Sprecher des „Berliner Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege“ (BVR) Gernot Holstein versucht, rechtsextreme Kontakte herunterzuspielen
Das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin hatte mit Pressemitteilung vom 11.5.1999 gemeldet, daß der Sprecher des BVR und langjährige Aktivist gegen die Rechtschreibreform, der Berliner Gernot Holstein, Mitglied in verschiedenen rechtsextremen Organisationen sei. Sowohl der BVR als auch Herr Holstein selber versuchen seither, die Kontakte von Herrn Holstein herunterzuspielen. Zuletzt stellt Herr Holstein in einer heute, am 28.5.1999 in der taz erschienenen Gegendarstellung fest, daß er nicht Mitglied der Artgemeinschaft ist. Er sei Mitglied einer „Berliner Gefährtschaft im Aufbau“ gewesen, die mit der Artgemeinschaft nicht identisch sei.
Wir bestätigen die Darstellung Holsteins, daß er zum heutigen Tage nicht Mitglied in der neonazistischen Artgemeinschaft ist. Herr Holstein war allerdings nachweislich Mitglied dieser völkisch-religiösen Vereinigung unter Leitung des bekannten Hamburger Neonazis Jürgen Rieger. Herr Holstein hat sich in dieser Vereinigung als Mitglied betätigt, und das noch 1994. Wir werden in dieser und folgenden Mitteilungen weitere Belege anfügen, die dazu geeignet sind, die Kontakte aufzuzeigen, die Herr Holstein – nachweislich seit Beginn der 90er Jahre – zu Rechtsextremisten bzw. zu rechtsextremen Organisationen hatte.
1. Herr Holstein und die Deutsche Kulturgemeinschaft Berlin (DKG), heute Berliner Kulturgemeinschaft Preußen (BKP)
Am 7.3.1990 findet in Berlin eine Versammlung des Berliner Ablegers der Deutschen Kulturgemeinschaft (DKG) statt. Diese „im März 1983 von oppositionellen Berliner NPD-Mitgliedern gegründete 1990 etwa 30 Mitglieder umfassende Vereinigung hat sich seit 1988 zu einem Sammelbecken für Berliner Rechtsextremisten unter Einschluß der neonazistischen Gruppen entwickelt„, so der Verfassungsschutzbericht Berlin 1990. Herr Holstein wird zum stellvertretenden Vorsitzenden der DKG gewählt, die auf dieser Versammlung die Eintragung im Vereinsregister beschließt. Das zuständige Registergericht beanstandet den Namen und am 9.1.1991 beschließt der Verein die Umbenennung in BKP.
Wenn Herr Holstein heute behauptet, er sei in einem namensgleichen Verein tätig gewesen, und „er habe sich allerdings aus letzterem zurückgezogen, als er merkte, mit welchem Leuten er es zu tun habe„, wie das ND am 20.5.1999 unter der Überschrift „Volksbegehren in Nöten“ berichtet, weicht er aus.
Will Herr Holstein allen weismachen, er sei 1990 zufällig auf die Versammlung eines so illustren Kreises von NPD-Mitgliedern, Rechtsextremisten und Neofaschisten geraten? Also in solch ein Treffen mit internem Charakter wie einer Gründungsversammlung? Zu den Gründungsmitgliedern gehörten u.a. Personen wie die langjährige NPD-Funktionärin Ursula Schaffer, der ex-Bundesführer der verbotenen Wiking-Jugend Wolfram Nahrath, das Mitglied der verbotenen Nationalistischen Front Ulrich Boldt, der spätere Funktionär der neonazistischen „Die Nationalen“, Dr. Walter Menz. Diese Leute repräsentieren die Spitze der neonazistischen Organisierung in Berlin.
Wie will er erklären, daß er es war, der auf der Versammlung laut Gründungsprotokoll erläutert, was die „Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur e.V.“ ist? Diesem Verein, dem hochrangige neofaschistische Funktionäre aus Deutschland und Österreich angehören, soll laut § 10 der damals vorgelegter Satzung bei Auflösung das Vereinsvermögen zufallen. Diese Notgemeinschaft, ein Spendenbeschaffungs- und Verteilungsverein „für nationale Interessen“, kennen selbst unter den Rechten die wenigsten, denn sie „unterhält kein eigenes Vereinsleben“, wie die Notgemeinschaft selbst schreibt (Zitate im Original aus: NG, Aufgaben und Ziel). Woher kannte Herr Holstein also alle die Leute und Organisationen?
Wenn Herr Holstein jetzt behauptet, er habe sich wegen der ideologischen Richtung des Vereins von diesem getrennt, scheint das eine neuere Erkenntnis zu sein. In der Vereinsakte existiert ein von Herrn Holstein an die Vorsitzende Schaffer gerichtetes Schreiben, in dem er am 20.4.1990 seinen Aus- und Rücktritt mit Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm, Holstein, und anderen Mitgliedern des Vorstandes begründet. Er schließt mit den Worten: „Trotzdem wünsche ich dem Vorstand und Verein für die Zukunft alles Gute.“ Von ideologischen Differenzen jedenfalls keine Spur.
2. Herr Holstein und die Artgemeinschaft
Die Artgemeinschaft, die sich im Untertitel „Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemässer Daseinsgestaltung“ nennt, ist eine Vereinigung, die „unter Berufung auf den alten nordisch-germanischen Götterglauben auch völkisch-rassistisches und antisemitisches Gedankengut pflegen und zu verbreiten sucht.„, so der Verfassungsschutzbericht Bayern von 1997. Das Handbuch Deutscher Rechtsextremismus schreibt 1996: „Als programmatische Grundlagen der Artgemeinschaft sind das „Sittengesetz“ und das „Artbekenntnis“ (…) anzusehen. (…) Neben der Wiedererweckung des Glaubens geht es der Artgemeinschaft um die Rekonstruktion der Volksgemeinschaft. Sie kämpft um „volkliche Einheiten wie Gau und Stamm, Reich und Volk (…)“ Aufgebaut ist diese Gemeinschaft nach dem Führerprinzip.“
Laut ND vom 20.5.1999 habe Herr Holstein damals, während seiner Mitgliedschaft, keinen rechtsextremen Hintergrund erkannt. Eine solche Behauptung ist schwerlich zu widerlegen, kennen wir doch die Kriterien des Herrn Holstein nicht, etwas als rechtsextrem zu benennen. Die vorliegenden Fakten sprechen aber eine andere Sprache.
In der heutigen Gegendarstellung in der taz schreibt Herr Holstein, die sogenannte „Berliner Gefährtschaft im Aufbau“ sei nicht identisch mit der Artgemeinschaft. Damit widerspricht Herr Holstein der offiziellen Wortwahl der Artgemeinschaft. In § 11 der derzeit gültigen Satzung heißt es: „Mitglieder der Artgemeinschaft, die nicht zu weit voneinander entfernt wohnen, können sich in einer Gefährtschaft zusammenschließen. Die Gefährtschaften sind Träger des religiösen Lebens in einem bestimmten Raum.“ Auch der Autor in der Nordischen Zeitung Stefan Broschell, ein weiterer Berliner Gefährte, war nachweislich Mitglied der Artgemeinschaft und betreute zeitweilig den Buchdienst der Gruppe. Auf den Treffen der Artgemeinschaft werden die teilnehmenden Mitglieder als „Gefährten“ bezeichnet, die Teilnehmer reden sich mit „Gefährte“ an. Ein anderer Berliner Gefährte war Wolfram Nahrath, den Herr Holstein schon auf der Gründungsversammlung der DKG / BKP getroffen hatte.
Ungeachtet vom Wahrheitsgehalt der Darstellung durch Herrn Holstein, was den Charakter der „Berliner Gefährtschaft im Aufbau“ betrifft, betätigte sich Herr Holstein noch 1994 als „Gefährte“ und nicht nur bis 1993, wie Herr Holstein in seiner Gegendarstellung schreibt. Die Nordische Zeitung vom zweiten Quartal 1994 vermeldet: „Die ersten Nachträge für das Artgemeinschaftsliederbuch wurden durch den Gefährten Gernot Holstein erarbeitet.“ Und in der Ausgabe für das dritte Quartal steht folgende Anzeige: „Wir freuen uns über die Geburt unseres dritten Sohnes (…). S(…) und Gernot Holstein und die stolzen Geschwister R(…), S(…) und U(…)“ Folgen wir an diesem Punkt der Gegendarstellung durch Herrn Holstein aus der taz vom 28.5.1999, müßte auch diese Anzeige durch „Bekannte“ geschaltet worden sein. Diese Darstellung sagt vor allem etwas über den Bekanntenkreis des Herrn Holstein aus, der sich offenbar mit der Leserschaft der Nordischen Zeitung überschneidet.
Im Jahre 1994 – also zu einem Zeitpunkt, wo Herr Holstein laut seiner Gegendarstellung nichts mehr mit der Artgemeinschaft bzw. der Gefährtschaft zu tun gehabt haben will – nimmt Herr Holstein nachweislich am jährlichen Treffen der Artgemeinschaft, dem sogenannten Gemeinschaftsthing teil, das ausschließlich Mitgliedern vorbehalten ist. Das Treffen findet vom 17. bis 19.6.1994 auf dem Gelände Hetendorf 13 in Niedersachsen im Rahmen der jährlichen „Hetendorfer Tagungswoche“ statt. Der Verfassungsschutzbericht Niedersachsen vermerkt: „Auch 1994 war die dem Heide-Heim e.V., Hamburg gehörende Tagungsstätte in Hetendorf wieder Treffpunkt von Rechtsextremisten aus dem ganzen Bundesgebiet. Die wichtigsten Veranstaltungen auf dem Anwesen Nr.13 waren das Pfingsttreffen der Wiking-Jugend (…) und die „4.Hetendorfer Tagungswoche“ vom 17. bis 26. Juni. (…) An den Veranstaltungen nahmen bis zu 100 Personen teil.“
Der Trägerverein der Tagungsstätte ist am 11.Februar 1998 vom Land Niedersachsen verboten und das Gelände eingezogen worden. Begründet wurde dies u.a. wegen dort abgehaltener, „in unerträglicher Weise den Nationalsozialismus verherrlichenden Vorträge„.
Damit hat Jürgen Rieger, eine zentrale Figur des bundesdeutschen Neonazismus, eine wichtige organisatorische Stütze verloren.
Zwischen dem Leiter der Gemeinschaft Jürgen Rieger auf der einen Seite und Gernot Holstein und Dr. Carl Haidn auf der anderen kommt es auf dem Gemeinschaftstag zu einem Streit um Satzungsänderungen. Im Anschluß daran muß es zu weiteren Auseinandersetzungen gekommen sein, in deren Verlauf auch Herr Holstein und Ehefrau Sabine aus der Artgemeinschaft ausgetreten sind. Das zumindest schreibt das langjährige Mitglied Sepp Biber in einem Rundbrief, der in der Zeitschrift Germanenglaube Nr.1/1996 abgedruckt ist.
Das Antifaschistische Pressearchiv ist der Meinung, daß die uns vorliegenden Dokumente belegen, daß:
- Herr Holstein Mitglied der Artgemeinschaft war, und zwar mindestens bis weit in das Jahr 1994 hinein. Wenn wir der Darstellung Sepp Bibers folgen, wahrscheinlich bis in den November 1994.
- Herr Holstein Gründungsmitglied und Mitglied der Deutschen Kulturgemeinschaft Berlin war.
- in beiden Organisationen während der Mitgliedschaft von Herrn Holstein bekannte Neonazis und Rechtsextremisten mitarbeiteten und beide Organisationen einen unübersehbaren rechtsextremistischen bis neonazistischen Charakter hatten und haben. Beide Organisationen waren und sind Bestandteile des Berliner bzw. bundesweiten Netzwerkes, in dem sich Rechtsextremisten und Neonazis betätigen.
In allen verfügbaren Unterlagen, die mit Herrn Holstein in Verbindung stehen, sind keinerlei ideologischen Abgrenzungen zu den Organisationen erkennbar, in denen er – oft über das einfache Mitgliedsleben hinaus – tätig gewesen ist. Genauso wenig sind ideologische Auseinandersetzungen mit den Personen erkennbar, die nicht nur am Rande rechtsextrem sind, sondern zu den führenden Funktionären der Berliner respektive bundesweiten Neonazi-Szene gehören. Und von den Einstellungen all dieser Leute hat Herr Holstein nichts Erkennbares mitbekommen?
Mit einem Mann wie Jürgen Rieger, der seit Jahrzehnten zu den führenden Personen der neofaschistischen Organisierung gehört, hat Herr Holstein nicht anderes besprochen, als Satzungsänderungen? Wir denken, daß Herr Holstein gut beraten wäre, endlich offen zu den unbestreitbaren Fakten Stellung zu nehmen.
Wir gehen allerdings nicht davon aus, daß Herr Holstein anders als bisher reagieren wird. Wir verweisen auf eine BVR-Pressemitteilung, die dem Antifaschistischen Pressearchiv unterstellt, „mit den „Bertelsmännern“, den Vertretern des zweitgrößten Medienkonzerns der Welt bzw. des Monopolapitalismus (sic), gemeinsame Sache.“ zu machen. (Pressemitteilung des BVR v. 13.5.1999, Fehler im Original) Abgesehen von der offenkundigen Absurdität dieser Behauptung erinnert uns die Argumentation der Pressemitteilung doch stark an Verschwörungstheorien, wie sie gerade unter Rechten beliebt ist. Wer in jeder Kritik, wie berechtigt oder unberechtigt auch immer, nur „Ablenkungsmanöver“ und nicht beim Namen zu nennende „Drahtzieher“ oder „Anhänger einer diktatorisch eingeführten Rechtschreibreform“ sieht (alle Zitate aus der Pressemitteilung), hinter allem also einen einzigen Gegner vermutet, der reagiert unsachlich.