Frauen und Männer im Untergrund – Geschlechterverhältnisse im NSU und in seinem Umfeld
Der NSU hätte wahrscheinlich nicht 13 Jahre unentdeckt im Untergrund morden können ohne seine bürgerliche Fassade gegenüber Nachbar_innen und Bekannten so erfolgreich aufrecht zu erhalten. Dies ist vor allem der Frau im Trio zu verdanken, denn die gelebten und vorgespielten Geschlechterrollen des Trios ergänzten sich funktional. Die Blindheit gegenüber der Relevanz von Frauen in der Szene droht sich auch bei der Betrachtung des Umfeldes des NSU fortzusetzen.
von Eike Sanders (apabiz e.V. / NSU-Watch sowie Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus)
Bis jetzt wurde das Konzept des Rechtsterrorismus immer als männerbündische Kampfeinheit verstanden und wahrscheinlich auch als solche gedacht und geschrieben. Männer sind hier wie üblich das unmarkierte Ideal: Es wird sowohl über ihn – den Aktivisten – als auch für ihn – den Leser – geschrieben. Weder in der antifaschistischen Analyse noch in der extremen Rechten selbst wurden die Konzepte auf Geschlechterrollen und geschlechtlich konnotierte Funktionen gelesen. In der terroristischen Zelle als organischer Kampfgemeinschaft sind sich ergänzend funktionierende Mitglieder überlebensnotwendig. Die Idee, dass man sich in einem schon stattfindenden „Rassenkrieg“ befände, befördert das Agieren im Untergrund, den Einsatz terroristischer Gewalt und den „führerlosen Widerstand“. Dabei ist der „lone wolf terrorist“ auf sich alleine gestellt und agiert unabhängig von größeren Gruppenstrukturen, aber im Sinne ihrer Ziele oder der übergeordneten Ideologie. Der „lone wolf“ verkörpert das Ideal des hypermaskulinen Einzelkämpfers. In einer Zelle hingegen komplementieren und bedingen sich die jeweiligen Funktionen ihrer einzelnen (wenigen) Mitglieder – bis zum gemeinsamen Sieg oder Untergang. Genau das sehen wir beispielhaft bei der Zwickauer Nazizelle.
Die Familie „NSU“
Die Klischees über rechte Frauen im Besonderen und Frauen im Allgemeinen waren auch dem Trio dienlich: Die Frau ist friedfertig, sozial, gewaltablehnend, sie hält sich im Hintergrund. Mutter Böhnhardt hatte die Hoffnung, dass es Uwes neue Freundin Beate sein könnte, die ihn Ende der 90er Jahre aus der rechten Szene rausholt und seiner kriminellen Karriere ein Ende setzt. Im Interview mit der ARD beschreiben Böhnhardts Eltern Beate Zschäpe als umsorgende Frau, die auch mal im Haushalt mit anpackte und noch aus dem Untergrund das Plätzchen-Rezept für den Uwe besorgte. Zschäpe hat die Hoffnung Mutter Böhnhardts enttäuscht. Sie wurde diejenige, die mit ihrer freundlichen Interaktion mit den Nachbar_innen, den Katzen, den Urlaubsbekanntschaften die fundamental notwendige bürgerliche Fassade des Trios erschaffen hat.
Nach allem, was wir wissen, hat Uwe Böhnhardt die Rolle des hypermaskulinen politischen Soldaten verkörpert und damit das vorherrschende Männer-Ideal der extremen Rechten reproduziert. Er war derjenige, der schon vor dem Abtauchen Taten statt Worte sprechen ließ und einen Totenkopf mit Stahlhelm tätowiert haben soll. Mundlos hingegen hatte angeblich die Rolle des Ideologen, der intellektuelle „Professorensohn“, und war laut Böhnhardts Mutter derjenige, der nicht gewillt war aufzugeben. Er hat zusammen mit Böhnhardt die Taten durchgeführt, mindestens der erste Mord soll von den beiden zusammen begangen worden sein – eine Tat, die die beiden Männer mutmaßlich zusammengeschweißt hat. Ihre Männerrollen ergänzen sich komplementär. Beate Zschäpe kann bis jetzt keine direkte Mordbeteiligung nachgewiesen werden. Ihre Rolle daher als nachrangig zu verharmlosen wäre aber fatal. Sie war diejenige, die sich gegen die Flucht ins Ausland gesperrt haben soll und damit die Perspektive des Trios als mordende Untergrundzelle erst geschaffen hat. Bei ihrer Festnahme bezeichnete sie die beiden Toten, Böhnhardt und Mundlos, als ihre „Familie“.
Ob Beate Zschäpe jetzt die „Freundin von…“ war oder nicht, ist vor der Ausnahmesituation, in der sich die drei konstant befanden, nebensächlich. Die Wohn- und Lebenskonstellation von zwei Männern und einer Frau, alle im „reproduktionsfähigen Alter“ und die meiste Zeit ohne Kinder unterwegs, ist riskant für das Leben im Untergrund: In einer spießigen Nachbarschaft in Zwickau ruft sie potenziell Spekulationen und voyeuristisches Interesse hervor. So werden das Kinderspielzeug in Wohnung und Caravan sowie das gelegentliche Auftreten als Kleinfamilie plus Kumpel oder Bruder nicht zuletzt einer pragmatischen und quasi lebensnotwendigen Entscheidung geschuldet gewesen sein. In der Logik des Untergrundes war das gelebte und nach Außen vertretene Geschlechterverhältnis die einzig vernünftige Rollenaufteilung.
„der Freund von…“ – Mandy Struck und ihre Ex-Freunde
Mandy Struck, heute 36, redet von ihren angeblichen Jugendsünden und kommt bis dato damit durch. Die Kleinstadt Schwarzenberg im Erzgebirge, in der Mandy Struck heute als Friseurin arbeitet, nachdem sie in Johanngeorgenstadt aufwuchs und später in Chemnitz lebte, hält zu ihr: „Jeder hat doch eine Leiche im Keller“, sagt Eine aus der Stadt.[1]
Schon im Dezember 2011, nachdem ihre Wohnung aufgrund des Verdachtes der Unterstützung des NSU durchsucht worden war, war Mandy Struck angetreten, ihre Version der Dinge an die Behörden und in die Presse zu bringen. Eine Strategie, die sie laut Spiegel schon 2001 erfolgreich durchgeführt habe: „Bereits zehn Jahre zuvor, am 29. Januar 2001 […], haben Ermittler des sächsischen Verfassungsschutzes mit Mandy S. ein Informationsgespräch geführt, in dessen Verlauf sie versuchte, den Eindruck zu erwecken, sie habe sich von der rechtsextremistischen Szene abgewandt. Weitere Kontakte mit der Behörde habe sie abgelehnt, da sie nicht gewillt sei, Leute zu verraten.““ [2. ebd.] Der „Welt“ erzählt sie im Dezember 2011, sie habe sich damals „überreden lassen“ Mitglied der Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene (HNG) zu werden, und mit ihrem 30. Geburtstag habe ihr Ausstieg begonnen. Jetzt von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden, setze ihr ganz fürchterlich zu.
Dass ihre angeblich eher passive Vergangenheit nicht allzu weit zurück liegen kann und bei weitem nicht aufgeräumt ist, belegt die Ausgabe der HNG-Nachrichten 4/2011: Hier wird der Name Mandy Struck auf der Schwarzen Liste veröffentlicht, wo die HNG diejenigen Mitglieder aufführt, die ihre Beiträge nicht gezahlt haben. Bis März 2011 scheint S. also ihre Mitgliedsbeiträge an die am 21. September 2011 durch Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verbotene Nazi-Gefangenenhilfsorganisation pünktlich bezahlt zu haben, weder in den Ausgaben davor noch danach wird sie gelistet.
Ihre enge Bindung an die HNG ist zumindest für die früheren Jahre zweifelsfrei belegt. Und dass Richard L., 1995 zu 12 Jahren Haft für einen homophob motivierten Totschlag verurteilt, im Knast von Mandy Struck betreut wurde, ist sicherlich kein Indiz dafür, dass sie nur halbherzig bei der Sache war. Mit ihm zusammen veröffentlichte sie 2001 auch einen Artikel in „Der Landser“, einem Nürnberger Neonazi-Fanzine, in dem sie die Spaltung und den Streit in der „Bewegung“ beklagen und fordern: „Der Nationale Widerstand ordnet sich dem herrschenden System nicht in irgendeiner Richtung zu, sondern steht ihm frontal gegenüber und dieser soll alle in unserer Nation umfassen, die reinen Blutes sind.“ [3. Der Landser, Nr. 8 (2001), S. 14]
Zu dieser Zeit saß Richard L. noch in der JVA Straubing (Bayern). Wie erst jetzt bekannt wurde, hat Mandy Struck um das Jahr 2006 herum selbst im Raum Nürnberg gewohnt. Sie geriet 2007 zusammen mit weiteren 161 verdächtigen extremen Rechten ins Visier der „Soko Bosporus“.
Ob Mandy Struck inzwischen bereit ist, Leute zu verraten? Jedenfalls geraten immer mehr ihrer Ex-Freunde in die Ermittlungen der Behörden: Da ist zum einen ihr ehemaliger Freund Max-Florian B., der seine Wohnung für mindestens zwei Monate dem Trio zur Verfügung stellte, weil er ja sowieso die meiste Zeit bei Mandy war. Ebenso ihr nächster Freund Kai S., der sich 2000 angeblich mit Böhnhardt treffen wollte. Dass nun auch die Unterstützung der Untergetauchten durch Gunter und Armin F. in die Öffentlichkeit gelangt ist, haben diese zumindest laut ARD auch der Aussage von Mandy Struck zu verdanken. Wenn Mandy Struck über andere Kameraden auspackt, scheint ihre Strategie der geständigen Ausgestiegenen aufzugehen, denn trotz ihrer vielfachen Unterstützungsleistungen für die Untergetauchten und ihrer ernormen Eingebundenheit in die Szene der 90er und 2000er Jahre liegt der Fokus der Ermittlungen auch weiterhin auf den Taten ihrer Ex-Freunde und anderer Männer.
Das Umfeld des NSU
Im Ermittlungskomplex NSU tauchen neben Mandy Struck mindestens vier weitere Frauen bis 2001 auf: Alleine drei (Mandy Struck, Susann E. und Antje P.) sollen direkte Unterstützungsleistungen vollbracht haben, immerhin zwei von ihnen werden in einem weiteren Strukturermittlungsverfahren angeblich als „Beschuldigte“ geführt. Eine weitere (Juliane W.) soll zusammen mit Ralf Wohlleben Kontaktperson zu den Untergetauchten gewesen sein. Die fünfte ist die Berliner Funktionärin Rita B., die angeblich zusammen mit Frank Schwerdt um Unterstützung bei der Flucht ins Ausland angefragt wurde [sie ist inzwischen verstorben]. Zudem werden die mindestens neun Alias-Identitäten von Beate Zschäpe zum Teil Abwandlungen realexistierender Personen sein, was zwei weitere Frauen in den Kontext der Ermittlungen bringt. Insgesamt können wir sagen, dass 25 von 117 Namen, die wir derzeit im Komplex NSU zusammengetragen haben, weiblich sind, das sind über 20 %. In Haft sitzen neben Zschäpe wegen Verdacht auf Mitgliedschaft oder Unterstützung des NSU fünf Männer, von den dutzenden Hausdurchsuchungen im Kontext NSU war bisher nur Mandy Struck betroffen. [4. Hierbei ist allerdings unklar, ob gegen die Frauen, deren Ehemänner aufgrund von Ermittlungen wegen Unterstützung des NSU durchsucht wurden, auch ein Durchsuchungsbeschluss vorlag – wahrscheinlich aber nicht.]
Rezeption
Das Missverhältnis in der Berichterstattung in Bezug auf Frauen in der Nazi-Szene im Allgemeinen und die sexistische Brille der Medien beim Fall „Zwickauer Zelle“ im Speziellen hat das Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus schon am 15. November 2011 kritisiert: Das „übliche Klischee von der unpolitischen“ und generell friedfertigen Frau wird „unreflektiert reproduziert“. Während der Boulevard über „Freie Liebe im Untergrund und ein Hang zu Katzen“ [5. Z.B. Hamburger Morgenpost (Print) vom 14.11.2011] spekulierte, verniedlichten auch seriöse Zeitungen die Rolle der mutmaßlichen Terroristin Beate Zschäpe zu der des Anhängsels zweier Mörder. Weiterhin wundert sich ein Großteil der Presse vor allem darüber, dass die Frau im Trio so überzeugend sympathisch war und anscheinend so abgrundtief böse. Ihre Tatbeteiligung erschien vor dem Hintergrund der sexistischen Stereotypisierung ihrer Rolle plötzlich als unwahrscheinlich und verharmloste so ihre quasi erwiesene Täterinnenschaft im Untergrund, d.h. zumindest die Planung, die Bereitstellung der Infrastruktur, die Verbreitung des Bekennervideos etc., in all ihrer Konsequenz und Menschenverachtung – nur weil es kein Bild von ihr mit Waffe in der Hand gibt.
Ähnlich funktionieren die Ermittlungs- und Justizbehörden, die seit jeher extrem rechte Frauen nur dann in den Blick bekommen, wenn ihre Beteiligung an Straf- oder gar Gewalttaten offensichtlich und bewiesen ist. Das liegt sicherlich an den systemischen Fehlern der behördlichen Analyse der extremen Rechten, die Nazis nur da sieht, wo sie die Verfassung gewaltförmig angreifen. Aber es ist auch das vorherrschende Klischee vom männlichen jugendlichen Neonazi-Schläger im Kopf jedes einzelnen ermittelnden Beamten und jeder Urteil sprechenden Richterin.
Und auch die antifaschistische Recherche war lange Jahre blind für Frauen in der rechten Szene: Auf den vielen Aufmarschbildern der 90er-Jahre, die wir in den letzten Monaten auf der Suche nach den ProtagonistInnen des NSU durchforsteten, war der chauvinistische Blick der Fotografen zu spüren: Portraitaufnahmen der Männer und sobald eine Frau ins Bild wandert, wird die Kamera zu vermeintlich wichtigeren Personen umgeschwenkt. Eine androzentrische Sichtweise, die sich in den letzten Jahren nur langsam verbessert hat.
Inzwischen haben auch viele Medien einige Leerstellen gefüllt und über extrem rechte Frauen berichtet, nicht zuletzt weil der kürzlich angelaufene Film „Kriegerin“ eine brutale Neonazistin als Hauptfigur in die Kinos gebracht hat. Doch die Ermittlungsbehörden und in ihrem Fahrwasser die Journalist_innen scheinen beim NSU immer noch geschlechterblind und den Männern mehr Bedeutung beizumessen als den Frauen. Gründe dafür sind in der mangelnden Kontextualisierung von Geschlechterrollen in der extremen Rechten zu suchen sowie der bisher noch dünnen Forschung zum ideologischen Zusammenspiel spezifischer Frauen- und Männerrollen und extrem rechter Ideologie.
Fazit
Es stimmt, dass Frauen bei extrem rechten Straftaten viel seltener aktiv körperliche Gewalt ausüben. Es stimmt auch, dass die meisten Frauen in der Naziszene bestimmte Rollen haben: Sie sind häufig der soziale Kitt, übernehmen Funktionen im Hintergrund – so wie Mandy Struck in der HNG. Und auch Beate Zschäpe hatte noch im Jahr vor ihrem Untertauchen inhaftierte Kameraden betreut. Die langjährige HNG-Vorsitzende Ursel Müller betonte, dass es gerade Frauen seien, die fleißig Briefe an inhaftierte Kameraden schrieben und sie besuchten. So werden Inhaftierte ideologisch und sozial an die Szene gebunden und bei der Stange gehalten.
Auch bei der Untersuchung des NSU stellt sich die Frage nach der Übernahme von geschlechterspezifischen Funktionen. Auch wenn wahrscheinlich beim NSU nie beantwortet werden kann, was Pragmatismus und was Ideologie war: Um das Phänomen Rechtsterrorismus allgemein und den NSU speziell verstehen zu können, muss gender als Analysekategorie miteinbezogen werden – nicht zuletzt damit die beteiligten Frauen im Umfeld des NSU nicht so unsichtbar und nebensächlich bleiben, wie sie es im Nachhinein gerne sein wollen.
Dieser Artikel erschien zuerst im monitor 55 (Mai 2012) und online am 16.05.2012 auf NSU-Watch.info