Chronologie antisemitischer Vorfälle 2007 liegt vor
Das apabiz dokumentiert mit dieser Liste knapp 100 Fälle antisemitisch motivierter Gewalt- und Straftaten aus dem Jahr 2007. Sie umfasst Fälle antisemitisch motivierter Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, Beleidigungen, öffentlicher Schmähungen, Volksverhetzungen und anderer strafrechtlich relevanter Taten. Die Chronologie belegt alleine 12 Fälle von Friedhofsschändungen sowie 32 andere Fälle von Schändungen oder Sachbeschädigungen.
Nach allem, was die Sicherheitsbehörden über dieses Feld veröffentlichen, ist dies nur ein sehr kleiner Teil aller Straftaten.[1] Eine Zusammenstellung wie diese kann nicht die strengen formalen Kriterien einer Statistik erfüllen. Die breite Streuung der Medienbeobachtung bietet allerdings einen Einblick in die räumliche und inhaltliche Verteilung solcher Taten.
Wir haben uns ausgehend von dem vorliegenden Material dazu entschlossen, die Fälle in folgende Kategorien einzuteilen:
Kategorie Anzahl
a) Schändungen von jüdischen Friedhöfen 12
b) Schändungen bzw. Beschädigungen von
Mahnmalen, Gedenkstätten und
jüdischen Einrichtungen 32
Davon Brandanschläge 3
c) Angriffe gegen Personen Gesamt 21
davon Körperverletzungen 14
d) Sonstige Drohungen, Schmierereien
und Volksverhetzungen 35
Ein kurzer Blick auf einige Fälle
In 12 Fällen wurden Schändungen von jüdischen Friedhöfen berichtet. Die Dunkelziffer ist bekanntermaßen hoch, die TäterInnen werden oftmals nicht gefasst oder nur durch Zufall der Polizei bekannt. Hier ist ein Beispiel jener Fall, der im Februar 2007 bekannt wird, wo ein Straftäter bei der Polizei in der Vernehmung die vierfache Schändung des Friedhofs in Alsbach/Hessen gesteht. In einem anderen Bericht über eine Schändung des KZ-Friedhofs in Birnau wird erwähnt, dass eine Gedenktafel alleine im Jahr 2007 bereits sieben Mal mit Farbe unlesbar gemacht worden sei (siehe 27. November, Überlingen). Besonders positiv möchten wir auf eine Initiative der Partei Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg hinweisen, die vom dortigen Innenministerium eine ausführliche Stellungnahme über „Zerstörung und Schändung ehemaliger jüdischer Friedhöfe und Gedenkstätten“ eingeholt hat. Hierdurch liegen auf Landesebene detaillierte Zahlen vor. (siehe http://www.landtag-bw.de/wp14/drucksachen/1000/14_1826_d.pdf)
Sehr häufig kommt es schon seit mehreren Jahren auch zu Beschädigungen der sogenannten Stolpersteine, die inzwischen in vielen Städten Deutschlands zu finden sind. Ein paar Fälle finden statt am 27. Januar 2007 in Stralsund/Mecklenburg Vorpommern, am 26. Juni 2007 in Cottbus/Brandenburg oder am 10. Juli 2007 in Bautzen/Sachsen.
Die Fälle, die 2007 am meisten Aufsehen erregten, waren sicherlich der Anschlag auf einen jüdischen Kindergarten in Berlin-Charlottenburg (siehe 25. Februar) sowie der skandalöse Nazi-Aufmarsch am 7. Juli 2007 in Frankfurt/Main. Die Polizei ließ den mehrfachen Verstoß gegen die erlassenen Auflagen durchgehen und griff auch bei offensichtlichen Straftaten wie Volksverhetzung und dem Zeigen strafbarer Symbole nicht ein. Wir verweisen für nähere Hinweise auf zwei Dokumentationen, an denen auch das apabiz beteiligt war. Beide sind nachzulesen auf der Webseite der Anti-Nazi-Koordination Frankfurt.
http://antinazi.wordpress.com/2008/01/25/ist-ns-propaganda-und-leugnung-des-holocaust-in-hessenlegal/#more-750
http://antinazi.wordpress.com/2007/07/21/pressekonferenz-der-anti-nazi-koordination-20-juli-2007-allematerialien/
Auch die Reihe von antisemitischen Beleidigungen auf oder neben dem Fußballplatz bricht nicht ab. In dieser Chronologie sind zwei Fälle dokumentiert (am 10. Februar und am 31. Mai), die meisten werden nach Ansicht von BeobachterInnen jedoch nicht öffentlich bekannt.
In Berlin sind wie jedes Jahr die Mahnmale in Mitte und in der Levetzowstraße ständiges Ziel von Schmierereien. Das Mahnmal an der Levetzowstraße wurde mindestens vier Mal beschmiert.
Die Kategorien auch dieser Chronologie sind nicht immer ausreichend trennscharf, um die Realität des Antisemitismus in Deutschland darin einzuordnen. Wir bitten daher, diese Chronologie entsprechend aufmerksam zu lesen. Manche Fälle, vor allem im großstädtischen Raum, sind zwar eindeutige Sachbeschädigungen, aber ein Motiv bleibt im Dunkeln. Wir haben in solchen Fällen auf eine Zählung verzichtet, den Fall aber in der Chronologie belassen.
Ähnlich schwierig sind Fälle der verbalen Bedrohung, vor allem zwischen Jugendlichen. Opfer und TäterInnen kennen sich häufig und die antisemitischen Parolen stellen manchmal nur einen Aspekt der unbestreitbaren Attacken dar. Und das Schimpfwort „Du Jude“ gehört auch bei vielen nicht-rechten Jugendlichen schon zum Standard. In den Fällen, die starke Zweifel offen ließen, verzichteten wir auf eine Zählung.
Ulli Jentsch / apabiz Im März 2008
-> Zur Chronologie als PDF (105kB)
Anmerkungen:
1 Aus den Anfragen des Büros von Petra Pau (Die Linke, MdB) ergeben sich 951 durch die Polizeibehörden erfasste Straftaten im Jahr 2007.
http://www.petrapau.de/16_bundestag/dok/down/2007_zf_antisemitische_straftaten.pdf