Vorbild: Das FBI fand 1995 das Buch Hunter bei dem US-amerikanischen Neonazi-Terroristen Terry Lynn Nichols, der zusammen mit Timothy McVeigh beim Bombenanschlag in Oklahoma 168 Menschen tötete und über 800 weitere verletzte.
Laut Aussage des Neonazis und V-Mannes Sebastian Seemann im Rahmen der NSU-Ermittlungen sollte durch Marko Gottschalk aus dem Umfeld von Blood and Honour ca. 2005 eine siebenköpfige Combat 18 Zelle in NRW aufgebaut werden. Den potenziellen Mitgliedern wurden nicht nur die Turner-Tagebücher als Pflichtlektüre ausgehändigt sondern auch das Lesen des Hunter ans Herz gelegt. Den ErmittlerInnen war das Buch übrigens gänzlich unbekannt und sie interessierten sich offensichtlich nicht weiter dafür. Wie bei allen Terrorismus-Konzepten und -Vorlagen von Neonazis ist jedoch auch beim Hunter deutlich, dass eine Kombination vom hochgradig motivierten Einzeltäter und Zellenstruktur und übergeordneter Kommandostruktur (wie bei den Turner-Tagebüchern) denkbar ist.
Thema 3: Der Terrorist und der Staat
Nazi-Terrorismus setzt darauf, nicht nur des Todes der Opfer willens zu morden und die Bevölkerung durch Angst zu manipulieren, sondern auch den Staat zum Handeln zu zwingen. Die Wechselwirkung zwischen organisiertem neonazistischem und staatlichem Handeln ist immer eine wesentliche Komponente in Theorie und Praxis. Dabei ist die Komplizenschaft eines die eigenen Ziele unterstützenden Teiles der Behörden immer eine denkbare Option für Neonazis, die hoffen, gleichgesinnte Leute in den Behörden zu finden und sie sich nutzbar zu machen. Für die tatsächliche Kooperation zwischen Neonazis und staatlichen Behörden gibt es zahlreiche Beispiele. Doch die Nazis halten sich meist für schlauer in dem Spiel mit der Polizei. Aus ihrer Sicht sind dann mit dem Geheimdienst kooperierende KameradInnen nicht die Handlanger des Systems, sondern die Beamten des Systems ihre eigenen Handlanger. Sie hoffen, das System auszutricksen.Sicherlich, offiziell gelten alle V-Leute und Spitzel als Verräter. Die NSU-Unterstützerin und Blood & Honour Chemnitz Aktivistin Antje Probst (heute B.) war noch 1997 recht resolut darin gewesen, B&H-Aktivisten der Spitzeltätigkeit zu verdächtigen und ihren Ausschluss zu fordern. Doch 1998 wiegelte sie ab: Durch die Kontakte von einigen B&H-Aktivisten zum Verfassungsschutz könne man die Geheimdienste auf falsche Fährten locken und die eigentlichen Aktivitäten umso ungestörter durchziehen.
Im Roman Hunter erscheint diese Realität in einer verstörenden Weise widergespiegelt, denn ein zweiter Handlungsstrang im Roman ist Yeagers Konflikt mit den staatlichen Sicherheitsbehörden. Eines Tages taucht der FBI-Mann Ryan bei Yeager auf und setzt ihn unter Druck: Er selbst unterstütze die Ziele Yeagers, wenn dieser von nun an für ihn arbeite, würde er ihn nicht festnehmen. Wie in den deutschen Behörden wird die »Quelle« vor Strafverfolgung geschützt, auch wenn Yeager nicht zum Spionieren, sondern zum Morden angeheuert ist.
Das Spiel beinhaltet auch die kalkulierte staatliche Repression gegen die eigene Organisation, aber vor allem gegen die gesellschaftlichen Teile, die sich gegen den Nazi-Terror wehren: Der Staat kriminalisiert Betroffene und Linke. So sind im Hunter auf mehreren Ebenen die möglichen Handlungsoptionen eines Naziterroristen und seinem Zusammenspiel mit dem Staat und die damit verbundenen Gefahren und Gewissenskonflikte durchgespielt. Sie werden am Ende zugunsten der reinen Ideologie aufgelöst.
Weitergedacht
Über die Rezeption des Romans in der deutschen Neonazi-Szene und vor allem die Folgen der Übersetzung auf Deutsch im Jahre 2009 lässt sich bisher nur spekulieren. Ähnlich wie bei den Turner-Tagebüchern dürfte die Romanform den Hunter als niedrigschwellige Lektüre für militante NS-TerroristInnen und vor allem die sympathisierende Szene attraktiv gemacht haben. Als Konzeptvorlage oder zumindest als Inspiration dienen im Hunter vor allem der beschriebene Modus Operandi von Hinrichtungsgleichen Erschießungen von mehr oder weniger zufällig ausgewählten Opfern einer bestimmten Feindbildgruppe an quasi öffentlichen Orten – durch die immer gleiche Waffe und ohne Bekennerschreiben. Auch die Idee der Destabilisierung des Systems durch die Serienmorde und Bombenanschläge und das mögliche Provozieren von »Rassenunruhen« könnten Ideen gebend sein. Die erklärte oder heimliche Kombination von Morden und Anschlägen (durch klandestine Einzeltäter oder Kleingruppen) und einem ideologischen Wirken nach Außen durch (im Vorbild der »League« erst durch legale, dann klandestine Strukturen) dürfte die Realität des deutschen und internationalen Rechtsterrorismus gut widerspiegeln. Die menschenverachtenden Denkweisen sind repräsentativ für einen Prototyen eines männlichen Neonazis, den man – z.B. aufgrund aufgegebener Mitgliedschaft in neonazistischen Organisationen – nicht oder nur sehr schwer einschätzen kann. Die »Ein-Personen-Zelle« ist für die Strafverfolgung undurchdringbar. Anders Breivik, David Copeland, Kay Diesner – alle diese mutmaßlichen »Einzeltäter« hatten vorher die Anbindung an die Szene und mussten nicht das Gefühl haben, alleine zu handeln. So könnte Hunter nicht nur ein heimlicher Traum von Neonazis sein, sondern handlungsweisend, z.B. wenn man sich den Mord an Burak Bektaş in Berlin-Neukölln im Jahr 2012 anschaut: Ein bis heute unbekannter ›weißer‹ Mann tritt wortlos auf eine Gruppe von als migrantisch zu erkennenden Jugendlichen zu, schießt, dreht sich um und verschwindet. Kein Bekennerschreiben. Burak Bektaş stirbt, Jamal und Alex überleben schwer verletzt. Und bis heute fragen wir uns: War das Motiv Rassismus?
Die Denk- und Artikulierungsweise von Neonazis betrachtend, muss man sich die Frage stellen: Was muss passieren, damit die Vorlage Hunter in die Realität umgesetzt wird? Die zahlreichen ungeklärten Morde und Anschläge in Deutschland betrachtend ergibt sich aber auch die Frage: Gibt oder gab es den Hunter? Und wenn ja, wie viele?
Eike Sanders
Eine ausführlichere Version des Textes findet sich unter www.nsu-watch.info/2015/05/was-ein-ehrbarer-mann-tun-muss
- ↑ Pierce zitiert nach Robert S. Griffin, The Fame of a Dead Man’s Deeds: An Up-Close Portrait of White Nationalist William Pierce, 2001, S. 240.
- ↑ Seine Biografie weist maßgebliche Parallelen zum Handeln des Protagonisten im Hunter auf, so ist er für mehrere rassistische und antisemitische Morde und Bombenanschläge verantwortlich.
- ↑ Vgl. www.inforiot.de/cdu-trennt-sich-von-brandstetter
- ↑ Vgl. Dirk Laabs: Der NSU, »The Order« und die neue Art des Kampfes, www.nsu-watch.info/2015/02/der-nsu-order-und-die-neue-art-des-kampfes/, 2.4.2015