Rechte Existenzbeweise
Erinnerungsorte der extremen Rechten – Martin Langebach und Michael Sturm
Ist in der Öffentlichkeit von der Geschichtspolitik der extremen Rechten die Rede, geht es meist um Rudolf Hess oder sogenannte Trauermärsche zur Erinnerung an die Bombardierung deutscher Städte im 2. Weltkrieg. Doch die geschichtspolitische Praxis der extremen Rechten ist facettenreicher als in Medien und Politik wahrgenommen wird. Ein neuer Sammelband widmet sich dem historischen Gedächtnis der extremen Rechten.
Pathos ist keine Mangelware, wo die extreme Rechte sich versammelt, um sich am liebsten beim Schein von Fackeln anhand von Personen und Ereignissen ihrer selbst zu vergewissern. Über Jahre stand der skurrile Kult um den Hitlerstellvertreter Rudolf Hess im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Neonazismus und der Öffentlichkeit. Hess, so die mythenbildende These nach seinem Tod im Gefängnis Spandau 1987, sei vom britischen Geheimdienst ermordet worden. In den fast drei Jahrzehnten danach stieg Hess zur zentralen geschichtspolitischen Identifikationsfigur des Neonazismus auf. Sein Tod sei ein »Opfergang für Deutschland« gewesen, er selbst ein »Märtyrer des Friedens«. In dem in Rede stehenden Sammelband spürt die Autorin Maica Vierkant der Entstehung und der Rezeption des Hess-Kultes im Neonazismus nach. Doch die Herausgeber und Autor_innen haben mehr im Blick.
In der Einleitung skizzieren sie den »geschichtspolitischen Fundamentalismus« (Werner Bergmann/Michael Kohlstruck) und erinnern daran, dass das historische Bewusstsein der extremen Rechten von Vorstellungen der zyklischen Wiederkehr des Schicksals und der naturhaften Bestimmung des Kampfes der Völker um Raum geprägt sei. Begriffe wie »Heldentum« und »Opfergang« sind hier nicht leere Worthülsen sondern ideologische Essenz und Urgrund geschichtlicher Ereignisse. Die extreme Rechte entwirft in allen ihren geschichtspolitischen Aktivitäten eine Gegenerzählung zu dem, was heute für deutsche Geschichte gilt. Angeblich alt-germanische Kultstätten finden sich zu Orten des Widerstandes gegen die westlich-römische Christianisierung Mitteleuropas aufgeladen, Kriegshandlungen deutscher Freikorps zu antipolnischen Befreiungskämpfen stilisiert. Dass rechte Mythen im Umgang mit Erinnerungs- und Tatorten des NS-Regimes Eingang in geschichtliche Narrative auch jenseits der extremen Rechten finden konnten, belegt das Beispiel der Wewelsburg und ihrer angeblich sagenumwobenen »schwarze Sonne«. Nachgezeichnet wird, wie Narrationen über SS in der Nachkriegszeit in die Zunft der Geschichtswissenschaft gerieten und sich dort über Jahrzehnte erfolgreich festsetzen.
Doch nicht nur der neonazistische Flügel der extremen Rechten wob eifrig an identitätsstiftenden Mythen und Legenden. Der Beitrag von Volker Weiß über die Ahnen-galerie der Säulenheiligen der »konservativen Revolution« und deren Verehrung durch rechtsintellektuelle Gruppen und Netzwerke zeigt, dass es nicht immer fester Orte der Konkretion von Geschichte bedarf, um ideengeschichtliche Herkunft zu gründen. Mit Carl Schmitt und Ernst Jünger hat die intellektuelle Rechte Leitsterne, die ihr auch dort leuchten, wo es nicht um ein örtliches Erbe, sondern um ein geistiges geht. Die Autor_innen des Bandes zeigen, dass die geschichtspolitischen Bezugsgrößen der extremen Rechten weiter zurückreichen als bis in die scheinbar omnipräsente NS-Zeit. Und so sind die Lesenden vielleicht künftig nicht mehr überrascht, wenn extrem rechte Gruppen zu Gedenkveranstaltungen zum Gedenken an die antinapoleonische »Völkerschlacht« auflaufen, um dort das zu beschwören, was sie unter Deutschland verstanden wissen wollen: eine Volksgemeinschaft im Kampf gegen ihre Feinde.
Das Buch analysiert die geschichtspolitischen Existenzbeweise der extremen Rechten kundig, umsichtig und mit Weitblick. Alle, die über rechte Geschichtspolitik mehr wissen wollen als in den Medienberichten über Neonaziaufmärsche aus geschichtlichem Anlass zu erfahren ist, sollten zu diesem Sammelband greifen.
Christian Grünert
Martin Langebach, Michael Sturm (Hrsg.): Erinnerungsorte der extremen Rechten. Wiesbaden 2015.