Bedrohliche Allianzen
Neonazis, Hooligans und rassistische Bürger_innen vereint gegen Geflüchtete
Mehrmals wöchentlich finden derzeit in Berliner Randbezirken rassistische Aufmärsche und Kundgebungen gegen entstehende Flüchtlingsunterkünfte statt, teilweise mit bis zu 1000 Teilnehmenden. Die Stimmung ist aggressiv und bedrohlich. Doch Berlin ist nur ein Ort eines besorgniserregenden, bundesweiten Trends: Nicht nur Aufmärsche, auch rassistisch motivierte Bedrohungen, körperliche Angriffe, Sachbeschädigungen und Brandanschläge nehmen zu.
Die derzeitigen rassistischen Proteste in den Berliner Stadtteilen Marzahn, Buch und Köpenick richten sich gegen vom Senat geplante sogenannte Containerdörfer[1] für Geflüchtete, also Unterkünfte, die angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen als vorgeblich provisorische Lösung eingerichtet werden. Schwerpunkt der Mobilisierung ist Marzahn: Nach einigen Monaten relativer Ruhe[2] flammen hier die rassistischen Proteste wieder auf. Unter dem Motto »Montagsdemonstration« marschieren wöchentlich bis zu 1.000 Personen gegen »Asylmissbrauch« und einen angeblich drohenden Kriminalitätsanstieg. Die Aufmärsche werden von bekannten Neonazi-Strukturen organisiert. Maßgeblich ist die seit dem Sommer 2013 aktive Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf zu nennen. Deren Aktivist_innen sind alte Bekannte der lokalen Kameradschaftsszene und haben enge Bindungen zum Berliner Landesverband von Die Rechte, zur NPD und zum Neonazi-Netzwerk des Nationalen Widerstand Berlin (NW BERLIN). Die sogenannten »empörten« Bürger_innen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie sich einer neonazistischen Demonstration anschließen und mit ihrer Beteiligung die Strukturen und Positionen der Neonazis unterstützen und stärken. Oftmals machen sich die »Empörten« die Positionen gar zu eigen, bemalen Schilder mit NPD-Wahlkampfsprüchen (»Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land«) und stimmen in offen rassistische und neonazistische Parolen (u.a. »Unsere Straße, unser Land – maximaler Widerstand«) mit ein. Gewalttätige Anti-Antifa-Aktivisten treten als Ordner auf und haben es gezielt auf die Presse abgesehen. Die akuten Bedrohungen und Angriffe der Nazis vor den Augen der tatenlosen Berliner Polizei sorgen regelmäßig dafür, dass Journalist_innen, ihre Arbeit abbrechen müssen. Die Pressefreiheit ist dort seit Wochen über weite Strecken nicht gewährleistet. Der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt verstieg sich damit konfrontiert zu der skandalösen Aussage, Personenschutz für Journalist_innen sei nicht Aufgabe der Polizei.[3]
Auch wöchentlich, aber zahlenmäßig deutlich geringer, finden in Berlin-Buch und Köpenick strukturell, personell und inhaltlich sehr ähnliche Kundgebungen bzw. Lichterketten gegen die geplanten Asylunterkünfte statt. Die auf lokaler Ebene antirassistisch und zivilgesellschaftlich Engagierten haben es hier zu kleinen Erfolgen geschafft: Aufgrund der Gegenproteste kann in Buch mittlerweile nur noch eine stationäre Kundgebung abgehalten werden, während es anfänglich auch hier einen rassistischen Aufmarsch gab. In Köpenick waren die Anmelder_innen offensichtlich verschreckt, als eine antirassistische Demonstration zeitgleich zu ihrer Kundgebung angemeldet wurde. Die Folge: Der rassistische Aufmarsch wurde abgesagt.
Altes Problem, neue Dynamik
Rassistische Aktivitäten gegen Asylunterkünfte sind nicht neu. Seit etwa zwei Jahren finden bundesweit vermehrt Aufmärsche und Kundgebungen statt. Schneeberg, Güstrow, Berlin-Hellersdorf, Bestensee/Pätz sind nur einige dieser Orte. In den letzten Monaten wurde jedoch eine neue, alarmierende Dimension erreicht – sowohl hinsichtlich der Häufigkeit, des Mobilisierungsgrades als auch der akuten Bedrohungslage. Diese Entwicklung ist nicht berlinspezifisch, sondern in vielen Regionen im gesamten Bundesgebiet zu beobachten, wobei ein Schwerpunkt in den ostdeutschen Bundesländern auszumachen ist. Pro Asyl hat bis Ende November diesen Jahres bereits etwa 220 flüchtlingsfeindliche Aufmärsche und Kundgebungen gezählt. Im gleichen Zeitraum hat es laut Pro Asyl 31 Sachbeschädigungen, 24 Brandanschläge und 33 körperliche Angriffe gegeben. Allem Anschein nach gibt es zudem ein Todesopfer rassistischer Gewalt.[4]
Ob rassistische Aufmärsche gegen Geflüchtete, HoGeSa oder Pegida[5], sie alle sind keine große, in sich geschlossene schlagfertige Bewegung, doch sie greifen aggressiv und bedrohlich mit rassistischen Ressentiments in eine gesellschaftliche Diskussion über steigende Flüchtlingszahlen ein. Die Dynamik, die sie dabei auf die Straße bringen, wirkt mobilisierend auf erschreckend viele bisher noch nicht politisch aktive Rassist_innen.
Ringen um Deutungshoheit
Am Beispiel Marzahn zeigt sich, dass die Deutungshoheit, wer da auf die Straße geht, einen entscheidenden Effekt auf die öffentliche Wahrnehmung der Bedrohungslage und damit auf die Mobilisierung von Gegenprotesten hat. Für Samstag, den 22. November wurde überregional zu einem rassistischen Aufmarsch mobilisiert. Die politische und mediale Aufregung war groß – wurde doch der größte Nazi-Aufmarsch seit Jahren befürchtet. In einer parteiübergreifenden Erklärung riefen Berlins Regierung und Opposition gemeinsam zu friedlichen Protesten auf. Der Aufmarsch wurde durch viele Menschen und Blockaden immens gestört und verzögert. Die »Montagsdemonstrationen« hingegen werden von offizieller Seite verharmlost. Innensenator Frank Henkel und Polizeipräsident Kandt halten es nicht einmal für nötig, die Aufmärsche von ausreichend Polizei begleiten zu lassen, um Drohungen und Angriffe von Nazis aus der Demo zu unterbinden und so Geflüchtete, Presse und Gegendemontsrant_innen ausreichend zu schützen. Die Folge dieser Fehleinschätzung: Breit aufgestellte zivilgesellschaftliche Bündnisse aus Antifaschist_innen, Parteien, Gewerkschaften und anderen Akteuren bleiben derzeit weitestgehend aus.
Wider die Entpolitisierung – Rassistische Gefahr benennen
Den Versuchen der Polizei wie auch einiger Politiker_innen, die Aufmärsche als Proteste empörter Bürger_innen unter der Beteiligung einiger Neonazis zu entpolitisieren, muss vehement widersprochen werden. Diese Analyse ist nicht nur faktisch falsch, sondern hinsichtlich der Bedrohungslage fahrlässig und gefährlich. So diffus die Gemengelage auch sein mag, was die Teilnehmenden der Aufmärsche eint, ist aggressiver Rassismus. Angesichts regelmäßiger Umfragen zu rechten Einstellungen in der Gesellschaft, kann dieser Schulterschluss auch nicht überraschen: Mehr als 50% der Bevölkerung vertreten der Mitte-Studie 2014 zu Folge abwertende bis feindliche Haltungen gegenüber Asylbewerber_innen sowie Sinti und Roma. Anders als bisher werden diese Einstellungen nun mancherorts zu Handlungen. Was zuvor den Arbeitsplatz, die Familienfeiern oder den Stammtisch nicht verlassen hat, wird vehement und aggressiv Seit an Seit mit Nazis auf die Straße getragen. Vor diesem Hintergrund ist das Transparent mit der Aufschrift »Handeln statt Klagen«, das jeden Montag in Berlin-Marzahn zu sehen ist und so etwas wie der Leitspruch ist, als unmissverständliche Drohung verstanden werden. Die NSU-Mordserie wurde mit »Taten statt Worte« begründet. Dass auch heute noch Menschen bereit sind, aus rassistischen Motiven Gewalt auszuüben und gar zu töten, muss auch hier in den Fokus gerückt werden.
Erfolge sichern
Die immer wiederkehrenden Aufmärsche an nahezu jedem Wochentag sind ermüdend und bringen antirassistische Aktivist_innen an die Grenze des Machbaren. Sie sind jedoch keineswegs ausweglos: Die Blockaden des Pegida-Aufmarsches in Dresden am 1. Dezember und des Naziaufmarsches in Marzahns am 22. November sowie auch die kleinen Erfolge in Buch und Köpenick zeigen, dass Antirassist_innen dem Treiben nicht ohnmächtig gegenüberstehen und deutliche Erfolge erzielt haben. Die fatale Verharmlosung der rassistischen Bedrohungen in Kombination mit einer repressiven Asyl- und Flüchtlingspolitik seitens der regierenden Parteien – bundesweit und konkret hier in Berlin – macht deutlich, dass zivilgesellschaftliches Engagement und Protest weiterhin notwendig ist, druckvoll und nachhaltig sein muss. Auch antifaschistische Recherche ist hierbei mehr als notwendig. Es gilt dabei nicht nur die neonazistischen Strukturen hinter den Aufmärschen zu betonen, sondern ebenso die vermeintlich besorgten Anwohner_innen zu entlarven und auch die von ihnen drohenden Gefahren zu benennen. In dieser aktionsreichen Zeit dürfen jedoch eigene politische Akzente und wichtige Forderungen wie dezentrale, menschenwürdige Unterbringungen für Geflüchtete nicht zu kurz kommen. Es geht letztlich darum, die Menschen, die in den zu kritisierenden Wohncontainern leben müssen und jene, die sich tagtäglich für eine antirassistische Arbeit einsetzen, zu stärken und zu unterstützen.
Svenna Berger und Frank Metzger
- ↑ Die aus antirassistischer Perspektive durchaus notwendige Kritik an »Containerdörfern« tritt angesichts der aktuellen Bedrohungssituation in den Hintergrund oder fehlt gänzlich.
- ↑ Bereits im Sommer 2013 gab es massive rassistische Proteste gegen eine Asylunterkunft. Auch in den Monaten den der relativen Ruhe wurden Geflüchtete und deren Unterstützer_innen bedroht und angegriffen.
- ↑ Zu genaueren Hintergründen empfehlen wir den Artikel »Vor den Augen der Polizei – Neonazis bedrohen Pressefreiheit« auf unserem Blog »Berlin rechtsaußen«
- ↑ Ende Oktober 2014 wurde in einer Obdachlosenunterkunft in Limburg ein aus Ruanda kommender Mann von drei Männern zu Tode geprügelt. Selbst Staatsanwalt und Polizei sprechen von einem möglichen rassistischen Motiv.
- ↑ Zur Einschätzung der rassistischen Großevents der Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) in Köln und Hannover und die ebenfalls regelmäßig montags stattfindenden Aufmärsche der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) in Dresden siehe »Kampf für die ›alten Werte‹«